Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Tägliche Lesung aus der Dogmatik von Eduard Böhl

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Vorab: Wir bedanken uns bei Chr. Beese vom RVB-Verlag, dass wir die Dogmatik als fortlaufende Lesung hier bei Bifo einstellen dürfen $:)


I. TEIL: Theologie
ERSTE ABTEILUNG.
Vom Dasein Gottes



§ 1. Von der Erkennbarkeit Gottes und seines Daseins

Die Theologie, in dem beschränkten Sinne von „Lehre von Gott“, hat es mit der Art und Weise der Erkenntnis Gottes zu tun, oder mit dem „modus Deum cognoscendi“. Es fragt sich zunächst, auf welchem Wege wir zur Erkenntnis Gottes überhaupt gelangen können: ob Gott und inwiefern er erkennbar ist. Die Erkennbarkeit ist es, die uns vor allen Dingen beschäftigt; dann erst können wir von der Erkenntnis selber reden. Vom Dasein eines Wesens außer ihm, kann sich der Mensch als ein im Leibe Lebender auch nur vermittelst seiner leiblichen Sinne überzeugen. Es ist eine unbewiesene Annahme, daß das innere Gefühl oder der Verstand ausreichte, um uns das Dasein einer Person außer uns zu entdecken und zu garantieren; vielmehr lehrt uns die Erfahrung, daß wir, als an den Leib gebundene Wesen, auch nur vermittelst der leiblichen Sinne von dem Vorhandensein eines Wesens außer uns überzeugt werden können. Dies gilt von allen Wesen, die außer uns ihr Dasein haben, und so auch von Gott. Genaue und richtige Erkenntnis haben wir dadurch allein von Gottes Dasein, daß es uns jemand gesagt hat; allgemeiner ausgedrückt: durch die Offenbarung. In grundlegender Weise sagt Johannes im Evangelium 1,18: „Niemand hat Gott jemals gesehen“. Aber Johannes gibt sofort den richtigen Weg an, auf dem man zur Erkenntnis Gottes gelangt, wenn er fortfährt: „der eingeborene Sohn, der an dem Busen des Vaters gelagert ist, der hat es uns ausgelegt“. Das will also sagen: Gott ist nie in seinem eigentlichen, rein göttlichen Wesen an den Menschen direkt und unmittelbar herangetreten; kein Erfahrungsbeweis läßt sich dafür liefern. Niemand kennt Gott, wie er eigentlich ist; nur der eingeborene Sohn hat uns Gott geoffenbart. Daß der Sohn solches vermochte, wird dadurch erläutert, daß er an demBusen des Vaters, mithin in dessen unmittelbarer Nähe, seinen Platz hat, und das eben gilt von keinem sonst. Alle anderen außer dem Sohne haben nur eine durch das Wort oder, nach dem Griechischen, durch die Exegese des Sohnes vermittelte Erkenntnis Gottes und seines Daseins. Mt 11,27. Ohne dieses Wort oder diese Offenbarung des Sohnes Gottes weiß der sinnliche Mensch vom Dasein Gottes nichts Gewisses. Nur das Wort der Offenbarung vermittelt ein direktes und umfassendes Wissen vom Dasein Gottes. Wir sagen demnach: Gott, wie er wirklich ist, ist nur darum erkennbar, weil er sich im Wege der Offenbarung bekannt gemacht hat. Hebr 1,1.2. Neben diesem geoffenbarten Wissen von Gott gibt es aber erfahrungsgemäß in der Menschheit noch ein anderes Wissen von Gott.38 Neben dem vollständigen gibt es ein relatives Wissen, das wir ein angeborenes nennen dürfen. Dieses Wissen läßt die Menschen zur Religion überhaupt kommen; ohne dieses Wissen würde nicht einmal die Offenbarung uns ansprechen und verständlich sein. Denn mit einer „tabula rasa“ weiß auch die Offenbarung nichts anzufangen. Es gibt Notizen von Gott, es gibt Begriffe von ihm, die so ursprünglich sind, daß man sie als dem Menschen angeboren zu betrachten hat, gerade so angeboren wie z.B. die Vorstellung von gut und böse, die Vorstellung von Raum, Zeit und Zahlen. Aber dieses ursprüngliche Wissen von Gott beschränkt sich auf vereinzelte Notizen, und es erhebt sich nicht über den sporadischen Charakter, den besonders die heidnischen Religionen uns zeigen. Immerhin hat der Mensch kraft dieser angeborenen Gotteserkenntnis (notitia Dei nobis insita) irgend ein Wissen von Gott. Die Gottesidee, oder die Fähigkeit, Gott als einen Begriff zu denken, ist ein unverlierbares Gut des menschlichen Geistes. Aber aus jenen vereinzelten Notizen läßt sich ein umfassendes Bild Gottes nicht entnehmen. Wie alle angeborenen Begriffe, hat auch der Gottesbegriff bloß den Wert eines Axioms, aus dem wir erst unsere Schlüsse ziehen müssen. Durch Reflexion müssen wir das Axiom zur Entfaltung bringen. Wodurch aber ist diese Reflexion geleitet; wie kann man aus den vereinzelten Fäden der Reflexion ein Gewebe spinnen, um zu einer Wissenschaft von Gott zu gelangen? Jene Begriffe oder jene Notizen sind wohl Wegweiser, aber sie helfen uns nicht, um das Ziel auch zu erreichen. Es ist keine Garantie vorhanden, daß wir kraft des angeborenen Gottesbegriffes Gott auch wirklich erkennen, wie er ist, also z.B. als Vater und Herr über alles. Die angeborenen Begriffe sind gleichsam lahm, so daß sie der Unterstützung bedürfen, um zum Ziele zu kommen. Ich kann mir zwar allerlei Gedanken über Gott und die göttlichen Dinge machen, aber bringt das Denken mich denn schon in den Besitz des Gedachten, oder in wirklichen Kontakt z.B. mit Gott? Gewiß nicht. Mein Wissen um ein Objekt bewirkt noch nicht, daß ich von dem Gewußten auch Besitz ergreife, zumal hier, wo es sich um ein Wesen handelt, welches freie Selbstbestimmung hat. Das Wissen tut weder den Dingen noch den Personen Gewalt an; Gott aber ist eine Person, über die der Mensch sich wohl allerlei Gedanken machen kann, über die zu disponieren aber ihm keineswegs zusteht.
