Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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§ 27. Die Schöpfung der Welt (1. Teil)
Aus dem Ratschluß Gottes, dessen Anfang sich im Abgrund der Ewigkeit verliert, stammt das Dasein der Welt. Wie nun Gott alles gemacht hat um seinetwillen, laut Spr 16,4, so ist auch die Welt da, daß sie ihn verherrliche. Um zum rechten Begriff dessen, was Welt ist, zu gelangen, darf man nicht von dem griechischen „κοσμος“ ausgehen; noch weniger von dem lateinischen „mundus“, sondern man muß das Hebräische zu Rate ziehen. Hier gibt es nun aber kein völlig entsprechendes Wort, das sich mit unserem Begriff „Welt“ deckte. ~l'A[ für Welt ist rabbinisch. Was wir Welt oder Weltall nennen, das wird im Hebräischen mit den Worten „Himmel und Erde“ umschrieben. Himmel ist im Sinne des Hebräers alles das, was hoch ist für des Menschen Anschauung: alle Planeten, Fixsterne und Sonnensysteme sind darunter mit zu begreifen. Erde ist der hebräischen Etymologie nach dasjenige, was greifbar vor unseren Füßen liegt; im Gegensatz zur Höhe des Himmels. Die Worte „Himmel und Erde“ lassen demnach zwar eine sinnliche Deutung zu, aber keinerlei philosophische. Für die Spekulation bietet der Urtext überhaupt keinen Anhalt. Es hält die Schöpfungsgeschichte uns nur einen Spiegel vor, aus dem (wie Calvin sagt) Gottes lebendiges Bild, seine väterliche Fürsorge uns entgegenstrahlt. Der Wißbegierde wird hier nur sparsam Nahrung geboten. Und doch ist die menschliche Naseweisheit gerade hier in 1.Mose 1 sehr geschäftig. So hat man darüber spekuliert, ob das Weltall aus dem Nichts oder aus einem vorhandenen Urstoff entstanden sei. Diese Spekulation ist sehr müßig, wenn Gott also beschaffen ist, wie wir ihn anhand der heiligen Schrift beschrieben haben. Der absolute Gott, der da Geist ist, kann ja keinen Grundstoff, etwa in der Form einer ewigen Materie, in sich geborgen haI. TEIL – Theologie 168 ben. Er kann sie auch nicht neben sich geduldet haben, so lange als sie keinen Zweck zu erfüllen hatte. Außerhalb Gottes ist natürlich noch weniger Platz für die Materie gewesen, und so folgt schon daraus, daß keine ewige Materie, kein Urstoff vorhanden sein konnte, aus dem die Welt entstanden wäre. Nun ist aber auch nach einem richtigen Sprachgefühl ar'B', das hebr. Wort für das göttliche „schaffen“, ausschließlich im Gebrauch für die Produktion eines neuen, bisher nicht vorhandenen Dinges.86 Ganz im Rechte ist also Paulus, wenn er in Röm 4,17 von einem Rufen Gottes redet, das sich auf das zuvor Nichtseiende erstreckt. Ebenso heißt es Hebr 11,3, daß die sichtbaren Dinge nicht aus gleichfalls sichtbaren entstanden seien; vielmehr durch ein Wort Gottes sei das Weltall zubereitet. Hiermit stimmt die jüdische Tradition in 2.Makk 7,28. Also die „creatio e nihilo“, die Schöpfung aus Nichts, steht nach dem Gesagten fest. Durch das göttliche Schaffen wird ein vom Schöpfer wesentlich verschiedenes Sein begründet. Dasselbe ist nicht aus einer schon vorhandenen Materie entstanden, denn alsdann hätten wir zu fragen, woher ist diese Materie? und kämen zuletzt auf einen Dualismus, Gott und Welt. Andrerseits ist aber auch die Welt kein bloßer Schein (vgl. die Maja), wie der Pantheismus lehrt, sondern als von Gott geschaffene besitzt sie ein wirkliches Sein, das aber Anfang und beziehungsweise auch ein Ende hat. Die erste Schöpfung ist gerade wie die zweite Schöpfung – die Schöpfung der Gnade – ohne Zutun der Kreatur ins Werk gesetzt. Das eine Wunder, das der Schöpfung, schließt alle andern in sich. Aus diesem ersten Entschluß, die Welt zu schaffen, folgt alles Weitere – auch die Erlösung, auch die Heiligung. Man hat weiter gefragt, weshalb der allmächtige Gott die Welt nicht lieber in einem Augenblick hinstellte, wie sie sein sollte, als sechs Tage dazu zu verwenden. Hier aber greift der Gedanke Platz: daß Gott ein Gott der Ordnung ist („ordo rerum anima“), und daß er die Ordnung, mit der er alles tut, auch in dem stufenmässigen Gange der Schöpfung hat ausprägen wollen. Und diese Stufenfolge hat die beste Naturforschung bestätigen müssen. Keine bessere Gliederung und Aufeinanderfolge des Geschaffenen hat man erdenken können, als die in 1.Mose 1 gegebene. Naturforscher wie Cuvier, Haller, de Luc u.a. nehmen die gleiche Reihenfolge an, die, mit dem Grundstoff des ersten Verses anhebend, aufsteigt bis zur Erschaffung des Menschen. Ferner ist zu sagen, daß die Sechsteilung der Tagewerke von vornherein im Hinblick auf den Sabbath geschehen ist: 1.Mose 2,3; 2.Mose 20,8ff.
Simon W.

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§ 27. Die Schöpfung der Welt (2. Teil)
Gottes Tun in der Schöpfung ist konstitutiv für unser Tun. Gott, der Herr, ist plastisch in seinem Handeln. Er gibt uns mit demselben ein zuverlässiges Vorbild, wonach wir uns richten können. Gerade so ist der Bericht über die Bildung des Weibes aus dem Manne 1.Mose 2,21 höchst plastisch oder vorbildlich. Diese Erschaffung des Weibes sollte konstitutiv für den Begriff der Ehe werden. Aus dem Einem – dem Adam – ist das Weib genommen, damit ihre Zugehörigkeit zu dem Einen recht schlagend veranschaulicht werde. Und ganz so verhält es sich in 1.Mose 1. Die Zeiteinteilung der Weltschöpfung sollte normativ für unsere Zeiteinteilung sein. Die Woche ist der Rahmen, in den Gott unsere menschliche Tätigkeit hat einschließen wollen – damit sie nicht ins Ziellose schweife. Das Ziel ist der Sabbath. Dieser Sabbath, das Symbol der Ruhe des Menschen nach getaner Arbeit und seines Ausruhens in Gott, von dem das Gesamte ausgeht, ist ja eine Hauptsache in der göttlichen Ökonomie und etwas, worauf die Schrift immer wieder zurückkommt. Wie kann es uns also Wunder nehmen daß Gott diesen fundamentalen Gedanken von der Ruhe nach dem eigenen Wirken durch sein allerhöchstes Exempel dem Menschen gleichsam ad oculos demonstriert und also sein Schaffen von vornherein nach der den Kreaturen anzuweisenden Zeiteinteilung eingerichtet hat? In der Stufenfolge, welche die Schöpfung einhält, haben wir vor allem die väterliche Vorsorge wohl zu beachten, daß Gott nämlich den Menschen nicht eher schuf, als bis er die Welt mit einem Reichtum von allerlei Gutem versehen hatte (s. Calv. I,XIV,2). Die Welt war also eine von Gott gut und vollkommen erschaffene. Gott sah, wie es am Schluß der Schöpfung heißt: daß alles sehr gut sei, V.31. Kein Mißklang trübte bis dahin die Harmonie und Schönheit des von Gott erschaffenen Weltalls. Was nun den Urheber der Schöpfung betrifft, haben wir schon früher § 20 das Wirken der Dreieinigkeit im Werke der Schöpfung hervortreten sehen. Das Weltall ist nach dem Willen Gottes, des Vaters, durch das Wort, oder den Sohn Gottes, ins Dasein gesetzt. Endlich ist dieses Weltall durch das Einwohnen des heiligen Geistes in ihm zum organischen Ganzen ausgestaltet worden. Was Gott Vater entworfen und verordnet, gleichsam prämeditiert, was der Logos oder der Sohn sodann dargestellt und vollbracht hat, das hat der heilige Geist beim Dasein erhalten und ausgestaltet. Als den Zweck der Schöpfung gibt die heilige Schrift die Offenbarung der Herrlichkeit und Güte Gottes oder seine Verherrlichung an: Ps 19,2; 136,1-9; Neh 9,6; Röm 1,20.
Simon W.