Anders urteilen freilich zwei Schulen der Neuzeit: die Schleiermacherische einerseits, die rationalistische andrerseits. Schleiermacher und seine Nachfolger wünschen die Notwendigkeit einer Offenbarung gleich in diesem Hauptstücke, in der Lehre von Gott, zu umgehen; sie schreiben daher dem Menschen ein unmittelbares Innewerden Gottes im Bewußtsein zu, welches dann an die Stelle der mittelbar an uns gelangenden Erkenntnis Gottes treten soll. Zu dem Ende hat Schleiermacher Gott zu dem allgemeinen Hintergrund und dem Woher unseres Daseins verflüchtigt, und er findet in der dunklen Wahrnehmung, daß wir Menschen von einem Etwas außer uns abhängig sind, einen Beweis für das Dasein Gottes. Religion ist ihm Abhängigkeitsgefühl; Glaube an Gott identisch mit Gefühl der Abhängigkeit von einem Etwas über uns und außer uns. Dieses Abhängigkeitsgefühl überhebt ihn einer grundlegenden Offenbarung des Daseins Gottes vermittelst der Schrift. (vgl. Schleiermacher: „Der christliche Glaube“, § 4 und 33.) Wir bemerken dagegen, daß jenes Gefühl der Abhängigkeit im wahrhaft christlichen Sinne dieses Wortes (und so will Schleiermacher es doch verstanden wissen) eine Erfahrung von Gottes Dasein schon voraussetzt und also den Beweis für das Dasein Gottes nicht liefern kann. Um mich an etwas anzulehnen, muß ich wenigstens schon zum voraus wissen, daß das Ding Halt gewährt; ich muß die Erfahrung von einem Gott, welcher lebt, in mir tragen, sonst verlasse ich mich eben nicht
darauf. Solche Erfahrung von einem Gott, welcher wirklich lebt, vermittelt uns aber allein die Offenbarung Gottes, und dann erst fühle ich mich wahrhaft abhängig. Das Gefühl der Abhängigkeit, wie Schleiermacher es faßt, oder das Gottesbewußtsein, das er also herausbekommt, ist ebenso wenig beweisend für das wirklich lebendige Dasein Gottes, wie der Hunger beweisend ist dafür, daß Speise auf dem Tische steht. Die Speise muß wirklich von Fall zu Fall herbeigeschafft werden; ebenso muß Gott der Allerhöchste wirklich sich offenbaren, er muß der schwachen,
hinfälligen Gottesidee die Flügel ansetzen, daß sie sich erhebt zu ihm; sonst drehen wir uns im Kreise herum und setzen voraus, was zu beweisen war. Wir operieren mittels angeborener Ideen von Gott und behaupten, diese Ideen seien genügend, um Gott zu erkennen, wie er ist, sein Dasein für den hilfsbedürftigen Menschen zu dokumentieren. Die Furcht vor Dieben ist aber kein Beweis, daß Diebe in der Nähe sind; die allgemeine Vorstellung, daß es Diebe gibt, konstatiert noch nicht das Dasein von Dieben selber. Auf dem Wege, den Schleiermacher eingeschlagen hat, könnte man ebenso gut die Realität der Gespenster erweisen. Man kommt in der Neuzeit wirklich auch davon zurück. Schleiermacher war ein Pantheist, d.h. er verzichtete auf ein persönliches, aktuelles Dasein Gottes; oder wenn das nicht, dann ein schlechter Denker. Ebenso, wie Schleiermacher, irren diejenigen, welche mittels der Vernunft auf das Dasein Gottes in genügender Weise schließen wollen. Also verfahren die Vertreter des Rationalismus, welche die Gottesidee zu einer Vernunftwahrheit machen. Hier tritt an die Stelle des persönlichen Gottes ein bloßer Begriff. Die angeborene Idee, daß ein Gott sei, wird zu einer Himmelsleiter, die uns zu Gott führen soll; aber daß wir diesen persönlichen Gott nun auch erreichen und nicht etwa bloß ein Phantom, eine moralisch aufgeputzte Idee unseres Gehirns, anbeten, wer
verbürgt uns das? Es hat jedoch die Vernunftidee nicht die Kraft in sich, um uns zu erheben in das Gebiet, wo derjenige lebt, dem wir alle Leben und Dasein verdanken. Mittels der Vernunft und des Gefühls kommen wir nicht weiter, als die Heiden mit ihrer angeborenen Gottesidee. Schleiermacher und die Rationalisten putzen die notitia Dei naturalis nur künstlich auf. Man macht sich allerlei Bilder und Vorstellungen von Gott, man bekleidet dieselben mit allerlei selbstersonnenen Namen, man nennt ihn Jupiter, Zeus, Baal, Allvater; aber ein Name, der sich mit dem Wesen deckt, kommt auf diesem Wege nicht heraus. Der Grund liegt einfach darin, daß Gott ein persönliches Wesen ist, nicht aber ein Prinzip, ein Gedanke, eine Idee, die man erschließen müßte, und die man als Schlußstein zuletzt dem ganzen Gebäude einfügt. Gott ist ein persönliches Wesen, und als solcher bedient er sich des Vorrechts der vernünftigen Geister. Er offenbart sich, er redet von Mund zu Munde (4.Mose 12,8), überläßt es aber nicht dem Menschen, das beste Teil der Arbeit zu vollbringen, nämlich von unten her die Leiter anzustellen, um zu ihm zu kommen; vielmehr streckt er seine Hand von oben herab und hilft den hinfälligen, schwachen Ideen des Menschen, so daß sie in den Stand gesetzt werden, zu ihm sich aufzuschwingen. Auf die Frage des Weisen in den Sprüchen Salomos (30,4): „Wer ist hinaufgefahren zum Himmel und wieder herab?“… auf diese Frage gibt allein die göttliche Offenbarung eine Antwort. Ohne diese Offenbarung bleiben wir die Antwort auf jene Frage schuldig. Mit Hilfe des Systems Schleiermachers oder der Rationalisten läßt sich keine Himmelfahrt unternehmen, nur eine Erdenfahrt wird uns ermöglicht, und wir gehen von einer Ungewißheit in die andere, wogegen uns auf dem Weg der Offenbarung die volle Gewißheit erschlossen wird. Wollen wir Gott kennen lernen, so sind wir gewiesen an seine Offenbarung, speziell an die hier mitgeteilten Namen. Wir halten uns streng an die göttliche Initiative und lernen sein Wesen kennen aus dessen Äußerungen, die uns die heilige Geschichte durch Jahrtausende hindurch aufbewahrt hat, und welche die Propheten und Apostel schriftlich aufgezeichnet haben. Schleiermacher und die Rationalisten mißbrauchen lediglich die angeborene Gotteserkenntnis. Ihnen soll dieses Wissen von Gott die Offenbarung gleich in dem ersten Hauptstücke ersetzen; es soll die Überzeugung von Gottes Dasein auf keinem anderen Wege als durch den menschlichen Kanal, durch das menschliche fromme Bewußtsein oder die Vernunft uns zugekommen sein. Das ist verkehrt. – Sollen wir darum aber die angeborene Gotteserkenntnis verwerfen? Hat sie gar keinen Wert ? Gewiß, sie hat einen solchen. Sie ist die Mitgift an den Menschen, ohne welche er nicht einmal der höheren Offenbarung teilhaftig werden könnte; nur freilich kann sie keineswegs die Offenbarung des Sohnes Gottes ersetzen. Denn diese angeborene Gotteserkenntnis besteht selbst nur aus vereinzelten Ideen, die der Stütze und der Anleitung von oben bedürfen. Betrachten wir nun diese natürliche Gotteserkenntnis.
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Simon W.