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§ 28. Die Welterhaltung oder Providenz (1. Teil)

Es fragt sich, ob Gott, nachdem er das Weltall durch seine dreigeteilte
Tätigkeit ins Dasein gerufen, dasselbe sich selbst überlassen habe? Hat er nur der Weltmaschine den ersten Anstoß gegeben, so daß sie fortan, in der Art eines freilich noch nicht erfundenen perpetuum mobile, sich selbst weiter bewegt und entwickelt? Nein, Gott hat, was er schuf, auch erhalten! Gottes schöpferische Tätigkeit wird abgelöst durch seine erhaltende oder fürsorgliche Tätigkeit. Dies ergibt sich aus einer Tatsache, die in 1.Mose 2,3 berichtet wird. Wenn es nämlich heißt (2,2): Gott ruhte am siebenten Tage und stand ab von allen seinen Werken, so ist damit kein Ruhen im Sinne von Untätigkeit gemeint. Solches Ruhen leidet auf Gott, den Lebendigen, keine Anwendung. Vielmehr ist hier dem hebräischen Wortlaut nach ein Abstehen von der zuvor während der sechs Tage eingehaltenen Tätigkeit gemeint. Gott stand ab von seiner schöpferischen Werktätigkeit, – aber hier beginnt nun die Erhaltung. Die schaffende Tätigkeit Gottes ist durch den Beginn des Sabbaths streng geschieden von der erhaltenden Tätigkeit. Das Schaffen Gottes ist einmal zum Abschluss, zur Ruhe gekommen. Eine Gesamteit der Dinge ist einmal erreicht worden, an der Gott als der Erhalter sich nunmehr betätigen will. In der Mythologie gibt es keine solche Trennung zwischen Schöpfung und Erhaltung, eben deshalb aber auch kein deutlich vorgezeichnetes Weltziel. Von wem nun diese Erhaltung ausgeht, ist zu entscheiden nach Analogie des im vorigen § Bemerkten. Auch hier nämlich ist es offenbar Gott, der Vater, vom dem der Fortbestand des Geschaffenen im letzten Grunde ausgeht; es ist ferner Gott, der Sohn, durch dessen Wort fortwährend noch das Gesamte getragen wird: Hebr 1,3, vgl. Kol 1,17; und endlich ist es Gott, der heilige Geist, der den Kreaturen einwohnt und belebend, erwärmend, befruchtend alles durchwaltet. Das gute Werk also, das die Trinität mit der Schöpfung begonnen, setzt sich fort und vollendet sich in der Erhaltung. Zöge sich der heilige Geist einen Augenblick zurück von den geschaffenen Dingen, so würde alles zu Staub werden, denn er belebt alles, 1.Mose 1,2; Hiob 34,14,15; vgl. Ps 104,30, wo das Aussenden des Geistes zum Zweck der Erschaffung erwähnt wird. Das Gleiche würde eintreten, wenn der Ausspruch des Sohnes, von dem das Gesamte getragen wird, seine Kraft verlöre. Der Sohn Gottes trägt das Gesamte durch sein Wort (Hebr 1,3). Endlich, entzöge Gott Vater den Geschöpfen sein väterliches, ihnen segnend zugewandtes Angesicht, so würde das Gesamte wieder vergehen, d.h. in das vorige Nichts zurücksinken (Ps 104,29). Denn von des Vaters fürsorglichem Blicke hängt das Gesamte im letzten Grunde ab. Obwohl also die Dreieinigkeit weit über die Zeit- und Raumschranken erhaben ist, so ist sie doch mit ihrer wirksamen Gegenwart bei den Kreaturen und durchwaltet sie und erfüllt sie mit den Kräften ihres ewig unvergänglichen Lebens. Das ganze Universum lebt in allen seinen Teilen von der lebendigen Anwesenheit der Dreieinigkeit in jedem kleinsten Moment seines Daseins. – Bei der Erhaltung betätigen sich zunächst die in den §10- 13 behandelten Eigenschaften der Allgegenwart, der Allmacht, der Allwissenheit und der Weisheit. Die Allgegenwart versichert uns davon, daß Gott der von ihm geschaffenen Gesamtheit der Dinge in jedem Moment und an jedem nur denkbaren Punkte gegenwärtig sei. Gott ist in allem und alles wiederum in ihm (Apg 17,27.28). Indem nun diese Allgegenwart nicht unwirksam zu denken ist, sondern vielmehr wirksam, so werden wir auf die Allmacht gewiesen als die Eigenschaft Gottes, die ebenfalls in der Welterhaltung tätig ist. Gott, als der der Welt Gegenwärtige, ist dies als der Allmächtige. Gemäß dieser Eigenschaft betätigt er seine absolute Macht an der Totalität der Welt. Die Naturordnung und das Naturgesetz werden durch diese wirksame Gegenwart Gottes in Bestand und Wirksamkeit erhalten. Den Naturgesetzen verschafft die beständige Anwesenheit des Gesetzgebers erst ihre Kraft und Wirksamkeit (Jer 31.35ff.; Am 4,13; Dan 4,32; Ps 19,2; 74,15-17; Ps 89,12-14; 147,16-18). Der Bildner verläßt hier sein Gebilde nicht, wie das beim Menschen der Fall ist; denn ohne des Bildners und Schöpfers Anwesenheit zerfiele das Werk in Staub. Gottes energische Anwesenheit in der Natur ist die einzige Garantie für die Unverbrüchlichkeit der Naturgesetze.
Simon W.

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§ 28. Die Welterhaltung oder Providenz (2. Teil)

Ferner betätigt sich bei der Erhaltung des Weltalls die Allwissenheit. Vermöge dieser Eigenschaft spiegelt sich die Totalität des endlichen Seins und zwar das Kleinste, wie das Größte in Gottes Bewußtsein ab (Ps 147,8.9; Mt 6,26.28-30; 10,29.30). Er durchschaut alles bis auf den innersten Lebensgrund (1.Kor 2,10); Alles liegt bloß und entdeckt vor ihm (Hebr 4,13). Weiter betätigt sich bei der Erhaltung auch die Weisheit Gottes. Vermöge dieser Eigenschaft weiß er, wo und wie nachzuhelfen ist; wo und wie Lebensstörungen zu verhüten sind. Gott hat alle seine Werke mit Weisheit gemacht, und er erhält sie mit Weisheit (Ps 104,24). Vermöge dieser Eigenschaft verknüpft er die Naturereignisse mit den Geschicken der Menschheit; vermöge dieser Eigenschaft, in Verbindung mit den vorher genannten und den § 14-16 erwähnten Eigenschaften – nämlich der Liebe, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit, – kommt es zu einer Weltregierung. Die Weisheit ist die zentrale Eigenschaft, von der in Verbindung mit allen übrigen Eigenschaften die Weltregierung ausgeht; die letztere empfängt von
der Weisheit in Verbindung mit den übrigen Eigenschaften ihre Normen und Richtung vorgeschrieben. Die Weisheit ist der focus, von dem die Strahlen ausgehen, die bis an die äußerste Peripherie des Universums alles mit Licht erfüllen, so daß es keinen Punkt im Universum gibt, der im Dunkeln läge, und nicht in Beziehung zu dem Ratschluß stünde – alles ist Licht, wenn es von diesem höchsten Standpunkt aus betrachtet wird. Es bestimmt sich hier die erhaltende Tätigkeit Gottes zu einer nach Endzwekken und Zielen bestimmten Tätigkeit, und diese gesamte Tätigkeit ist eine absichtsvolle, die sich bis zum Wurm87 und zum letzten Atom hin erstreckt, und nichts ist ihr gleichgültig, vielmehr gehört alles mit zu dem Wunderbau der Weisheit Gottes. Der göttlichen Providenz, also jener Erhaltung, die nach Zielen und Zwecken geschieht, ist nichts von dem entzogen, was existiert. Wiefern dies von den Naturdingen gilt, wollen wir zuerst betrachten. Das Himmlische und das Irdische, das Größte und das Kleinste, die Gattungen und die Spezies, alles ist der Providenz unterstellt, alles muß Gott dienen, und wird nur dazu erhalten, um ihm zu dienen. Davon gibt Ps 148 ein treffendes Beispiel, wo die geschaffenen Dinge als zum Lobe Gottes dienlich erscheinen; denn es heißt in V.8, daß Feuer, Hagel (in Ägypten), Schnee und Dampf Gottes Befehl ausrichten. Die unvernünftige Kreatur steht hier in einer Reihe mit der vernünftigen. Es gibt nichts Unnötiges und Unnützes im Weltraum, sondern alles ist Gegenstand einer fürsorglichen, weisen Erhaltung Gottes, ja vielmehr einer väterlichen Providenz. Geben wir einige Beispiele: Gott sorgt, daß die gefräßigen Raben dem Elia Brot bringen (1.Kön 17,6), und daß die Hunde gemäß seinem Wort des Ahab Blut lekken und der Isebel Fleisch fressen: 1.Kön. 22,38; 2.Kön 9,36. Er sorgt für das Wasser, das Manna und die Wachteln in der Wüste 2.Mose 16,15; 4.Mose 11,31.88 Weiter unterliegt dieser Providenz Gottes besonders auch der Komplex der vernünftigen Wesen und ihre Handlungen. Selbst von einem unfreiwilligen Totschlage heißt es in der heiligen Schrift (2.Mose 21,13), daß Gott den Ermordeten dem Mörder habe in die Hände fallen lassen. Auch den Losenden, wie das Los selber, lenkt Gott, der Herr, nach seinem Wohlgefallen. Spr 16,33. Nach Hes 21,21.22 weiß Gott, daß Nebukadnezar sich Jerusalem herauslosen wird, um gegen dasselbe alsdann zu ziehen. Um dies zu wissen, muß er das Resultat des Losens zuvor bestimmt haben. Von solcher speziellen Providenz zeugen Sprüche wie: Ps 33,15; Spr 16,1.2.9; 20,24; 21,1.2.31; Jes 10,15; Jer 10,23. Ohne Gott können nach Spr 16,2; Jer 10,23 die Menschen nicht einmal reden, oder ihren Gang richten, wohin sie wollen. Nach der Schrift ist auch dasjenige, was uns das Zufällige89 scheint, der Providenz Gottes unterstellt. Gott lenkt der Könige Herz, wie Wasserbäche; des Menschen Tun steht nicht in seiner Gewalt. Es sind endlich auch die Willensakte des Menschen abhängig von Gottes Erhaltung, und es ist Gott als mittätig auch bei ihnen zu denken. In der Tat, des Menschen Herz muß wohl in seiner Hand sein; wie könnte er sonst seine Liebe, Gerechtigkeit und Heiligkeit an den Menschen beweisen – Eigenschaften, welche gar sehr bei der Welterhaltung und Regierung sich betätigen. Gottes Liebe erweist sich darin am herrlichsten, daß er das Herz, welches er geschaffen, auch erneuert: Hes 36,26.27, oder den Menschen wiedergebärt: Jak 1,18; Joh 3,6; 1.Petr 1,23. Nun aber könnte Gott das alles nicht, wenn er nicht Macht hätte über den menschlichen Willen. Selbst den bösen Handlungen darf die erhaltende Tätigkeit Gottes nicht abgehen, sonst würde der Mensch sie gar nicht auszuüben vermögen. Wenn nun Gott den Menschen selbst bei bösen Handlungen seine erhaltende Tätigkeit nicht vorenthält, so ist dies freilich zu beschränken auf das Materiale dieser Handlungen; das heißt: er gibt, was dazu nötig ist, damit sie faktisch werden. Die böse Richtung aber, welche solche menschliche Handlung erst zur Sünde macht, ist, wie wir unten sehen werden, des Menschen Schuld; und wenn Gott auch dieser Richtung nicht fremd bleibt, sondern die Handlung bis zu Ende mit seiner erhaltenden Tätigkeit begleitet, so tut er das aus einer ganz anderen Intention, nämlich er bezweckt Gutes auch da, wo die Menschen Böses bezwecken. Er bleibt rein, auch wo er zum Bösen mitwirkt: Röm 3,4; vgl. Ps 51,6.
Simon W.