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§ 2. Die natürliche Gotteserkenntnis (Notitia Dei naturalis) (1. Teil)

Diese Gotteserkenntnis findet sich bei allen Völkern. Cicero sagt, daß keine Nation so wild und inhuman sei, daß ihr nicht irgend welche Kenntnis von Gott angeboren wäre. (Tusc. I, Kap 13; ähnlich Seneca, Brief 117). An diese Gotteserkenntnis appellierten die Apostel, an sie appellieren noch die Missionare. In der Tat, das hat seine Richtigkeit. Vorstellungen von einem Wesen über ihm, Notizen von der Beschaffenheit dieses Wesens sind dem Menschen angeboren. Alle Einwendungen dagegen sind abzuweisen und durchaus hinfällig. Selbst der Fetischanbeter39, der sich einen Klotz oder Stein zum Gott erwählt, beweist, daß die Vorstellung von einem göttlichen Wesen etwas so Eingewurzeltes ist, daß der Mensch eher lächerliche Dinge anbeten, als ohne Gott in der Welt leben will. Es gibt keine atheistischen Völker; man findet immer irgend einen Winkel im geistigen Haushalte der Einzelnen wie auch der Völker, wo dem Gottesdienst Genüge geschieht. Der Atheismus mitten in der Christenheit ist eine Geistesverirrung, ja nichts als ein Wahn und bloßer Schein, entstanden aus Böswilligkeit und künstlicher Verbildung des Geistes, eine Mißgeburt im geistigen Leben. Antitheisten, nicht Atheisten gibt es wie es Vatermörder gibt, aber nicht vaterlose Menschen. Schon daß die Vertreter des Atheismus sich so wider die Gottesidee erhitzen, zeugt, wie unaustilgbar dieselbe in ihren Herzen liegt. Dieser raffinierte Atheismus tritt dazu nur sporadisch auf und bringt nichts Bleibendes, nichts geschichtlich Beharrendes hervor. Der Mangel einer Gotteserkenntnis bei Kindern ist ebenfalls bloß scheinbar; er verliert sich im Verlaufe einer normalen Entwicklung, wo dann auch die Gottesidee aus dem Dunkel des kindlichen Bewußtseins emporkeimt. – Wir können nun diese angeborene Idee von Gott nur indirekt nachweisen, gleichwie man das musikalische Gehör erst, nachdem ein Kontakt des Menschen mit der Musik stattgefunden, konstatieren kann. Die angeborene Idee von Gott wird als etwas Vorhandenes bezeugt: Erstens durch die Offenbarung Gottes in der Natur. Dieselbe würde sich vergebens an den Menschen richten, wenn nicht ein sehendes Auge und ein hörendes Ohr beim Menschen vorhanden wäre. Wenden wir uns also zu dieser Offenbarung Gottes in der Natur. Die klassische Stelle dafür findet sich Röm 1,19.20. Der Apostel spricht hier zu Leuten, über welche Gottes Zorn offenbar wurde, weil sie die Wahrheit in Ungerechtigkeit erstickten. Und er sagt ihnen, daß die Kenntnis Gottes ihnen offenbar sei, denn Gott habe es ihnen geoffenbart. „Was von Gott bekannt ist, das ist ihnen offenbar, denn Gott hat es ihnen geoffenbart, denn seit Erschaffung der Welt wird seine ewige Kraft und Gottheit ersehen – an den erschaffenen Dingen“. Aus dieser Stelle lernen wir, daß Gott das an ihm für jeden Erkennbare, nämlich seine Macht und Gottheit (Güte), mittels der Chiffernschrift der geschaffenen Dinge kund getan. In der Schöpfung hat er die zu seiner Erkenntnis anleitenden Buchstaben niedergelegt, und der Mensch kann sie lesen. Seinen Namenszug trägt das Geschaffene; allerorten findet man den König des Alls eingeschrieben. Alles geht einher nach einer gewissen Ordnung; nach festen Regeln verläuft alles im Weltall; lauter Wahrheit und Güte predigt die Kreatur dem Auge, das nicht kurzsichtig ist. Gott selber also hat in dem Buche der Natur gewisse Erkenntnisse über ihn und sein unsichtbares Wesen niedergelegt, allen sichtbar, für alle lesbar; das hat er getan, auf daß sie ohne Entschuldigung wären. Die Natur führt zu Gott hin, nicht von Gott ab, damit man sich nicht mit Unwissenheit entschuldige. Das Buch, das von Gottes Macht und seinen göttlichen Eigenschaften zeugt, dieses Buch liegt offen da. Die Menschen brauchen es nur zu lesen, um ihre natürlichen Ideen daraus zu bereichern. Geschichte und Erfahrung lehren, daß der Mensch in der Natur hinreichende Fingerzeige besitze, um zur Anerkennung Gottes zu gelangen. Daß er nicht weiter kommt auf diesem Wege der Gotteserkenntnis, liegt in seiner eigenen Verblendung. Mit Flammenschrift ist in die Natur eingeschrieben: „Es ist ein Gott“. Aber der Mensch, obschon er dieses erkennen soll und muß, richtet sein Leben nicht danach ein; er preist Gott nicht, so wie er sollte. Das ist es, was der Apostel weiter zu bedenken gibt Vers 21. Vgl. 5.Mose 32,6. Wie es den Kindern zur anderen Natur wird, die Wohltaten der Eltern zu genießen, als ob es so sein müßte, so nehmen wir auch von Gott alles an, als ob es nicht anders sein könnte. Aus dem Denken an Gott folgt leider nicht – wie es doch sein sollte – die Dankbarkeit. Dasselbe deutet der Apostel Paulus in Apg 14,16.17 an, wenn er davon redet, daß Gott zwar die Heiden ihre eigenen Wege gehen ließ, aber sich doch nicht unbezeugt gelassen, sondern ihnen Gutes getan habe. Gott ist ein Wohltäter, er hat ihnen Regen gegeben und ihr Inneres erfüllt mit Speise und Fröhlichkeit oder Lebenslust. Vgl. Ps 145,15.16. Auch dies zeigt, wie Gott den Heiden, d.h. den Völkern, sich immerdar als Gott bezeugt habe; gerade soweit nämlich wie er als Schöpfer solches zu tun auf sich genommen hat. Zum Erweise der natürlichen Gotteserkenntnis dient auch Ps 19, welcher auf den Lobpreis der Himmel aufmerksam macht. Das ganze Weltall läßt eine Symphonie zu Ehren Gottes ertönen. Diese erhabenen Klänge gehen aus in alle Welt. Mithin gibt es nach David eine besondere Sprache, welche die Schöpfung redet. Daß diese göttliche Sprache vom Menschen verstanden wurde, weist zurück auf die notitia Dei innata. Dem hörenden Ohr allein bietet sich diese Offenbarung dar. Nur im sehenden Auge spiegelt sich diese wunderbare Welt Gottes. Also Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen; er redet, er verkehrt mit den Menschen; er kann nicht anders, als sich erweisen als Gott; alles andere wäre wider seine Natur. Obwohl nun diese Offenbarung Gottes in der Schöpfung so laut redet, so lehrt uns gleichwohl die Erfahrung, daß ein näherer Zusammenhang zwischen Gott und den Menschen auf diesem Wege nicht erreicht werde. Die alte Geschichte zeigt uns, wie der Mensch sich zurückzieht und in sich selbst verschließt und mit Wahngebilden sich begnügt, während doch die Schöpfung ewig dieselbe wunderbare Sprache redet. Dies führt uns darauf, ein Hindernis hier anzuerkennen. Das Hindernis ist Selbstsucht, Unverstand, Eitelkeit; es ist die Sünde. Dieses Hindernis muß erst besiegt sein, bevor auch diese Art der Offenbarung ihren Zweck erreicht, wie das bei David geschieht in Psalm 19, der dieser Art der Offenbarung, durch die Natur, eine andere, nämlich die Offenbarung im Gesetz nachdrücklich zur Seite stellt. Vers 8ff. findet eine Gleichstellung des Gesetzes mit der Verkündigung durch die Himmel statt. Wo dagegen das Hemmnis der Sünde nicht weggeräumt ist durch die Predigt vom Glauben und Buße, die dem Gesetz zu danken ist, da bewirkt die Offenbarung in der Natur lediglich Furcht, und demgemäß war auch der Kult der Heiden von der Furcht und nicht von der Dankbarkeit und Liebe eingegeben. Die wahre Erkenntnis kommt dem Menschen im Wege der Offenbarung zu, und dann weiß er auch im Buche der Natur Gott ausreichend zu finden, aber nicht umgekehrt[/b]
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§ 2. Die natürliche Gotteserkenntnis (Notitia Dei naturalis) (2. Teil)

Ein zweiter Zeuge für das Vorhandensein einer natürlichen Gotteserkenntnis ist das Gewissen. Das Schaudern des Gewissens, sein Erbeben nach der bösen Tat, der Umstand, daß die Gedanken sich entschuldigen und untereinander anklagen, Röm 2,15, ferner das Streben nach Genugtuung und Sühne, wie es die Völker zur Schau tragen, alles dies zeugt von dem Gewissen, von der Anerkennung einer Macht über dem Menschen, welcher der Mensch Rechenschaft schuldet. Wenn schon das Tier, wofern es ertappt wird bei einem Frevel und gezüchtigt wird, von nun an die Züchtigung fürchtet und von dem Dasein eines Zuchtmeisters Zeugnis ablegt, so ist solches noch vielmehr beim Menschen der Fall. Aus seiner Furcht nach der begangenen Übeltat dürfen wir den Schluß ziehen, daß er ein Wesen kennt, vor dessen Auge nichts verborgen, und dessen Züchtigung er zu fürchten hat. Da diese Furcht offenbar schon bei jungen Kindern da ist, und eigentlich der Belehrung über ein solches Wesen schon vorausgeht, so ist dieselbe auch ein Anzeichen von einer angeborenen Gottesidee. Ja selbst die Belehrung über das göttliche Wesen würde gar nicht haften, wenn nicht ein bestimmter Eindruck vom Vorhandensein desselben uns angeboren wäre. Es ist ja bekannt, daß die Belehrung vom Dasein Gottes nicht auf Widerspruch stößt. Die Kinder verstehen sofort, wenn man auf Gott weist, als auf den, der sie sieht, wo keiner sie sonst sieht; sie widersprechen nicht; sie wissen unwillkürlich, wovon man redet. Daß man aber auf solches Wissen um ein höheres Wesen, das Rechenschaft fordert, nicht zuviel bauen darf, leuchtet ein. Wenn wirklich das Gewissen der Ort wäre, wo Gott seinen Willen rein und ungehindert den Sündern offenbart, wenn wirklich von dem Gewissen die Besserung der Menschen ausgehen könnte, so müßte es in der Heidenwelt und auch unter den Christen anders aussehen. Aber man erforsche nur das Gewissen rings umher in der Welt, ob es denn wirklich „Gottes Stimme in dem Menschen", ob es ein untrüglicher Leiter des Willens Gottes ist? Der Katholik macht sich ein Gewissen daraus, wenn er sein opus operatum nicht geleistet, z.B. zu Maria keine Gebete hinaufgesendet; der Chinese macht sich ein Gewissen daraus, wenn er es unterlassen, seinen Göttern Speisen vorzusetzen. Und im gewöhnlichen Leben irrt das Gewissen auf das Mannigfaltigste und zeigt uns damit, wie sehr es der höheren Erleuchtung bedarf, und wie es aus einem Labyrinth in das andere geraten würde, wenn nicht Belehrung und Erleuchtungvon oben hinzuträte. Wir behaupten also: das Gewissen reicht nicht aus, um dem Menschen zur vollen Erkenntnis Gottes zu verhelfen und ihn der Wortoffenbarung zu überheben. Es folgt vielmehr aus den genannten Beispielen, daß das Gewissen im Leben durchaus individuell gefärbt ist und nach der Gewohnheit und Erziehung sich richtet. Es kann aus sich nicht die rechten Wege weisen, weil aus der Sünde Unkenntnis des göttlichen Willens hervorging. Es bedarf das Gewissen der höheren Leitung und Anregung durch den göttlichen Offenbarungswillen. Zur Erkenntnis des Willens Gottes kann es nur in unvollkommener Weise dienlich sein; obgleich es immerhin genügend ist, um für das Dasein der natürlichen Gotteserkenntnis zu zeugen und den Menschen mit Furcht vor der göttlichen Gerechtigkeit zu erfüllen.
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§ 2. Die natürliche Gotteserkenntnis (Notitia Dei naturalis) (3. Teil)

Als dritter Beweis für das Vorhandensein einer natürlichen oder angeborenen Gotteserkenntnis ist nun der Consensus gentium, das einstimmige Zeugnis aller Völker, herbeizuziehen. Auch hier sagt Cicero in seinem Werke „De legibus“ L. I., Kap 8: „Kein Volk ist so wild und unbändig, daß es nicht wüßte, man müsse einen Gott haben, wenngleich es nicht weiß: welchen zu haben wohlanständig sei“. Der Drang nach einem numen ist ein durch die Völker hindurchgehender. Cicero spricht in „De natura deorum“ L. I, Kap 16 von einer gewissen anticipatio deorum, einer allen geläufigen Voraussetzung, daß es Götter gebe. Kein Volk ist so verkommen, daß es nicht noch ein Stück Holz übrig hätte, welches es anbetete; und selbst, wenn man bei einem oder dem anderen Volke die deutlichen Spuren vermissen sollte, so läge das eben an einer krankhaften Entwicklung des Volksgeistes und beweist also nichts für die normale Entwicklung des Menschengeistes. Zudem müßte man historisch nachweisen, daß das betreffende Volk nie Götzen angebetet und sich nie eine Vorstellung von Gott gemacht habe. Wenn es nun freilich in Ps 14,1 heißt: „Es spricht der Tor in seinem Herzen: es ist kein Gott“ – so ist das nicht von spekulativem Atheismus zu verstehen, wie richtig Luther und Calvin zu der Psalmstelle bemerkten; es ruht vielmehr dieser Gedanke, daß kein Gott sei, unausgesprochen im Herzen dieser Toren, und ist gleichsam die reservatio mentalis bei ihrem Tun und Treiben, das Ruhekissen bei ihren Freveltaten. Nach der richtigen historischen Deutung des Inhaltes dient der 14. Psalm, um das Treiben einer großen verderbten Maße innerhalb Israels zu charakterisieren, also nicht das Treiben von Atheisten, sondern vielmehr von Leuten, die im Äußeren scheinbar für Gott eiferten, aber dabei die von David vertretene gute Sache verwarfen. Einen eigentlichen Atheisten, der dies von seiner Geburt an wäre, kann es nicht geben; man sollte nur von Antitheisten, nicht aber von Atheisten reden. Denn erst durch Verkehrung der Gedanken und konsequentes Verfolgen der betretenen Irrgänge gelangt der Mensch zur Gottesleugnung. Ganz wenige machen mit der Gottesleugnung theoretisch Ernst41, denn zur theoretischen Leugnung gehört schon ein gewisser Mut, den nur wenige haben. Der Atheismus kann nur durch krampfhafte Selbstbehauptung und Eigensinn konsequent festgehalten werden, und er ist ein höchst unglückseliger Standpunkt, da alles um ihn her ihn Lügen straft. Muß doch der Atheist allem, was seit Jahrtausenden für Wahrheit angesehen ward, widersprechen, und das muß er tun von seinem subjektiven Standpunkt aus. Es ist dem Atheisten vor allem ganz unmöglich zu erklären, wie der Menschengeist wohl auf die Idee Gottes geraten sein würde, falls dieselbe nicht als ursprüngliche Mitgift dem Menschen gegeben wäre. Ohne Gottes Dasein zu statuieren, kann man nie das Vorhandensein einer Idee von Gott im Menschen erklären. Bestände kein göttliches Wesen, so würde ja die Menschheit als eine auf sich selber ausschließlich angewiesene alle Kosten ihres geistigen Lebensunterhalts selbst bestritten haben. Was nicht vorhanden ist, darauf drängt der Menschengeist nicht beständig mit solcher Intensität und Unaufhaltsamkeit hin. Die größten Philosophen aller Zeiten, ein Plato, Leibnitz, Kant – haben mit dem Dasein Gottes gerechnet und waren Theisten. Auch der Consensus gentium also bezeugt eine in den Resultaten zwar weit auseinandergehende aber doch überall vorhandene Gotteserkenntnis und ist ein Zeuge für die notitia Dei naturalis. Aber er hat gleichwohl nur die Bedeutung, daß er zeigt: alle Völker haben einen Gott gekannt und verehrt (Röm 1,19), obwohl er uns nicht zu einem Konsens über die Art der Gottesverehrung führt. Denn auch hier tritt die Sünde hemmend dazwischen und läßt es zu keiner Einstimmigkeit hinsichtlich der rechten Weise der Gottesverehrung kommen (Röm 1,21).
Soviel können wir zum Schluß sagen : Daraus, daß der Mensch im Buch der Natur zu lesen vermag kaqora/tai Röm 1,19 – ; aus der Funktion des Gewissens und aus dem einstimmigen Zeugnis der Völker ergibt sich, daß dem Menschen eine Kenntnis oder eine gewisse Vorstellung von Gottes Dasein angeboren ist. Durch göttliche Veranstaltung wird im Wege der Offenbarung Gottes in der Natur die angeborene Gotteserkenntnis weiter ausgebildet. Denn es liegt in der Tat über den Dingen der Glanz und Schimmer göttlicher Herkunft ausgegossen. Ferner garantiert uns das Gewissen, daß dem Menschen der Blick auf etwas, was über ihm ist, eine
Furcht und ein Zittern vor einem Richter eigentümlich ist. Und daß Natur
und Gewissen die geeigneten Mittel sind, um im Menschen die Vorstellung von Gott lebendig zu erhalten und die notitia innata in Tätigkeit zu versetzen, dies bezeugt uns der Konsens der Völker. Aber, wenn nun der Mensch es verlernt hat, in der Natur Gott zu finden, wenn das verstockte Gewissen von keinem Gericht im Innern mehr zu erzählen weiß, endlich, wenn man den Consensus gentium aus Hyperkritik für mangelhaft erklärt, wobei wir freilich Fachgelehrten den Nachweis atheistischer Völker zu erbringen überlassen werden: gibt es dann noch andere strengere Beweise für das Dasein Gottes, Beweise, durch die wir den sogenannten Atheisten ad absurdum führen und zur Anerkennung Gottes zwingen könnten? Dies wollen wir zunächst prüfen.
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§ 3. Die sogenannten Beweise für das Dasein Gottes (1. Teil)