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§ 28. Die Welterhaltung oder Providenz (3. Teil)

Gleichwohl darf die Mitwirkung Gottes auch bei solchem Handeln nicht fehlen und zwar aus folgenden Gründen: 1. Ohne dieses Mitwirken würde das Einhalten eines festen Planes bei der Weltregierung unmöglich sein. 2. Gott müßte sich der so wichtigen Regierungsgewalt begeben, die bösen Handlungen zum Guten zu lenken, sie zu limitieren und ihnen eine seinem Zweck dienstbare Richtung zu geben. 3. Endlich könnte Gott die früheren Sünden des Menschen nicht durch immer tieferes Versinken in Sünden strafen, was doch Röm 1, 24ff. deutlich gelehrt wird.
Geben wir etliche konkrete Beispiele. Die lenkende Hand Gottes ist in der heiligen Schrift bei den bösen Handlungen oft genug angemerkt. Dahin gehören Stellen, wie z.B. 1.Mose 50,20, wo Gott selbst beim Verkauf des Joseph Gutes im Auge hatte; er bezweckte nämlich die Errettung Ägyptens und die Beseligung des Hauses Jakobs. Bei der Verstockung Pharaos hatte Gott auch seine alles leitende Hand mit im Spiele; er verstockte ihn. Aber wodurch? Dadurch daß er sein Wort durch Mose zu ihm sandte, das ihn auf seine rechte Pflicht hinweisen sollte. Dies Wort verwarf Pharao im stolzen Mut und im Vertrauen auf sein gutes Recht. Im Kampf wider Gottes wohlgemeinten Rat ging Pharao unter. Von Gottes Standpunkt aus geschah diese Verstockung nicht aus Freude an Pharaos Verderben, sondern auf daß Gott durch Zeichen und Wunder seine Größe an diesem Riesen beweise; auch hatte Gott den höheren Zweck dabei im Auge, daß er Israel Stoff gebe, um nachmals Gottes Wunder zu rühmen: 2.Mose 10,1.2; Ps 136,15; Röm 9,17. Auch Jes 6,9.10 gehört hierher, laut welcher Stelle Gott den Israeliten zur Strafe ihrer Sünden für einige Zeit alles Verständnis entzieht, wo dann dies eintritt: daß sie – obgleich Jesaja so herzgewinnend predigt – kein Ohr haben für solche Predigt. Diese Strafe der Verstockung wiederholt sich im Volke Israel nach Joh 12,39-41; Apg 28,25-28. Wenn Gott ferner seine Hand leiht, auf daß Böses geschehe, so hat er als der Gerechte auch die Strafe früherer Sünden im Auge, ohne das neu geschehende Böse irgendwie zu billigen. Dahin gehören Stellen, wie 2.Sam 12,11.12; 1.Kön. 22,20-23. Die gleiche Strafe der Sünde durch Verhängung neuer Sünden ist Röm 1,24-32 und 2.Thess 2,10.11 vom Apostel Paulus hervorgehoben. Selbst bei der Verwerfung Christi hatte Gott der Herr seine Hand nicht abgezogen (Apg 2,23; 4,28); vielmehr taten die Feinde Christi nur, was Gott zuvor bestimmt hatte, freilich aber in einem dem ihrigen gerade entgegengesetzten Sinne. Auch dies geschah ad majorem Dei gloriam und zur Strafe der Widerstrebenden. Überdies ist bei der Verstockung, die Gott beigelegt wird, speziell noch dies im Auge zu behalten, daß dieselbe von Seiten Gottes nicht geschieht durch Eingießung böser Gedanken. Gott versucht niemand zum Bösen (Jak 1,13). Vielmehr bewirkt Gott die Verstockung durch seine Güte und Geduld; dadurch, daß er sich den Menschen als Gott zu erkennen gibt, ja ihnen die gute Predigt des Wortes zuteil werden läßt, was aber diese Menschen so wenig ertragen können, daß es ihren Widerstand nur steigert. Und da macht nun gerade das stille, demütige Walten Gottes die Sünder so frech und hart, nicht aber die Eingießung böser Herzensbewegungen. Zuweilen wirkt Gott auch auf die Menschen mittels des Satans (Hiob 1 und 2; 2.Sam 24, 1f; 1.Chr 21[22].1); da läßt er dem Verkläger der Menschen seinen Willen, und Satan reizt zur Sünde – nicht ohne Gottes Willen. Wenn Gott schließlich die zur ewigen Strafe Verdammten als ein bleibendes Denkmal des göttlichen Zornes wider das Böse erhält, so entspricht auch dies abermals seinem Wesen. Gott ist ein gerechter und heiliger Gott, und nach seinem gerechten Gericht fordert er die Erhaltung der Verworfenen in der Hölle als notwendiges Relief und Folie für die unverdiente Seligkeit der Erwählten.
Simon W.

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§ 28. Die Welterhaltung oder Providenz (4. Teil)

Es bezieht sich also die erhaltende Tätigkeit Gottes, sein Mitwirken (oder concursus) auf alles. Alle seine Eigenschaften erweisen sich bei dieser Welterhaltung und Regierung. Glänzende biblische Beispiele dafür sind ja die Geschichte Josephs, von der Ruth, der Ahnfrau Christi, von David, von Ahasverus und seinen Kämmerern, von Haman, Esther und Mardochai; besonders auch Lk 2,1 und überhaupt die ganze evangelische Geschichte; ja, wollte Gott, auch die Lebensgeschichte derjenigen, die dies lesen. Und nichts ist tröstlicher als gerade diese Lehre von der speziellen Fürsorge oder Providenz Gottes, die sich so ganz bis ins Einzelne hinein zu jeder Kreatur herabläßt und alles – das Größte wie das Kleinste – in ihren Bereich hineinzieht. Diese Lehre ist ein Hauptbestandteil der wahren Gottesfurcht. Die Erkenntnis davon erzeugt – wie Calvin treffend sagt – Dankbarkeit im Glück, Geduld im Unglück und eine unglaubliche Zuversicht für die Zukunft, endlich auch Beruhigung wegen der Vergangenheit. Sind die Haare auf unserem Haupte gezählt laut Mt 10,30; Apg 27,34; sorgt Gott um so viel mehr für uns, wie für die Sperlinge, als wir höher stehen, wie sie: was könnten wir dann noch wünschen, was noch fürchten, in welcher Not könnten wir dann noch verzagen? Alsdann müssen alle Dinge uns zum Guten dienen, Röm 8,28; gleichwie dem Joseph der Haß seiner Brüder, dem Hiob die Vernichtung von Hab und Gut, dem Mose die Flucht nach Midian, dem Paulus die Gefangenschaft in Judäa nur zum Guten gereichte. Es gilt da allein, daß wir bei eintretendem Unglück nicht bei den Mittelursachen stehen bleiben, sondern zur obersten Ursache hindurchdringen und demnach in allem Gottes Finger erkennen: der alles so in seiner Gewalt und Macht hat, daß nichts ohne seine Fügung geschehen kann, und daher nichts von ungefähr, sondern alles aus seiner väterlichen Hand uns zukommt: Ps 27,3; 56,5; 91,3; 118,6. Wie unglücklich der Christ ohne diese Lehre wäre, ist klar. Wer die tausend Stricke kennt, die dem leiblichen und geistlichen Wohlstande der Menschen täglich gelegt sind, wer da weiß, wie die eigene Wohlfahrt vom Teufel und von boshaften Menschen bedroht wird, der müßte ohne diese Lehre ruhelos herumirren und verzweifeln. Nun aber kann er getrost mit David sagen: „Meine Lebensstunden stehen in Gottes Hand“ (Ps 31,16): der ganze wechselvolle Lebenslauf wird von Gott geleitet und überwacht. Den hohen Trost dieser Lehre geben herrlich wieder Heid. Kat. 28; Luther zum I. Glaubensartikel und Calvin, Inst. I,17, §6-12. Unlöslich sind hier wieder die Antinomien, in die sich der menschliche Geist verwickelt; es sind dieselben, die oben bei dem §10-13 Behandelten aufgezeigt wurden. Bei solcher erhaltenden Tätigkeit Gottes, welche auch zu den Willensakten der Kreaturen nötig ist, verwickelt sich die Vernunft in allerlei Widersprüche. Der Philosoph kann auch hier abermals nicht aus dem Dilemma, ob Pantheismus oder Dualismus anzunehmen sei, herauskommen. Entweder tut nach der Philosophie Gott selber alles, und es gibt gar kein spontanes und kein selbständiges Wirken der vernünftigen Wesen – die Realität des Bösen und der Sünde verschwindet: dann haben wir den Pantheismus. Oder man nimmt an, daß die geschaffenen Dinge unabhängig vom Einwirken Gottes ihren eigenen Weg gehen. Weil man das Einwirken Gottes mit der Freiheit des Menschen nicht zusammenreimen kann, so versagt man dem Allerhöchsten jegliche Einwirkung auf die freien Willensentscheidungen des Menschen. Hier haben wir den Dualismus, wonach Gott und Menschen einander völlig gleichgültig gegenüberstehen. Wir dagegen wenden uns mit Widerwillen von der Philosophie ab und bleiben bei der biblischen Darstellung der Providenz stehen. Eine Formel zu finden, die dem Dilemma uns entrisse, verzichten wir. Dorners Versuche in dieser Richtung dienen nur lauter später darauf zu bauenden Ketzereien. Er sagt (I, S.483): Die Erhaltung ist die Kontinuierung des göttlichen Schöpferwillens, aber so, daß sie das Gesetzte in seiner Lebendigkeit auffaßt, ja seine sekundäre Kausalität zugleich zum Medium seiner Reproduktion verwendet, wodurch sie kreatürliches Abbild der göttlichen Selbstbegründung (Aseität) wird, aber nur aufgrund von Gottes stets gegenwärtiger, tragender Allmacht.Vgl. S.489. Wir sagen zum Schluß: nirgend verhält Gott, der Schöpfer, sich passiv, oder indifferent; nirgendwo hat er das bloße Zusehen; niemals also verhält er sich gleichgültig gegen die Art und Richtung der Tätigkeit seiner Geschöpfe. Aber so wenig als die Sonne dadurch, daß sie ihre Strahlen etwa durch unreines Glas hindurchscheinen läßt, oder den Schlamm erwärmt, an Reinheit abnimmt: ebenso wenig wird der Schöpfer verunreinigt, wenn er sich mit dem Bösen befaßt. Die Strahlen ziehen sich, wenn die Sonne am Horizonte verschwindet, in gleicher Reinheit zurück, wie sie gekommen sind, und ebenso bleibt Gott unberührt vom Bösen, – er behält das letzte Wort, wenn man mit ihm rechtet (Röm 3,4). Gleichwie er unzugänglich für das Böse ist, so versucht er auch niemand zum Bösen; bei ihm ist kein Schatten von Veränderung (Jak 1,13.17). Aber andrerseits ist er Gott und kann nicht zulassen, daß etwas ohne sein Zutun geschehe. Von irgend welcher Aseität der Kreatur hier zu reden, wäre Gotteslästerung.
Simon W.

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§ 29. Das Wunder (1. Teil)

Zu den göttlichen Tätigkeiten in Beziehung auf die Welt gehört auch das Wunder. Das Wunder ist ein Ereignis, das sich aus dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht erklären läßt, sondern das darüber hinausliegt oder von dem, was gewöhnlich geschieht, durch einen Abstand geschieden ist. Dies ist die im Hebräischen al'p.nI oder al,P, vorliegende Bedeutung. Als etwas Außergewöhnliches flößt das Wunder Staunen und Schrecken ein, weshalb es im Hebräischen auch ar'An „Furchtbares, Grauen erregendes“ heißt: Ps 65,6; dem entspricht das neutestamentliche τερας. Es gesellt sich auch wohl zum Wunder die Vorstellung hinzu, daß Gott sich dadurch erhöht; insofern heißen die Wunder „gedolot“, z.B. Ps 145,6. Durch sie hat Gott sich einen Namen gemacht bei Israel und den Völkern, z.B. 2.Mose 10,1.2; Jer 32,20. Und sofern dies der Zweck der Wunder ist, so heißen sie dann auch Zeichen, „ôtôt“ „σημεια“, d.h. Zeichen der verborgenen Gottheit, die aus dem Wunder spricht. Insofern als die göttliche Macht im Wunder sich offenbart, heißt dasselbe „δυναμις“ Mk 6,5; 9,39. Die augenfälligenWunder treten nicht von Anfang an in der heiligen Geschichte hervor; sondern erst zu der Zeit, in der das Bewußtsein von einem geregelten, alltäglichen Naturverlaufe bereits etwas entwickelter war. Schleiermacher (I, S. 235) sagt gerade umgekehrt, aber unrichtig: „die Vorstellung von Wundern sei am häufigsten, wo es noch wenig Naturkenntnis gibt“. Das ist gegen die Geschichte. Nach ihr sind die Wunder pädagogische Mittel, welche Gott sich vorbehalten für eine spätere Zeit, in der ein Geschlecht lebte, das auf gewöhnlichem Wege nicht wohl zu überzeugen war, sondern durch außergewöhnliche Mittel von Gottes Nähe, Autorität und Herrlichkeit überführt werden mußte. Erst seit Mose häufen sich die Wunder. Hier treten wenigstens die ersten eklatanten Wunderzeichen hervor, durch die Gott den Menschen mit großer Langmut zu überführen, oder das erwählte Volk im Glauben zu bekräftigen beabsichtigte, oder auch seine Obmacht kund geben wollte. Dann treten die Wunder dort auf, wo es gilt, das Volk Israel von einem Widerstand wenigstens für eine Zeit lang zu heilen, der für dasselbe tödlich werden mußte, wenn er nicht gebrochen wurde. So z.B. unter Elia und Elisa. Wo der Druck auf Israel schwer lastete im Exil, da durfte Daniel wiederum Wunder erleben. Zur Zeit Christi endlich traf noch einmal eine Fülle der Wunder mit einer Fülle der Belehrung zusammen. Es galt zum letzten Mal, Israel von seinem Widerstand gegen Gott und den Messias zurückzubringen, und die schlagendsten Zeichen folgten deshalb hier rasch aufeinander: Joh 10,38; 11,45-50; 12,17. Jesus forderte, daß die Jünger und die Juden ihm um der Werke willen lauben
sollten: Joh 10,25; 14,11. Wir sehen also, daß die Wunder durch die besondere Langmut und Güte Gottes den Menschen gewährt wurden, um sie noch auf anderem Wege als bloß durch Wort und Lehre zu überführen und ihnen jede Entschuldigung zu nehmen. Die Wunder sind mithin ein Ausfluß der Güte Gottes, die den Menschen zur Buße leiten will nach Röm 2,4. Das größte σημειον war Christus selber nach Lk 2,34. Die Wunder sollen geradezu den gewöhnlichen Lauf der Dinge, in welchem man Gott nicht mehr zu erkennen vermag, durchbrechen, um das menschliche Herz zu treffen und hier den Widerstand zu überwinden.
Simon W.

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§ 29. Das Wunder (2. Teil)

Was nun die Möglichkeit der Wunder betrifft, so beruht dieselbe darauf, daß Gott Himmel und Erde geschaffen mittelst seiner großen Kraft und seines ausgestreckten Armes nach Jer 32,17. Wer die Schöpfertätigkeit Gottes in lebendiger Weise anerkennt, wird Gott das Setzen neuer Ursachen neben den bisher in der Schöpfung wirkenden nicht absprechen wollen. Denn dies eben haben wir im Wunder anzuerkennen, daß Gott in demselben schöpferisch auftritt, also in einer Weise, die wir aus 1.Mose 1 genugsam kennen. Und zwar ist im Universum Raum genug für solche neue Schöpfungen, und den blind ihrem Schöpfer folgenden Naturgesetzen geschieht doch kein Abbruch und keine Beleidigung durch das Wunder, welches Gott wirkt. So ist z.B. bei der Speisung der 5000 im Evangelium die kleine Zahl der Brote durch Gottes schöpferische Kraft den austeilenden Jüngern unter den Händen gewachsen. Das Öl im Krug der Witwe zu Sarepta nahm durch Gottes schaffende Allmacht zu (1.Kön 17; 2.Kön 4,4). Und wenn nun auch die Propheten oder Christus sich beim Wundertun zuweilen der Mittel bedienen, so geschieht dies allein zur Übung des Glaubens der zu Heilenden. So ließ Elisa den Naeman sich siebenmal im Jordan untertauchen (2.Kön 5,10), um den Gehorsam des Glaubens auf die Probe zu stellen; ebenso ließ Jesus den Petrus die Angel auswerfen, um einen Fisch zu fangen, in dessen Maul die Zinsmünze gefunden wurde. In gleicher Absicht sandte Christus den Blindgeborenen zum Teiche Siloah, nachdem er ihm die Augen mit Kot bestrichen, und befahl ihm, daß er sich daselbst wüsche (Joh 9,7). Hier sind das Wasser und der Kot nicht Mittel der Heilung, sondern sie sind pädagogischer Natur; § 30. Von den Engeln 179 sie spannen den Glauben an. Mit der schöpferischen Tätigkeit Gottes hat sein Wundertun die genauste Übereinkunft. Es ist eine seltsame Verblendung, daß man die Naturwunder gegenwärtig, als für den Christen (nach Schleiermacher) nicht bedeutsam, zurückzustellen liebt. Man bevorzugt die Geisteswunder, die man nur ganz gedankenlos und phrasenhaft noch „Wunder“ nennt, im Grunde aber darin nur die Verwirklichung der wahren Naturanlage – also ganz wie bei Christus, dem Gott-Menschen, selber – betrachtet. Es ist ein frevelhaftes Spiel, das die Neueren treiben. Sie vertrösten uns auf die Geisteswunder, und fragen wir bei diesen näher nach (z.B. bei O. Pfleiderer, Grundriß § 41), so sind dieselben keine Wunder mehr, sondern die höchste Verwirklichung dessen, was ohnedies als Anlage im Menschen liegt. Mit Christus wird dies frevelhafte Spiel begonnen. Er ist das wunderlose Wunder – die Blüte (ακμη,) und der Gipfel (κολοφων) der Menschheit. Alle anderen Wunder fallen dann mit ihm hin und sind ihres übernatürlichen Charakters entkleidet.
Simon W.