Alle Beweise für das Dasein Gottes haben zur Voraussetzung, daß wir vom dem Dasein Gottes irgendwie schon überführt sind. Das Axiom, daß ein Gott sei, geht allen Beweisen voraus. Sie lehren uns im günstigsten Falle dasjenige als vernünftig anzuerkennen, was ohnehin schon unmittelbare Evidenz für uns hat. Das menschliche Wesen ist zu sinnlich und beschränkt, als daß es auf die Entdeckung eines nicht in die Sinne fallenden Wesens, wie Gott es ist, ausgehen könnte, und zwar rein a priori. Dies tut der Mensch nur getrieben von jener unmittelbaren Evidenz des Daseins Gottes in seinem Innern. Zu solcher Entdekkungsreise bedarf es sicherer Voraussetzungen und fester Garantien für die Erreichung des Zieles, wie denn den größten Entdecker stets eine Ahnung des Richtigen leitet; sonst unterschiede er sich in nichts von dem Wahnwitzigen oder Spieler. Welche Voraussetzungen aber lassen sich bei der Beschränktheit der menschlichen Vernunft wohl denken, von denen aus man rein a priori zur Entdeckung des Daseins Gottes gelangen könnte, abgesehen von der angeborenen Gotteserkenntnis, an welche auch die Offenbarung sich wendet, um sie auf den rechten Weg zu leiten? Welche endliche Gedankenreihe mündete wohl aus auf den unendlichen Gott? Und da sich bekanntlich unser gesamtes Denken an endlichen Dingen übt und mit endlichen Begriffen rechnet, wie kommt der Mensch zu dem Sprung, dasjenige, was im Bereich der Endlichkeit ganz folgerichtig ist, z.B. das Kausalitätsgesetz, auch auf das Gebiet des Unendlichen anzuwenden? Muß ihm dazu nicht der Mut durch die ihm angeborene Gottesidee erst verliehen werden? Es gibt einen vierfachen Weg, auf welchem die Philosophie das Dasein Gottes zu beweisen suchte. Und zwar wollen diese Beweise bei den Urhebern derselben nicht das Dasein Gottes an sich begründen, was Gottes Dasein an diese Beweise binden hieße, sondern die Überzeugung von dem Dasein Gottes, welches ihnen feststand, überdies als notwendig nachweisen. Sie wollen a priori deduzieren, was die Christen ohnedies schon wissen; was der Glaube schon besitzt, wollen sie außerdem auch noch rationell vermitteln. Ihre Beweise sind demnach eine Art von Luxusartikel. Und zwar haben, wie das seit Kant zugegeben wird, diese Beweise für den theoretischen Zweifler keine zwingende Bedeutung. Dem Gottesleugner, der die fixe Idee gewonnen: es gibt keinen Gott – kann man durch logische Demonstrationen das Dasein Gottes nicht zwingend beweisen. Wir wollen dies kurz erörtern, auf daß man sich nicht allein auf diese Beweise verlasse.

I. Der ontologische Beweis. Derselbe soll aus dem Begriffe Gottes selbst
folgen, er ist zuerst von Anselm besonders ausgebildet worden und erscheint immer wieder in der Neuzeit. Bei diesem Beweis schließt man von dem im menschlichen Denken vorhandenen Begriff eines ens perfectissimum eines vollkommensten Dinges, auf die Notwendigkeit, daß dieses volkommenste Ding auch existiere. Dieses Existieren kommt deshalb diesem vollkommensten Dinge zu, weil sich sonst ein noch größeres Ding denken ließe, das mit den übrigen Vollkommenheiten auch noch die verbinde, daß es nicht bloß im Denken, sondern auch in der Wirklichkeit, real, existiere. Hiedurch soll also nicht bloß das Denken eines höchst vollkommenen Wesens, sondern auch die Existenz desselben als real bewiesen werden. Aber, so kann man billig vom Standpunkte des räsonierenden Verstandes aus fragen, ist denn die Existenz ein notwendiges Komplement der höchsten Vollkommenheit? Gibt es nicht Gedankendinge, welche in sich schon höchst vollkommen sind, ohne der persönlichen Existenz zu bedürfen? Wie nun, wenn die Gottesidee ein bloßes Ideal wäre, nötig zwar um uns die Welt zurechtzulegen, aber doch nur als eine Idee neben vielen anderen, wenn auch die oberste, alles zusammenhaltende – was dann? Wenn die Gottheit von der Idee des Guten nicht getrennt wird (wie bei Plato), wie soll ihr dann eine persönliche Existenz zuteil werden? Daß sie existiere, muß ich anderweitig wissen; aber aus sich selbst fordert der Begriff der Vollkommenheit nicht alsbald, daß dies wirklich der Fall sei. Die Gottesidee könnte etwa auch mit der Idee einer allgemeinen, alles durchdringenden Weltordnung zusammenfallen, mit einem unpersönlichen Prinzip! Mit welcher Notwendigkeit wird denn einem gedachten, höchst vollkommenen Dinge auch noch die Vollkommenheit zugeschrieben, daß es existiere, es sei denn, daß man von anderswoher weiß, daß dies der Fall sei. Endlich aber wäre noch immer die Frage zu beantworten: wenn es existiert, als was existiert es dann – etwa in pantheistischer Zerfahrenheit, oder christlich-theistisch, als Persönlichkeit, die äquivalent ist unsrem „Ich“?
Simon W.

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§ 3. Die sogenannten Beweise für das Dasein Gottes (2. Teil)

II. Der zweite Beweis ist der kosmologische. Dieser Beweis ist um vieles besser; Thomas von Aquin hat ihn weiter ausgebildet, nachdem schon Plato und Aristoteles ihm vorangegangen waren; auch reformierte Dogmatiker, wie Fr. Turretin, akzeptieren ihn. Er ist kurz folgender : Alles, was sich in der Welt bewegt, hat seine Bewegung nicht von sich selbst, sondern von einem anderen; dieses wieder von einem anderen usw., bis man auf eine erste bewegende Ursache, auf eine causa sui kommt. Das Kausalitätsgesetz in seiner Anwendung auf die Welt als Ganzes soll uns zu einer allerhöchsten Ursache, zu einer causa sui führen. Zwingend ist auch dieser Beweis nicht! Denn daraus, daß alles hiernieden in der Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung verläuft, läßt sich doch nur durch einen Sprung nachweisen, daß eine überweltliche selbständige letzte causa, eine causa sui, existieren müsse, d.h. man muß einmal die Kette von Ursache und Wirkung, die uns die Sinnenwelt vor Augen stellt, abbrechen, und um nur endlich zum Abschlusse und zur Ruhe zu kommen, muß man überspringenauf ein primum movens, eine oberste causa. Dies werden wir gewiß tun, wenn wir, geleitet durch die notitia Dei innata, die Existenz Gottes voraussetzen; außerdem aber werden wir es unterlassen. Bei strengen Beweisen muß man jedoch nicht nötig haben, an den guten Willen zu appellieren; der strenge Beweis muß mathematische Sicherheit an sich tragen.

III. Der teleologische Beweis. Dieser ist derjenige, wonach man aus den in der Welt sich manifestierenden Zwecken auf die Existenz Gottes schließt. Er wurde schon von Anaxagoras und Sokrates angewandt. Dieser Beweis hat nur dann einen besonderen Wert, wenn man ihn auf die Natur beschränkt, also als physiko-teleologischer Beweis. Bei diesem Beweise wird auf die zweckmäßige Ordnung und Harmonie in der Natur gewiesen und daraus auf einen allweisen, allgütigen und allmächtigen Schöpfer und Urheber dieser Ordnung geschlossen. Aufgrund dieser Wahrnehmungen kann aus der Natur eine Theologia naturalis entworfen werden; man vergleiche Dorner, Dogmatik I, S. 261 ; Zöckler, Theologia naturalis und endlich Hartmann, Philosophie des Unbewußten, 1873 S. 633ff. Aber ohne eine angeborene Vorstellung von Gott würde die Naturordnung nicht hinreichen, um uns das Dasein Gottes zu erweisen; man käme höchstens zu einem unpersönlichen, alles ordnenden Prinzip, zu einem Abstractum der Weltordnung. Überdies wären die offenkundigen Dissonanzen in der Naturordnung bei der Führung dieses Beweises sehr hinderlich; das Zweckmäßige ist ja für unser Urteil vielfach gemischt mit dem Zweckwidrigen; Gutes wechselt ab mit dem Bösen. Die Weisheit des Welturhebers wird uns daher nur durch die Achtung und Autorität, die seine Person einflößt, garantiert; und dasjenige gerade, dessen Realität wir mittels dieses Beweises erhärten wollten, das Dasein und Walten Gottes nämlich, müssen wir auf diesem Gebiete oftmals im Glauben antizipieren und demütig voraussetzen.