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§ 30. Von den Engeln (1. Teil)
Am ersten Schöpfungstag schuf Gott, als er die Himmel ins Dasein rief, zugleich auch die Engel.90 Es geschah auf verborgene Weise. Die Anwesenheit der Engel beim Schöpferwerke Gottes folgt aus Hiob 38,7, wo vom Jauchzen der Kinder Gottes geredet wird, die des Zuschauens beim Entstehen des Festlandes gewürdigt wurden. Der Himmel kommt in der heiligen Schrift vorzugsweise als der Sitz Gottes in Betracht. Und eben hier haben die Engel ihre Wohnstätte laut Mt 18,10 ; Mk 12,25 ; 13,32. Desgleichen redet der Judasbrief im V.6, von einem Herrschaftsgebiet und einer Wohnstätte, die gewisse Engel gehabt hätten, nämlich im Himmel. Was ist Himmel? Wir dürfen uns den Himmel, oder „die Himmel“ nach der hebräischen Wortform, nicht in einer möglichst weiten geometrischen Entfernung von der Erde denken, so daß etwa ein Engel, um vom Himmel auf die Erde zu gelangen, jedes Mal einen Raum zu durchmessen hätte, wie z.B. der Sonnenstrahl. Die Himmel als Sitz Jahwes sind bald näher, bald ferner zu denken; der Himmel ist da, wo Jahwe seine Gegenwart in besonderer Weise zu erkennen gibt, und eben dort sind dann auch die Engel. Wir können uns also den Himmel auch näher denken, als besonders in der populären Anschauung angenommen zu werden pflegt. Jakob sah eine doppelte Engelwacht: 1.Mose 32,2; 2.Kön 6,17; Stephanus sah den Himmel offen: Apg 7,55; und Johannes erblickte desgleichen eine Tür des Himmels offen: Offb 4,1. So nötigt uns nichts, den Himmel erst in einer unermeßlich weiten Entfernung von unserer Erde beginnen zu lassen. Es wäre demnach der Himmel als der Ort der besonderen Gegenwart Gottes zu definieren: Ps 115,16; 5.Mose 10,14; doch so daß er Gott nicht umfassen kann: 1.Kön. 8,27. Damit ist nun aber nicht jede räumliche Beschränkung dem Himmel abgesprochen; denn im Himmel gibt es einen Ort, wo der auferstandene und erhöhte Sohn Gottes zur Rechten des Vaters thront. Derselbe hat aber einen Leib, der als solcher einen bestimmten Raum ausfüllt. Dieser letztere Umstand nötigt uns, dem Himmel bei aller seiner Dehnbarkeit doch einen Kern zuzuschreiben, der einen bestimmten Raum einnimmt. Und da sagen wir: der Ort, wo Christus thront, ist das jenseitige Allerheiligste, identisch etwa mit dem dritten Himmel, oder dem Paradiese, von dem Paulus 2.Kor 12,2.4 redet. Aber von diesem festen Kerne oder Mittelpunkte, wo Christus thront, dehnt sich der Himmel in immer weiteren Kreisen aus und ist ohne Zweifel unserer Erde auch wieder ganz nahe. Ja im dunklen Kämmerlein, wo der Mensch im Staube ringt mit seinem Gott, kann sich der Himmel, m.a.W. Gottes und seiner Engel Gegenwart offenbaren. Wie der Sonnenstrahl durch die Spalte des Kerkers dringt und nicht nur von der Sonne fröhliche, belebende Botschaft bringt, sondern die Sonne mit sich führt, so sendet der Himmel seine Boten, und wo sie erscheinen, kommt der Himmel mit ihnen, um das angefochtene Herz des Beters zu erfreuen: Apg 1,10; 12,7; Lk 2,9.13; 24, 4; vgl. 1.Mose 28,17. Von den Engeln, diesen Bewohnern des Himmels (Hiob 15,15), ist von Anfang an die Rede. Schon 1.Mose 2,1 ist von einem Heere die Rede, das auch dem Himmel zugeteilt wurde: Ps 33,6; 1.Kön 22,19; Ps 148,2. Zu diesem Heere gehören die Engel. Stern und Engel sind Wechselbegriffe; vgl. Hiob 25,5; Hiob 38,7 sowie das Lied der Debora, Richter 5,20. Und zwar liegt in dem Ausdruck ab'c', von dem auch das seit Samuels Zeit zu Jahwe hinzutretende Attribut „Zebaoth“ abzuleiten ist, das Moment der Ordnung, oder des ordnungsmäßigen Einherschreitens. Gott hat die Engel von vornherein nach einer gewissen Ordnung erschaffen. Von ihrer Existenz wissen wir nicht viel. Die Schrift redet mehr beiläufig und gelegentlich von den Engeln. Was ihren Namen anlangt, so heißen sie Maleachim, d.h. Gesandte, Boten, welche die Befehle Gottes ausführen; weil ferner Gott die ihm eigene Kraft und Gewalt durch sie offenbart, so heißen sie δυναμις (Eph 1,21). Weiter heißen sie Mitknechte der Gläubigen: Offb 19,10; 22,9; auch Kinder Gottes: Hiob 2,1; 38,7. Als Korporation heißen sie sogar Elohim: Ps 97,7, weil in ihrem Dienste der Gottheit Macht und Glanz sich widerspiegelt. Sie werden beschrieben als heilige, wenn auch in einem weiten Abstand von Gott stehende Wesen: Hiob 4,18; 15,15; Mt 25,31; Lk 9,26; 1.Tim 5,21; sie sind den Menschen an Einsicht überlegen, wissen aber auch nicht alles (z.B. den Tag des Gerichts): Mk 13,32; desgleichen an Macht: Ps 103,20; 2.Thess 1,7; 2.Petr 2,11; und höchst selig: Mt 18,10; Lk 20,36. Sie sind schlechthin geistige Wesen: Hebr 1,14, und sie gehören, im Gegensatz zu der Finsternis hiernieden, dem Lichte an: 2.Kor 11,14. Wie wir uns ihr Verhältnis zu einander zu denken haben, darüber gibt Christi Wort Aufschluß: Lk 20,36; Mt 22,30; Mk 12,25. Ihre Zahl ist unübersehbar: Dan 7,10; Mt 26,53; Lk 2,13; Hebr 12,22; Offb 5,11. Sie waren tätig bei der Gesetzgebung: Apg 7,53; Gal 3,19. Die guten Engel heißen erwählte: 1.Tim 5,21.
Simon W.

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§ 30. Von den Engeln (2. Teil)

Was ist nun die Bestimmung der Engel? Ihrer Bestimmung gemäß sind die Engel Boten Gottes, dienstbare Geister: Hebr 1,14; Ps 103,20.21; Ps 34,8; 91,11; Mt 18,10; welche letztere Stelle aber nicht von Schutzengeln zu verstehen ist. Es sind die Engel, die den Kleinen, d.h. nach dem Zusammenhange, den um des Namens Christi willen Verfolgten, von der Welt klein Geachteten zu Dienste sind, und die dabei auf Gottes Wink achten, wann und wem sie helfen sollen. Von diesen Engeln heißt es: sie sehen alle Zeit das Angesicht Gottes, also nicht das der Kinder. Die Engel dienen, wie sie verborgen ins Dasein getreten sind, auch in verborgener Weise in der Weltregierung, und sind besonders den Menschen zu Nutz und Frommen, speziell aber denen, die ererben sollen die Seligkeit: Lk 15,7; 16,22; Hebr 1,14. Ihr Dienst an dem Menschen soll nicht etwa des Herrn unmittelbaren Beistand in den Hintergrund drängen. Nach der wunderbaren Weisheit Gottes sind sie vielmehr als Helfer vom Anbeginn der Welt im Hintergrunde geblieben. Man soll durch ihr Hervortreten nicht zur Abgötterei gereizt werden; sie sind Mitknechte: Offb 19,10; 22,9. Und wo sie einmal in die Erscheinung nach Außen treten, da nehmen sie zwar eine greifbare Gestalt an, aber immer doch eine solche, welche dient, um den Menschen zu belehren und ihnen einen besonders für jene Zeit wichtigen Gedanken einzuprägen. Ihre Erscheinungsform hat symbolischen Charakter. Die Cherubim und Seraphim gehören hierher, deren Gestalten lehrhafter Natur sind. Die Cherubim (schon 1.Mose 3,24) vereinigen in ihrer Erscheinung das Erhabenste, was die Schöpfung bietet, in sich. Nach Hes 1,10; 10,14 tragen die Cherubim, die im Großen und Ganzen einem MenI. schen gleichen, das Antlitz eines Menschen, eines Löwen, eines Stiers und eines Adlers. Sie haben also die edelsten, vornehmsten Charaktere und Erscheinungsformen der Schöpfung an sich und sind das Vehikel der Gegenwart Gottes. Wenn sie nun an den Pforten des Paradieses wachen, so tun sie dies zur Einprägung eines besonderen Gedankens, nämlich zum Wahrzeichen dafür, daß dieses Paradies auch dem gefallenen Menschen von Gott noch aufbehalten sei. Die Wächter des Paradieses tragen gleichsam die Insignien der alten Schöpfung an sich. Freundlich winken sie dem Menschen in der Stiftshütte und im Tempel, wo sie über der Bundeslade (2.Mose 25,18) und am Vorhang (2.Mose 26,31) angebracht sind. Bei einer anderen Gelegenheit erscheinen die Engel als Kriegsscharen, z.B. als eine doppelte Engelwacht: 1.Mose 32,2, von welchen 2.Kön. 6,17 aber nur feurige Roße und Wagen gesehen werden. Dem Jesaja erscheinen sie (Kap 6) als feurige Geister, entsprechend der Heiligkeit Gottes, von der sie ebendaselbst durch ihre Worte Zeugnis geben. Seraphim ist dort ihr Name, von „saraph“: brennen. Ihre ganze Erscheinung ist symbolischer Art. Mit drei Flügelpaaren werden sie Jes 6 vorgestellt, deren zwei ihr Antlitz bedecken zum Zeichen dafür, daß sie den Anblick der Herrlichkeit Gottes nicht zu ertragen vermögen. Mit zwei Flügeln bedecken sie die Füße; d.h. sie verzichten angesichts Gottes auf eigenes Wollen und Laufen. Mit zweien endlich fliegen sie; das will sagen: es ist bei aller demütigen Anerkennung ihres Unwertes und Abstandes von Gott dennoch Kraft und Geschicklichkeit ihnen geblieben, um Gottes Befehle auszurichten. In einem Lichtgewand und geflügelt erscheinen Engel mehrere Male in der heiligen Schrirt, z.B. bei der Auferstehung: Mt 28,3; Joh 20,12; vgl. Offb 14,6. Damit stimmt Ps 104,4: „Er macht seine Engel zu Winden, und seine Diener zu flammendem Feuer“; d.h. ohne Bild: sie sind schnell wie der Wind und eifrig wie das Feuer; das erste Versglied spielt auf die Flügel, das letztere auf die Lichtgestalt der Engel an. – Von Rangklassen der Engel gibt uns die heilige Schrift keine deutliche Vorstellung, so daß wir von einer Rangordnung der Engel reden könnten. Auch in Kol 1,16 und Eph 1,21; 1.Petr 3,22, wo von Herrschaften, Fürstentümern und Obrigkeiten der Engel die Rede ist, wird nichts Besonderes über der Engel Rangordnung mitgeteilt. Alle jene Ausdrücke gehören zur amplifizierenden Darstellung ihrer Machtfülle. Auch an anderen Stellen gibt die heilige Schrift Andeutungen darüber, daß die Engel in einer Ordnung leben. So redet Hiob 33,23 von einem Engel, der hervorragt aus tausend; Dan 10,13 und Offb 12,7 von Michael, einem der ersten Fürsten. Jos 5,14 spricht von einem Fürsten über das Heer des Herrn. Desgleichen reden 1.Thess 4,16; Jud 9 von einem Erzengel, einem Anführer der Engel. Hiemit wird aber
nur das entfaltet und auf einen bestimmten Ausdruck gebracht, was schon in 1.Mose 2,1 im Worte „zaba“ lag, wonach die Engel in einer gewissen Ordnung erschaffen sind. Wo nun eine Ordnung obwaltet, da ist auch ein Anführer zu erwarten. So stehen denn nach dem Neuen Testamente die Engel wirklich unter dem erhöhten Christus: Eph 1,21; Kol 1,16; 1.Petr 3,22; Offb 5,11.12. Mit diesem Haupte, mit Christo, setzen manche auch Michael, den Erzengel, der Offb 12,7.8 vorkommt, identisch (Vitringa, Hengstenberg). Wir wagen aber nichts zu entscheiden. Über die bösen Engel werden wir bei Gelegenheit des Falles der ersten Menschen das Nähere hören. Vgl. zu diesem Abschnitt Calvin, Inst. I,14, § 3ff. – In der alten Kirche schrieb Dionysius über die Engel; in der Neuzeit beschäftigen sich nur die theosophisch gerichteten Theologen rnit sichtbarer Vorliebe mit den Engeln und Dämonen; die sich par excellence wissenschaftlich nennende Theologie geht mit einer gewissen Scheu an diesem Theologumenon vorüber.
Simon W.

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ΙΙ. TEIL
Anthropologie oder die Lehre vom Menschen

§ 31. Einleitung
Die zweite Hauptbedingung einer wahrhaft heilsamen und nutzbringenden Erkenntnis der göttlichen Dinge ist die Erkenntnis des Menschen: denn das „nosce te ipsum“ geht mit dem „nosce Deum tuum“ Hand in Hand. Wenn wir nun aber den Menschen seinem ganzen Umfange nach erkennen wollen, so müssen wir nach der Schrift dreierlei in Betracht ziehen: 1. den Urstand, 2. das Verlassen des Urstandes und den Antrieb dazu von außen her und 3. das hierauf folgende menschliche Verderben. In diesen drei Abteilungen erschöpft sich die Anthropologie (die Lehre vom Menschen). Über jene drei Punkte im Unklaren zu sein, ist für den Christen schimpflicher, als Unwissenheit in den Dingen des alltäglichen Lebens. Die meisten Ketzereien stammen aus einer verkehrten Einsicht in das Wesen des Menschen. Der Pelagianismus reagiert sofort auf die Christologie und Trinitätslehre. Die Monarchianer und Arianer waren zu allererst Pelagianer vor Pelagius. Je mehr Christus wächst, desto mehr nimmt der Mensch ab, und umgekehrt; unser Wahlspruch sei und bleibe aber: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen“.

ERSTE ABTEILUNG
Der Urstand des Menschen: Status originis

§ 32. Die Stellung des Menschen unter den Kreaturen
Es ist ein Hauptübel der modernen Theologie, daß sie das Wesen des Menschen völlig unrichtig definiert. Und dies schreibt sich allein daher, weil die Dogmatiker nicht mit Hilfe einer genauen Exegese, sondern mit philosophischen Begriffen operieren. Nicht Moses, sondern Plato und Aristoteles sind letztlich deren Lehrmeister. Jene Griechen aber machten die Würde und Vortrefflichkeit des Menschen zum Ausgangspunkt ihres Forschens. Unsere Aufgabe sei dagegen, daß wir uns strikt an den Wortlaut der Schrift, besonders des 1. Buch Moses halten. Der Mensch ist das Ziel und die Krone (ακμη) der Schöpfung: dieselbe vollendet sich in ihm. Nachdem die Tätigkeit Gottes in der Schöpfung sich vom Unvollkommenen zum immer Vollkommeneren erhoben, nachdem sie vom Unorganischen zum Organischen aufgestiegen, so endet sie mit dem Menschen: 1.Mose 1,26. Von nun an steigt die Schöpfung nicht höher; das Höchste ist erreicht. Der Mensch nun gehört zunächst der Erde an; er ist aus der Erde gebildet: 1.Mose 2,7, und steht an und für sich ganz auf Seiten des Kreatürlichen. Hätten wir nur die Darstellung von 1.Mose 2,7, so würde sich für den Menschen auch wirklich nichts weiter ergeben, als der erste Platz unter den Tieren, er wäre der primus inter pares. Wir würden erfahren; daß Gott eine besondere Sorgfalt auf die Bildung des Menschen gewendet, daß er durch eine plastische Handlung bei der Bereitung des Menschen die Wichtigkeit dieses Weltwesens kund getan – aber dies alles würde nur eine komparativ höhere Stellung des Menschen über den Tieren erweisen. Dazu kommt, daß auch den Tieren nephesch und ruach zugeschrieben wird, und also der Mensch, auch von dieser Seite betrachtet, nur durch eine fließende Grenze von den Tieren geschieden erscheint: Pred 3,19.21; Hiob 12,10. Blieben wir also allein bei 1.Mose 2,7ff. stehen, so hätten wir keine Waffe, um dem Materialismus zu widerstehen, der sich heutzutage so gewaltig breit macht und die Grenze zwischen Mensch und Tier bereits aufgehoben hat. Aber man muß eben Schrift durch Schrift erklären, wie schon unsere Symbole verlangen, z.B. das Zweite Helvetische Bekenntnis, Art. 2. Was den Menschen über die Tiere erhebt, ist, daß er geschaffen ward mit Rücksicht auf ein ihm ganz eigentümliches Ziel. Das Ziel (τελος) ist hier ein anderes als bei den Tieren. Der Mensch ist von Gott gemacht mit der Zweckbestimmung: daß er sei im Bilde Gottes: 1.Mose 1,26. ~l,c,B. heißt es; B bezeichnet die Sphäre, worin, bzw. für welche der Mensch geschaffen ward.91 Es ist von vornherein bei der Bildung des Menschen darauf abgesehen, daß er im Bilde Gottes stehen könne. Man setzt nicht Holz in ein Feuer, es würde verbrennen: wohl aber einen Felsblock. So ist nun auch der Mensch gemacht nicht wie die übrigen Weltwesen, daß er angewiesen wäre auf das nächsthöhere in der Stufenfolge endlicher Wesen, sondern hinsichtlich seiner heißt es 1.Mose 1,26: „Laßt uns Menschen machen in unserem Bilde“. Da ist nun das „Machen des Menschen“ und das „Bild Gottes“ jedes für sich zu betrachten; jenes, das Machen des Menschen, geschieht im Hin blick auf dieses, auf das Bild Gottes, oder konkreter ausgedrückt: das Erschaffen des Menschen fand statt in Gottes Bilde als der maßgebenden Sphäre und dem rechten Elemente des Menschen.
Simon W.