IV. Der moralische Beweis für das Dasein Gottes besteht darin, daß man von dem Bewußtsein eines in uns vorhandenen, unbedingt gebietenden Sittengesetzes auf das Vorhandensein eines Urhebers desselben, kurz eines Gesetzgebers schließt. Jedoch könnte ein entschlossener Zweifler, ein Skeptiker, ganz wohl leugnen, daß man so weit in seinen Schlüssen gehen müsse. Man könnte die Schönheit des Sittengesetzes an sich, die Verbindlichkeit eines Gesetzes so steigern, daß schon hierdurch jenes Bewußtsein im menschlichen Herzen erklärt würde. Bekannt ist ja die Forderung, man müsse das Gute tun um des Guten willen, weil das Gute von solcher Schönheit ist. Es sind demnach alle diese Beweise nicht so stringent, daß ein Ungläubiger vor ihnen die Waffen strecken müßte; er hat immerhin noch einen Ausweg offen.
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Simon W.

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§ 3. Die sogenannten Beweise für das Dasein Gottes (3. Teil)

Mit Umgehung dieser sogenannten Beweise lassen wir uns genügen an der angeborenen Gotteserkenntnis. Wir haben diese natürliche Gotteserkenntnis uns konstatieren lassen durch die Offenbarung Gottes in der Natur, durch die Funktion des Gewissens und durch das einstimmige Zeugnis der Völker. Philosophische Beweise für das Dasein Gottes gibt es nicht. Die rechte heilsame Überzeugung von dem Dasein Gottes wird aber für die Christen anders vermittelt; sie kommt auf einem anderen Wege uns zu. Was nützt es, um ungefähr zu wissen, daß ein Gott sei, wenn ich doch nicht weiß, wie er heißt, und von welcher Art seine Gesinnung gegen mich ist, ob er Vater sei, ob ich ihm als Kind ins Auge sehen darf. Was nützt es, von unten her sich auf den Weg zu machen, um zu Gott zu gelangen, wenn ich nicht weiß, ob Gott, der wahre Gott, mir auch von oben her entgegenkommtund wirklich begegnen wird? Die Unfruchtbarkeit aller Gedanken, die der Mensch sich von Gott macht, bewirkt, daß so viele müde werden und in ihrem Streben, um zu Gott zu kommen, ermatten. Von Jugend auf klopft man an verschlossene Türen; daß ein Gott sei, wird meist einem in derselben kalten Weise gelehrt, wie daß Cäsar und Augustus Herrscher des orbis romanus waren. Nun müht man sich ab – sei es in römisch-katholischer, oder pietistisch-methodistischer Weise – Gott in seine Verhältnisse hineinzuziehen und festzuhalten, aber die Fruchtlosigkeit macht, daß man an ihn nur mit Furcht denkt. Man weiß von ihm höchstens, daß er sei, aber nicht, wie er sei. Man hat keine Erfahrungen gemacht, weil man stets auf falsche Wege gewiesen wurde. Aber es verhält sich in der Tat anders; Gott ist der Erste, der sich den Menschen geoffenbart und damit jene angeborene Gotteserkenntnis in die rechte Bahn geleitet hat. Er ist es, der uns in ein Kindesverhältnis zu sich gebracht, indem er seinen Sohn gesandt und damit sein Herz weit geöffnet hat, daß wir einen Einblick erhalten in seine wohlmeinende Gesinnung gegen seine Geschöpfe. Durch den Sohn (Joh 1,12.13) ist ein Kindesverhältnis zu Gott begründet, das den Menschen zum Kinde des Vaters im Himmel macht. Durch das Verdienst des Sohnes ist uns eine Legitimität erworben, aufgrund deren wir Kinder Gottes heißen. Das Resultat ist also: für meine, des Christen Ansprüche, muß ein festeres Fundament, ein festerer Boden vorhanden sein. Dieser festere Boden ist die göttliche Offenbarung, wo Gott der Erste ist; in ihr haben wir den königlichen Weg, um zur Erkenntnis des Wesens Gottes zu gelangen.
Simon W.

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ZWEITE ABTEILUNG
Vom Wesen Gottes

§ 4. Einleitung (1. Teil)

Wir haben bisher von dem Dasein Gottes gehandelt, von dem modus Deum cognoscendi, und bemerkten, daß dem Menschen das Dasein Gottes von allen Seiten her nahe gelegt sei. Es liegen im Bereiche des Menschen die Elemente vor, die den Menschen zur vollen wahren Gotteserkenntnis bringen müßten, wenn alles normal, d.h. ohne Sünde, verliefe. Paulus sagt (Apg 17,27.28), es sei mit Absicht alles so eingerichtet, daß die Menschen Gott tasten und finden können, zumal Gott doch gar nicht einmal fern von einem jeglichen unter uns ist; denn in ihm leben, weben und sind wir, von Gott kommen wir her, wir sind göttlichen Geschlechts, stammen von einem, nämlich Gott. Dies sagt der Apostel den Athenern, um auf Grund solcher Zugeständnisse aufs härteste ihren Abfall von der wahren Gottesverehrung und ihre Unwissenheit in den göttlichen Dingen zu tadeln. Bei einer solchen von Gott verliehenen Disposition des Menschen, die von Gott selbst geweckt wird, ist es ja eine Schande, daß es die Athener mit dem von Paulus angetroffenen Altar eines unbekannten Gottes beließen. Daß dies eintreten konnte, liegt nun nicht daran, daß Gott, der Allerhöchste, sich etwa absichtlich verborgen gehalten hätte, sondern die Schuld liegt beim Menschen. Der Tadel des Apostels ist nicht ungerecht, sondern er stellt ja den Menschen zugleich sehr hoch, wenn er ihn tadelt; er erwartet Besseres von ihm; er nennt ihn einen, der göttlichen Geschlechts sei, und will damit die Hörer aus ihrem geistlichen Schlaf aufwecken, will sie reizen, um Schritte zu tun, daß sie zur wahren Gotteserkenntnis gelangen. Die Erhabenheit des Menschen über die Tiere besteht gerade darin, daß er getadelt werden kann und für Tadel empfänglich ist. Das Schuldgefühl ist eine conditio sine qua non der Errettung des Menschen. Der Apostel macht also die Athener für ihren falschen Gottesdienst verantwortlich. Er spricht Vers 30 von μετανοια (metanoia) von Buße. Die Zeit der Unwissenheit während dieser heidnischen Vorzeit ist dabei dem Apostel keine Zeit der Unschuld; sondern die Unwissenheit ist eine schwer zu tadelnde Sünde: ignorantia Dei est damnabilis et poenam meretur, wie die alten Dogmatiker sagen. Ohne solchen Tadel, d.h. also ohne Anzeige dessen, was der Mensch Gott zu geben schuldig ist, würde das Kommen zu Gott allein einer Anlage im Menschen überlassen bleiben, die keine Garantie bietet für die wirkliche Erreichung des Zieles. Gott hat sich durch die Offenbarung vom Himmel den Menschen so nahe gestellt, wie er sich als Schöpfer dazu verpflichtet weiß; verkennt die Kreatur ihn trotzdem, so verdient sie Tadel, und zuletzt wird sie mit der ewigen Verwerfung von Gottes Angesicht gestraft. Daß wir aber während unserer Lebenszeit zur Verantwortung gezogen werden wegen unsrer Unkenntnis Gottes, ist eine erste hohe göttliche Gnade, und eben damit wird die lange Reihe ähnlicher Bezeugungen Gottes an den Menschen, von denen wir weiter hören werden, eröffnet. Noch entschiedener tadelt Paulus in Röm 1 die Heiden, daß sie trotz der vorhandenen Elemente, um zu einer Gottesverehrung zu gelangen, dennoch nur immer verkehrter geworden seien. In Röm 1,21.24 sagt derselbe Apostel von den Heiden: Dieweil sie, nachdem sie Gott erkannt, ihn nicht als Gott gepriesen haben – darum hat sie Gott dahin gegeben etc. Und nun folgt bis zum Schluß des ersten Kapitels eine Aufzählung der Sünden der Heiden, die alle daraus hervorgekommen, daß sie die Quelle der Weisheit aus Undank verließen und der falschen Weisheit huldigten, daß sie Gott verkehrt auffaßten und keine Fortschritte, sondern nur immer nur Rückschritte machten in der Gottesverehrung. Aus diesen Zeugnissen (Apg 17 und Röm 1) ergibt sich, daß mit der natürlichen Gotteserkenntnis durch eigene Schuld des Menschen nichts anzufangen ist; wir sehen historisch beglaubigt, daß trotz der angeborenen Gotteserkenntnis und trotz der Tatsache, daß die Kreatur mit tausend Zungen Gottes Macht und Güte verkündet, der Mensch dennoch seinen Gott gar bald vergißt, wo ihm
nicht die göttliche Offenbarung zu Hilfe kommt, und das Verständnis für diese Offenbarung auf außerordentlichem Wege im Menschen geweckt wird.
Simon W.