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§ 33. Das Bild Gottes (1. Teil)
Alles auf Erden ist so gemacht, daß es einem bestimmten Zwecke entspreche. Alles in der Welt hat seine Kategorie, seinen Zweck, nach philosophischer Ausdrucksweise eine Idee, der entsprechend es gemacht ward; nur dadurch hat jedes Ding einen Halt auf Erden und deshalb darf es bestehen vor dem weisen Urheber dieser Welt. Ist nun alles für den Menschen da, ist er der Schlußstein der Schöpfung, so könnte es scheinen, als ob der Mensch der letzte, absolute Zweck wäre und nicht abermals einem höheren Zwecke dienen müßte. So verhält es sich aber in Wahrheit nicht. Gott hat den Menschen in Beziehung auf sich geschaffen (εις αυτον), d.h. der Zweck, dem der Mensch wiederum dienen soll, ist: daß Gott Wesen erschaffe, die nicht in sich versunken oder nur ein Glied in der endlichen Reihe der Wesen wären, wie die Tiere, sondern daß sie Wesen seien, die in Gott oder seinem Bilde erst ihren höheren Halt, ihr rechtes Element hätten und so erst zum rechten Leben und Gedeihen gelangten. Gottes Bild ist, der Etymologie des Wortes gemäß, der mitteilbare Abdruck oder Schattenriß seines Wesens. Zwar kann der zu erschaffende Mensch keinen Anteil haben an dem ewigen Sein der drei Personen des göttlichenWesens; aber von Gottes Wesen strahlt ein Abglanz aus, in welchem der zu erschaffende Mensch aufgenommen und geborgen ist. Machen wir uns das deutlicher. Schon in den irdischen Verhältnissen wünscht jeder rechte Vater, daß seine Kinder sein Bild tragen; des Hausherrn Ruhm ist, wenn das ganze Haus sein Bild trägt, d.h. seiner Art zu sein entspricht und ihr sich fügt. Und wirklich herrschen, je nachdem der Hausherr ist, allerlei Arten oder auch Unarten im Hause; die Art des Hausherrn reflektiert sich eben in den Kindern und Untergebenen. Gott nun, der alles zubereitet hat, spricht 1.Mose 1,26 den gleichen Vorsatz aus: er wolle Menschen machen in seinem Bilde, Menschen, die in seiner Art zu sein sich allein glücklich fühlten und die in sein Element hinein- und sich ihm anpaßten. Bild Gottes ist demnach eine geistige Atmosphäre, die den in ihr lebenden Menschen sich assimiliert und ihm ein bestimmtes Gepräge verleiht. Der Mensch als ein geschaffenes Wesen hat keine Selbständigkeit und Originalität, um sich neben Gott als etwas Besonderes zu behaupten; er be darf des höheren Haltes; er muß nachahmen, jemandem nacharten, er muß in einem ganz bestimmten Element sein und bleiben, um zu gedeihen; und dies Element war eben das Bild Gottes. Wie nach Gottes Bestimmung die Pflanze ihr Element im Sonnenlicht hat, der Vogel in der Luft, so war das Element, in dem der Mensch wahrhaft gedeihen sollte, das Bild Gottes. Gott aber – das müssen wir wohl bedenken – ist ein unendlicher Geist. Daher kann man sich eigentlich kein adäquates Bild von ihm machen. Sein Bild läßt sich nur aus seinen wundervollen Eigenschaften zusammensetzen. Bild Gottes ist eine Ausstrahlung und Ausfluß des geistigen Wesens Gottes oder seiner unzugänglichen Herrlichkeit, welche nach Gottes Ratschluß die geistige Atmosphäre sein sollte, in der wir glücklich würden, in der, was Gottes ist, sein vollseliges Leben, sein heiliger Wille und seine Gesinnung höchstes Gesetz und alleinbestimmend sind. Von dieser Herrlichkeit redet auch der Apostel Paulus Röm 3,23, wo er sagt: wir seien allzumal Sünder und ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Ferner sieht Paulus auf dieses Bild Gottes in Kol 3,9.10; Eph 4,24; hier redet er zwar von der Erneuerung durch Christum; aber diese Erneuerung geht vor sich nach Maßgabe der ersten Erschaffung des Menschen im Bilde Gottes. So ist denn also die Auslegung von 1.Mose 1,26 von höchster Wichtigkeit für die Anthropologie und dient 1.Mose 2,7 zur Ergänzung. In der Sphäre des Bildes Gottes wurde der Mensch gemacht; nach Maßgabe dieser Sphäre ging die Bildung und Ausrüstung des Menschen vor sich. – Der Begriff solcher Sphäre, in welcher der Mensch weilt, ist nun aber nicht ohne Analogie in der heiligen Schrift. Blicken wir uns nach solchen Analogien um, damit wir den Begriff „Bild Gottes“ um so besser fassen. Nach dem Fall redet die Schrift davon, daß Adam in seiner Gleichheit Kinder gezeugt habe (1.Mose 5,3). Fortan bewegt sich also Adam bei dieser Tätigkeit der Fortpflanzung seines Geschlechts in seiner eigenen Sphäre. Er hat, sozusagen, seinen eigenen Dunstkreis; er steht dabei in einem ihm eigentümlichen Bereich, das seinen Namen trägt, von ihm ganz erfüllt ist. Er ist nicht mehr im Bilde Gottes, sondern steht von demselben abgeschieden da. Noch andere Stellen weisen darauf hin. Laut Ps 39,7 wandelt der Mensch überhaupt hiernieden in einem schattenhaften Wesen und müht sich um Eitles. Nach Ps 51,7 ist die Schuld und Sünde des gefallenen Menschen Sphäre, in der er empfangen und geboren wird. Was hier im Alten Testament bereits auf mannigfaltige Weise ausgedrückt wird, das bringt das Neue Testament auf noch andere, prägnantere Ausdrücke. Nach der neutestamentlichen Anschauung wandelt der natürliche Mensch im Fleische, oder auch nach dem Fleische (κατα σαρκα), z.B Röm 8,1; d.h. er bewegt sich in der Sphäre des Fleisches, und ist als solcher dann selber Fleisch, Sünder (Röm 8,8.9.11-14; 7,14). Besonders deutlich erscheint in Gal 5,17 das Fleisch als eine über den Menschen herrschende Macht, als eine Sphäre, in welcher der Mensch gehalten und gefangen ist. Dieses Fleisch ist daselbst in geradem Gegensatz und im Konflikt begriffen mit dem Geist. „Geist“ ist die andere Sphäre, die Paulus dem Fleische gegenüberstellt. Er fordert von uns, daß wir uns als Christen in der Sphäre des heiligen Geistes aufzuhalten hätten, von ihr getrieben würden oder auch κατα πνευμα wandelten (Röm 8,9 vgl. 12,1; Gal 5,16.18.25). Noch andere Sphären und Aufenthaltsorte macht Paulus namhaft. Er redet Röm 5,2 von einem Stehen in der Gnade. Er verlangt noch konkreter, daß wir in Christus seien, in Christus beschlossen, alles tun sollen, der da ist das personifizierte Bild Gottes: 2.Kor 5,17; 1.Kor 7,39; 11,11; oder nach anderer Anschauung, er will, daß wir Christum angezogen haben: Röm 13,14. Und so verheißt schon Christus selbst ein fruchtbringendes Dasein allein dem, der in ihm bleibet, wie die Reben am Weinstock: Joh 15,4, oder in dem er bleibt. In Übereinstimmung damit sagt Melanchthon in der Apologie, S. 54 von Ambrosius: qui cum alia multa in hanc sententiam dicit, tum ita inquit: Non est ergo anima ad imaginem Dei, in qua Deus non semper est. Vgl.Melanchthons Aussage in den Loci v.J. 1521: Fieri nequit, quin sese maxime amet creatura, quam non absorpsit amor Dei.
Simon W.

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§ 33. Das Bild Gottes (2. Teil)

Wir sehen also: der Sphäre des Fleisches tritt im Neuen Testamente eine andere Sphäre gegenüber, die aber verschiedene Namen trägt: Geist, Gnade oder geradezu Christus. In diese Reihe von Begriffen gehört nun auch das Bild Gottes. Es findet somit 1.Mose 1,26 seine Erläuterung aus den weiter in der heiligen Schrift vorkommenden Sphären. Es ist etwas durchaus Analoges, wenn einerseits die Rede ist vom Sein im Bilde Gottes, und andererseits vom Sein in Christus. Christus hat es uns erworben, daß wir wiederum erneuert werden zur rechten Erkenntnis gemäß dem Bilde unseres Schöpfers: Kol 3,10; Eph 4,24. In Christus erlangen wir den ersten Stand im Bilde Gottes wieder. Er ist gekommen, das Bild Gottes, die Sphäre, in welcher der Mensch ursprünglich lebte, uns zu restituieren, daß wir die verlassene Position wieder einnähmen und zwar jetzt in bleibender Weise und auf ewig. Durch sein Tun und Leiden hat er uns den Aufenthalt im Bilde Gottes in sich wiedergebracht. Er ist seit dem Fall der alleinige Ausfluß und Abglanz der Herrlichkeit Gottes. Was Gott für Sünder bestimmt hat, das strahlt uns entgegen, umleuchtet uns und wirkt auf uns in dem Sohne, und ist von ewigem Charakter, während vorher alles, was Adam einst besaß und mitteilen konnte, nur zeitlich war: Hebr 1,3. Bei der Rechtfertigung schaut uns Gott in Christus an, als mitteilhaftig des Bildes seines Sohnes: Röm 8,29. – Durch diese Betrachtung bereichert, kehren wir nun zu 1.Mose 1,26 zurück. Wir haben das Bild Gottes erkannt als das Element unseres anfänglichen Daseins. Indem die Menschen nun gemacht sind im Bilde Gottes, so sind sie damit zugleich gemacht, wie 1.Mose 1,26 ferner sagt, gemäß der Gleichheit Gottes. Bezalmenu, Ridmutenu heißt es im Text, was nicht eine reine Tautologie, sondern zu übersetzen ist: im Bilde, nach der Gleichheit. Das müssen wir uns so denken: Der Mensch war durch Gottes Schöpfung in sein rechtes Element versetzt worden. Wie nun die Pflanze im Sonnenlicht und die Muschel im Meereswasser alles findet, was da dient, um ihre Eigenschaften recht zu entfalten und in voller Herrlichkeit dazustehen, so auch der Mensch im Bilde Gottes. Hier entfaltete er sich seiner Bestimmung gemäß, indem er hier so recht in seinem Elemente war. Das wird bezeichnet durch den anderen Ausdruck V.26: „Laßt uns Menschen machen – gemäß unserer Gleichheit“. Was die Gleichheit des Menschen mit Gott in sich schließt, das können wir wieder am besten aus dem Neuen Testament entnehmen. Da sagt Petrus im 2. Brief, Kap 1,4ff. von den Christen, daß ihnen die größten und herrlichsten Verheißungen geschenkt seien, auf daß wir durch dieselben teilhaftig göttlicher Art oder Natur würden, was eben an unseren 26.Vers in 1.Mose 1 erinnert. Das Neue Testament lenkt auch hier wieder zurück in das Alte Testament. Und dieser göttlichen Natur Inhalt entfaltet er uns in den Versen 5-7. Nur allerlei Tugenden bringt der Apostel hier zur Sprache. Das Teilhaben an der göttlichen Natur ist das Teilhaben an dem bonum morale, dessen Inbegriff Gott selbst ist. Von Gott, der Quelle des Guten, nehmen wir, wie billig, unseren Ausgangspunkt, um zu bestimmen, was überhaupt gut ist. Treffend sagt Melanchthon (Epitome philosophiae moralis 1548, S. 27): „Bonum morale est ipse Deus, videlicet sapientia aeterna et immota in Deo, ordinans recta et sanciens discrimen inter recta et non recta et voluntas Dei semper volens recta“. Und auf den Menschen übergehend, zeigt Melanchthon nun, daß das Gute im Menschen ein Verhältnisbegriff ist, daß also Gutes im Menschen entsteht durch den Anhalt, welchen das an sich haltlose Geschöpf an der Güte des Schöpfers findet. „Deinde vero in hominibus bonum morale est tantum actio seu motus seu habitus92, congruens cum sapientia aeterna et immota Dei, patefacta in lege divina, quae et in creatione insita est mentibus hominum et postea voce divina promulgata“. Es entlehnt also der Begriff des bonum morale seine Wirklichkeit dem obersten Quell alles Guten, der in Gott ruht und uns durch das Gesetz vermittelt wird.
Das Gute ist so wenig, wie das Böse etwas per se subsistens, sondern es erscheint zuoberst an Gott, und am Menschen nur, sofern er, am Bilde Gottes seinen Rückhalt findend, dem Gesetz Gottes gemäß handelt und so innerlich wie äußerlich, in Gedanken, Worten und Werken, dieses göttlich Gute zum Ausdruck bringt.
Simon W.