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Hinweis: In diesem Textabschnitt tauchen erstmals Hebräische Worte auf. Da ich jedoch Hebräisch (noch) nicht beherrsche, konnte ich sie leider noch nicht wie die Griechischen zuvor transkripieren, das werde ich so schnell es geht nachzuholen versuchen! Ich bitte hierfür um Entschuldigung. Wenn mir hier jemand helfen kann, würde ich mich über eine PN sehr freuen :wink:


§ 4. Einleitung (1. Teil)

Vom Dasein Gottes sind nun aber die Propheten und Apostel aufs Innigste überzeugt. Sie beweisen nicht das Dasein Gottes; sie setzen es voraus; sie zeigen nur darauf hin; es ist ihnen so sicher, wie die Sonne am Himmel. Wohl aber wird über die Art dieses Daseins Gottes, d.h. über sein Wesen eingehend verhandelt. Sein Wesen wird ausführlich offenbart – besonders durch den Sohn (Joh 1,18 ; Hebr 1,1ff ), wie vordem schon durch die Propheten. Die Offenbarung, oder nach Joh 1,18 die Exegese über Gott und sein Wesen, richtet sich aber an den Glauben des Menschen; sie tut dies sowohl dort, wo sie durch den Dienst der Propheten, sodann Jesu und der Apostel mündlich an die Menschen ergeht, als auch dort, wo sie, in Schrift verfaßt, vom Bibelblatte aus sich an uns wendet. In beiden Fällen appelliert die Offenbarung an den Glauben. In grundlegender Weise sagt Hebr 11,6: daß wer zu Gott nahen wolle, glauben müsse. Der Glaube ist das geistliche Verhalten des Menschen, bei welchem es zur rechten Gottesgemeinschaft kommt. Was nun Glaube sei, das lehrt uns ebenfalls der Hebräerbrief (11,1). Hier wird erklärt, daß der Glaube eine solche Überzeugung ist, bei der die gehofften Dinge in uns gegenwärtig sind, und wobei nicht gesehene Dinge von uns behauptet werden, als ob wir sie sähen44. Glaube ist demnach keine einseitig durch unser Begreifen zustandekommende Überzeugung, sondern es kommt erst dann zu einem Akt, der diesen Namen verdient, wenn die geglaubten Dinge auch wirklich in uns leben, gleichsam hypostatisch in uns vorhanden sind. Dann erst erweist sich der Glaube in seiner Wirksamkeit und tritt gleichsam in die Aktion, wenn er, durch Widersprüche gereizt, die nicht gesehenen Dinge behauptet und verteidigt, als ob er sie sähe. Das Mittel nun, wodurch diese Dinge in uns eine so lebendige Gegenwart erlangen, ist Gottes Geist, der sich dabei des Wortes Gottes bedient. Das Wort Gottes wird durch den Heiligen Geist in uns lebendig, und wo das geschieht, wird jene eigentümliche Überzeugung in uns wach gerufen, welche die Schrift „Glaube“ nennt. Glaube ist nach der Schrift die Hingabe an das in uns lebendige Wort göttlicher Offenbarung, an ein Objektives, welches lebendig und energisch in uns wirkt. Glaube ist weder ein bloßes Erkennen, wie Rom und die Rationalisten wollen, noch ein bloßes Fühlen, wie Schleiermacher behauptete; beides wäre einseitig und nur halb richtig; sondern es ist eine gewisse Erkenntnis und ein herzliches Vertrauen des innern Menschen, das auch auf den Willen hinübergreift und diesen Gott gehorsam macht. Am Klarsten wird dies Verhältnis, in das der Mensch durch den Akt des Glaubens zu den Gegenständen des Glaubens gerät, durch die hebräischen Worte !yma>eh, mit folgendem b, xm;B' und ![;v.nI und h~'x' mit folgendem l[; oder b bezeichnet. Das tertium comparationis ist die Speise oder ein Stab. Wie sich auf Grund der Speise das Leben auferbaut, und man durch dieselbe gestützt wird, so stützt das Objekt des Glaubens den inneren Menschen. Ja es ist in 5.Mose 8,3 sogar von einem hy"x' mit folgendem l[; die Rede: der Mensch lebt von allem, was aus Gottes Mund hervorgeht, nicht vom Brot allein. Die Offenbarung ruft also den Glauben hervor; sie richtet sich dabei nicht einseitig an das Erkenntnisvermögen, Gemüt oder an den Willen, sondern an den ganzen Menschen, sie umfaßt ihn ganz. Der Glaube wird also nicht durch unser subjektives Begreifen der göttlichen Dinge konstituiert, sondern zunächst dadurch, daß jene göttlichen Dinge den Menschen ergreifen und ihn herausfordern, daß er zu ihnen Stellung nehme, oder daß er auf Grund derselben lebe und sich auferbaue, mit dem Verstand, Gefühl und Willen sich ihnen hingebe. Daß nun die seligmachende, wahrhaft heilsame Erkenntnis Gottes erst durch die Offenbarung vermittelt wird, sagt die Schrift an vielen Stellen: vgl Mt 11,25.27; 13,11; Lk 8,10; 24,45; Joh 6,44.45.65; 8,47.51; 17,6.26; Apg 16,14; 1.Joh 2,20.27; besonders klar redet davon Röm 1,16; 1.Kor 1,21. Vgl. auch Calvins Inst. lib. I. Kap VI.
Simon W.

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§ 4. Einleitung (2. Teil)

In welcher Weise aber offenbart die Predigt der Propheten und Apostel dem Glaubenden das Wesen Gottes? Gibt die heilige Schrift etwa gleich im Anfang eine ausführliche Definition von Gottes Wesen? Das tut sie nicht. In der Tat wäre es ein vergebliches Bemühen, dem endlichen Geiste durch Definition einen Begriff vom unendlichen Gott beibringen zu wollen. Die Schrift schlägt einen andern Weg ein; sie nennt uns, und zwar gelegentlich, gewisse Namen Gottes. Das Wesen Gottes, so weit es den Menschen offenbar werden soll, prägt sich aus in gewissen Namen, deren Inhalt und besondere Bedeutung im weiteren Verkehr Gottes mit den Menschen näher erklärt wird. Diese Namen nun sind nichts Geringfügiges, nichts Inhaltsleeres, sondern sie bezeichnen das Wesen Gottes selber. Erst durch die Namen erhalten ja überhaupt die Dinge für uns eine Physiognomie. Der Name ist gleichsam der Brennpunkt, in welchem die verworrenen Vorstellungen von den Dingen fixiert oder gesammelt erscheinen. Ebenso verhält es sich nun mit den Namen Gottes. Diese Namen sind Offenbarungen des Wesens Gottes, und zwar so gefaßt, daß wir sie verstehen können. Ohne diese Namen wüßten wir nichts von Gott: durch sie allein sind uns Anhaltspunkte gegeben. Wir können nicht in die Sonne sehen, ohne geblendet zu werden, daher sendet uns die Sonne ihre Strahlen. Ganz ähnlich verhält es sich mit Gott. Wir können nicht in seinWesen hinein blicken; deshalb gibt er uns seine Namen und daneben gewisse Eigenschaften kund, die als einzelne Strahlen seines Wesens die menschliche Finsternis erleuchten. Die Entwicklung der Heiden hat uns gezeigt, daß sie das Bild Gottes, wie es die Schöpfung vermittelte, nicht erfaßten ; darum hat es Gott gefallen, dieses Bild durch das Brennglas der Offenbarung in die Seele hineinzuwerfen, und zwar hat er das getan von Anfang an. Er hat nicht gewartet, bis die Heiden ad absurdum geführt worden wären, sondern er hat sich von Anfang an ganz bestimmte Menschen, dann später ein Volk erwählt, in deren Herzen sein Bild lebte und wirkte. Das ist eben die Bedeutung der alten Ökonomie und des Volkes Israel, daß sie Träger der Offenbarung sind, gleichsam Lichtträger, die da scheinen inmitten eines abgefallenen Geschlechts. Neben den Namen finden sich in der heiligen Schrift auch noch mancherlei Eigenschaften Gottes. Dieselben sind unserem schwachen Verstande in ähnlicher Weise dienstbar, wie die Namen Gottes. Wir erhalten durch sie ebenfalls mannigfache Eindrücke von dem unergründlichen Wesen der Gottheit. Dabei unterscheiden sich Namen und Eigenschaften Gottes folgendermaßen. Während die Namen Gottes uns, so gut es für menschliche Einsicht angeht, dasWesen Gottes im allgemeinen und nach seinen Grundbestimmungen enthüllen, so offenbaren uns die Eigenschaften dieses Wesen im Besonderen und als ein in gewissen Richtungen tätiges. Indem wir nun die Eigenschaften getrennt von den Namen in einem besonderen Lehrstück behandeln, so tun wir das im Anschluß an die heilige Schrift. Aber die Eigenschaften sind darum nichts von dem Wesen Besonderes, sondern ein reiner Ausfluß desselben; es ist der ganze Gott, der sich in jedem nur denkbaren Moment offenbart und dem Menschen kundgibt. Gleichwohl wird aber das in sich untrennbare Wesen Gottes doch nach verschiedenen Richtungen hin tätig vorgestellt, und diese Erweisung in einer bestimmten Richtung definieren wir als eine Eigenschaft Gottes und reden von verschiedenen göttlichen Eigenschaften. Wir nennen Gott den Allmächtigen, Gerechten, Barmherzigen, wir reden von dem zürnenden und von dem liebenden Gott, also von verschiedenen Erweisungen dieses allerhöchsten Wesens. Damit aber tragen wir keine Spaltung in das göttliche Wesen ein. Es wäre verkehrt zu meinen, daß der zürnende und liebende Gott nicht aus einem Prinzip heraus handelte; dies hieße Gott anthropomorphisch betrachten, also auf das Gebiet des Menschen herabsetzen. Alles vielmehr, was von Gott ausgesagt wird, ist nur Ausfluß seines Wesens. Es bietet sich in jedem einzelnen Falle sein volles Wesen den Menschen dar; der zürnende ist derselbe, wie der liebende, der heilige derselbe, wie der gnädige Gott.
Simon W.