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§ 33. Das Bild Gottes (3. Teil)

Solches tat der Mensch, der nach der Gleichheit Gottes geschaffen war, anfangs wirklich – er war gut; er war unschuldig, gerecht und wahrhaft heilig (Heid. Kat. 6). Er hatte vor seinem Fall das Wollen und Vollbringen des Guten, und es floß aus seiner von Gott erschaffenen Natur, gut zu sein und zu handeln. Von einer zwiespältigen Anlage im Menschen, von einem sinnlichen und geistigen Teil reden wir nicht, um etwa die Wurzel des Bösen doch aus der Natur, welche Gott geschaffen, hervorbrechen zu lassen. Wir verwerfen die Ansicht, als ob schon vor dem Fall im Menschen das Tier geschlummert hätte, das nur durch den goldenen Zaum einer von Gott geschenksweise hinzukommenden Gabe (der sog. iustitia originalis als eines donum superadditum) in Ordnung gehalten worden wäre.93 Der Mensch ist nach der Gleichheit Gottes geschaffen, und diese Gleichförmigkeit verliert er nur dann, wenn er den ersten Stand, den im Bilde Gottes, verläßt. Der Mensch steht demnach in der Bibel höher da, als irgendwo sonst in den Systemen der Völker. Die gesamte neuere Theologie ist in der Lehre vom Urstande gänzlich von der reformatorischen und biblischen Linie abgewichen und untüchtig geworden, um bei diesem grundlegenden Dogma zu sicheren Resultaten zu gelangen. Es liegt dies freilich stark an der Geringschätzung des 1. Buches Mose, welche diese moderne Theologie zur Schau trägt. Nicht gebunden durch den Buchstaben der Genesis (bes. Kap 1-3) wie sie ist, tappt sie, wie die Blinden am hellen Mittag, gegen die Wand der heiligen Schrift. Und nur in dem Maße als sie noch etlichermaßen vor den Büchern Mose Respekt empfindet, sucht sie sich zu recolligieren und der heiligen Schrift konformer zu lehren. Aber es gelingt der neueren Theologie leider nicht. Auch die merkwürdige Redegewandtheit eines Dorner (2,1, § 81ff.) bringt es nicht weiter, als uns zu überzeugen, daß auch die Vermittlungstheologen zunächst noch nach einem Ausdruck ringen, jedoch immer vergebens; denn anstatt auszugehen von der heiligen Schrift und gleich den Reformatoren tiefe Wurzeln auf dem festen Boden der Propheten und Apostel zu schlagen, nehmen sie doch wieder die Philosophie zur Führerin und Lehr-
meisterin. Auf die Definition des Urstands kommt aber ungemein viel an – hic Rhodus, hic salta. Zum Schluß bemerken wir noch, daß unsre Aufstellungen vom Urstande mit Paulus übereinstimmen. Derselbe blickt auf den anfänglichen Zustand hin, wenn er von dem neuen Menschen redet, den wir nach Ausziehung des alten anzuziehen hätten. Er bezeichnet diesen neuen Menschen als einen Gott gemäß Geschaffenen in Gerechtigkeit und Heiligkeit, wie sie nach Wahrheit ist (Eph 4,24). Oder er bezeichnet den neuen Menschen als erneuert zur Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn geschaffen (Gottes): Kol 3,10. Solches geschah in der neuen Schöpfung durch den heiligen Geist. Aber auch kraft der ersten Schöpfung ist der Heilige Geist derjenige, der den Menschen regierte und ihn dem Bild Gottes, seines Schöpfers, gleich machte. Von Anfang stand also der Mensch unter dem Einfluß des Guten und tat somit das Gute.
Simon W.

Der Pilgrim
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§ 34. Die verschiedenen Bestandteile des menschlichen Wesens

Die Sphäre, das Element, in dem der Mensch geschaffen worden, ist das Bild Gottes. In ihm ist er zugleich gemäß der Gleichheit Gottes.95 Aber wenn sich der Mensch in einer Sphäre aufhält, so unterscheidet er sich von ihr offenbar, m.a.W. er hat sein besonderes Wesen für sich. Wenn der Mensch vor dem Falle, als im Bilde Gottes geschaffener, seinem Schöpfer gleichförmig ist (1.Mose 1,26), dann aber fällt und durch den Fall jene Gleichförmigkeit verliert, so muß dieselbe vom Wesen des Menschen selber abtrennbar sein, und der Mensch also sein besonderes Wesen für sich haben. Es gibt daher auch die Schrift dem ersten Menschen einen sehr bescheidenen Namen, indem sie ihn Adam nennt, d.h. wie Hieronymus übersetzt „terra rubra“; wir können auch übersetzen „terrigena“: Erdentnommener. Gott der Herr ist dabei ganz wie ein Bildner96 aus Ton verfahren. Er bildete aus der noch nassen Erde einen Körper, und diesem in allen seinen Teilen wohlorganisierten, höchst vortrefflichen Gebilde seiner Hand blies er einen Odem des Lebens ein; d.h. er setzte durch sein schöpferisches Gebot den Leben vermittelnden Atem in diesem Gebilde aus Erde, und auf solchem Wege wurde der Irdene zu einer lebendigen Seele: 1.Mose 2,7. Daß die Seele da sei, offenbarte sich, als der Mensch zu atmen und zu leben begann; es wird aber nichts darüber mitgeteilt, woher nun die Seele sei. Wir erfahren nur, daß sie da sei, und dies ist genug. Leib und Seele zeigt uns die Bibel als die konstitutiven Momente des menschlichen Wesens. Die Elemente der Physiologie und der Psychologie, die die Genesis mitteilt, finden sich in einem Vers: 1.Mose 2,7. Wahrlich diesen einen Vers wiegen ganze Zentner von psychologischen und physiologischen Werken nicht auf! Wir haben hier die verschiedenen Momente des menschlichen Wesens klar beieinander. Leib und Seele heißen sie. 1.Mose ist für die Dichotomie, und die heilige Schrift widerspricht dieser Dichotomie nirgends. Zu einer lebendigen Seele wurde also der Irdene – der Adam – durch den Anhauch Gottes, der das tote Gebilde belebe. Seele ist das geistige Moment des Menschen; Alles dagegen, was aus der Erde gebildet ward, konstituiert das leibliche Wesen. Die Qualität jener Seele können wir jedoch nicht aus dem Wort „nephesch“ selber eliminieren. In diesem Wort liegt nur das im Hauchen sich kund gebende Leben. Wir müssen aus der Zweckbestimmung dieser Seele, daß sie nämlich im Bilde Gottes gemacht wurde, entnehmen, von welcher Art ihr eigentliches Wesen war. Als einer solchen, die im Bild Gottes gemacht war, kam der Seele zu: 1. Persönlichkeit, d.h. sie kann „Ich“ sagen, wie Gott „Ich“ sagt, laut seines Namens Jahwe. Hiemit erhebt sie sich weit über alle anderen Weltwesen. Sie ist eine zur Gemeinschaft mit Gott bestimmte Persönlichkeit. Dem göttlichen „Ich“ tritt im Menschen ein „Du“ entgegen Das ist das erste Requisit für den Irdenen, der im Bilde Gottes gemacht ward. 2. Die Seele ist im verkleinerten Maßstab Inhaberin der Geisteskräfte, die das Wesen Gottes konstituieren, ein e[ktupon (Abbild), wie es die Alten nannten. In den Schranken der Endlichkeit sind die Geisteskräfte der Gottheit, soweit dies die Kreatürlichkeit des Menschen zuläßt, nachgebildet. Sie kommen im Menschen abbildlich zur Darstellung. Die Seele hat alle Potenzen, die das göttliche Wesen in sich trägt, natürlich in verkleinertem Maßstab. Die menschliche Seele ist Substrat für das Bild Gottes, ähnlich wie in seiner Weise der Leib – man darf aber nicht die Gottesebenbildlichkeit in der substantia der Seele finden, sondern lediglich in gewissen Accidentien, welche ihr durch den Gottgewollten Urstand zukamen, und zwar ganz und sofort und nicht versuchsweise oder bloß vorläufig – bis der Mensch etwa durch das Bestehen in der Versuchung sie sich zu eigen machte. – Die Seele hat aber drei Grundkräfte oder Vermögen, die das Erkenntnisvermögen, Gefühls- und Begehrungsvermögen, m.a.W. Verstand, Gefühl und Wille heißen. Dem Erkenntnisvermögen ist es eigen, die Dinge zu unterscheiden und zu beurteilen. Es kann Kategorien aufstellen und hat angeborene Vorstellungen, notitiae innatae, z.B. vom Dasein Gottes, (s. § 2) von der Verbindlichkeit eines Gesetzes, und es setzt somit die Seele in den Stand, um von Gott und Welt sich richtige Vorstellungen zu machen und das Wahre und Gute in Gemüt und Willen aufzunehmen. Das Gefühl läßt die Stimmung des inneren Menschen den Dingen gegenüber zum Ausdruck kommen und sammelt sie im Gemüt. Bietet sich also dem Verstand ein Objekt dar, so klingt das Gefühl mit an und sagt uns, was unsere Stimmung dabei sei. Sache des Willens ist es endlich, das zu wählen was jenes Erkenntnisvermögen für gut hält, zu fliehen, was es verwirft. Je nachdem Verstand und Gefühl ein Ding bejahen oder verneinen, verhält sich der Wille verlangend oder abweisend dazu.
Simon W.

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