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I. LEHRSTÜCK
Die Gottes Wesen bezeichnenden Namen


§ 5. Gott als der absolut zu Fürchtende, als Elohim (1. Teil)

Der Gottesname Elohim und die Forderung, Gott zu fürchten, stehen in der heiligen Schrift in Beziehung zueinander. Elohim soll von einem Verbum stammen, welches fürchten bedeutet. Gehen wir hier aus von der Untersuchung, welcher Art die von der heiligen Schrift geforderte Furcht
Gottes sei. „Die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang“ sagt Salomo Spr 1,7; 9,10 sowie Hiob in Kap 28,28. Auch sonst wird wiederholt in der heiligen Schrift Israel zur Furcht Gottes ermahnt. 5.Mose 6,2; 8,6; 10,20; 13,5; Jer 10,7; Jes 50,10; 59,19. „Fürchte Gott und halte seine Gebote“: Pred 12,13. Joseph, Hiob, Nehemia fürchten Gott. So lehrt uns auch das neue Testament Gott erkennen als den, der zu fürchten ist; z.B. Mt 10,28. 1.Petr 2,17, namentlich aber Hebr 12,28.29. Diese Furcht aber, wozu der Mensch aufgefordert wird, ist wohl nichts anderes, als ein Korrelat zum Gottesnamen Elohim. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir behaupten: die Vorstellung, welche der Gottesname Elohim in den Menschen erweckt, habe zu solcher Forderung der Furcht Gottes den Anlaß gegeben. In diesem Namen Elohim liegt nach der Etymologie, daß der so Bezeichnete ein Inbegriff alles dessen sei, was zu fürchten ist. Der Singular Eloah von Hl'a', analog der arabischen radix „aliha“ bedeutet den Gegenstand, das Objekt der Furcht.45 Der daraus gebildete Plural Elohim bezeichnet den Träger dieses Namens als das Objekt aller nur denkbaren Furcht.46 Wer demnach Elohim nennt, der hat es mit dem höchst zu fürchtenden Wesen, das sich nur denken läßt, zu tun. Damit scheinen nun die Offenbarungsgläubigen auf einen ganz heidnischen Standpunkt herabgesetzt zu sein, auf welchem man durch die angeborenen Vorstellungen von Gott terrorisiert wurde und daher auf allerlei Auskunftsmittel bedacht war, um von dieser Furcht befreit zu werden. Aber das ist nur ein Schein; eine Furcht, die als höchstes Lob von einem Joseph, Hiob und Nehemia, sowie von anderen Männern Gottes prädiziert wird, ist keine knechtische Furcht. Diese Furcht ist nicht als ein Gefühl der Angst, als ein Horror zu denken. Die Furcht, die der Weisheit Anfang ist, hat einen wohltätig ruhigen, nicht aber einen schrecklichen Charakter. Diese Furcht ist eine Erregung des Menschen, aber von der Art, daß sie heilsam wirkt; nicht niederschlagend, sondern vielmehr erhebend. Die Furcht Gottes auf dem Boden der Schrift ist kein Gefühl der knechtischen Angst, obwohl die LXX dieses Wort meist durch φοβος (oder auch σεβεσθαι) wiedergeben. Die würdigste Wiedergabe des hebr. arey" würde ευλασεισθα sein. Ευλαβεια besteht in einem respektvollen behutsamen Verhalten, in der behutsamen Scheu. Die Stoiker (nach Diog. Laërt. 7,63) sagen, vom Weisen gelte das ευλαβηθησεσθαι ευλαβειαν ενατιαν (ειναι) τω φοβω ουσαν ευλογον εκκλισιν (opp. ορεξις); – d.h. es sei ευλαβεισθα ein vorsichtiges Verhalten, ein an sich Halten, und dazu steht dann im Gegensatz leidenschaftlicher Ungestüm. Es ist also ein Gefühl heiliger Scheu gemeint, wie man es etwa in Gegenwart eines guten Herrschers empfindet. Es ist Ehrfurcht gemeint, und also auch Elohim, der Gegenstand dieser Furcht, ein Inbegriff alles dessen, was mit Ehrfurcht zu umfassen ist. Solche Ehrfurcht vor Gott dem Vater wird auch Jesu in seinem Wandel auf Erden beigemessen. Hebr 5,7. Aus dieser ehrerbietigen Furcht und Achtung entsteht dann erst die rechte Liebe zu Gott; wie Luther sehr schön bei der Erklärung jedes der Gebote anhebt: „Wir sollen Gott fürchten und lieben“. Dem Namen Elohim entspricht im neuen Testamente θεος. In diesem Namen Elohim liegen nun beschlossen folgende Grundbestimmungen oder Grundeigentümlichkeiten des göttlichenWesens, welche dann freilich auch mit den anderen Namen Gottes verknüpft werden.
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Simon W.

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§ 5. Gott als der absolut zu Fürchtende, als Elohim (2. Teil)

1. In dem Namen Elohim liegt die Unsichtbarkeit und Geistigkeit, insbesondere auch der so wichtige Gegensatz zu allem, was Fleisch (Jes 31,3; Hiob 10,4) und endlich ist, ausgesprochen: jene Grundbestimmung des göttlichen Wesens, die Jesus ausdrückt, wenn er sagt: πνευμα ο θεος (pneuma ho theos) in Joh 4,24: Geist ist Gott, nicht Fleisch, wie der Mensch. Weiter liegt darin beschlossen, daß Gott in einem Lichte wohnt, wo niemand zukommen kann (1 Tim 6,16), und daß er ein solcher ist, den keiner von den Menschen gesehen (Joh 1,18). Daß Gott nicht abgebildet werden darf, liegt auch in diesem Namen: „Du sollst dir kein Bildnis machen“ (2.Mose 20,4).

2. In dem Namen Elohim liegt auch die Unendlichkeit und Unbegreiflichkeit Gottes beschlossen (1.Kön 8,27; 1.Chr 17,5.6; Jer 23,23.24; Hiob 11,7-9). Von Jahwe und Schaddai wird natürlich durchaus ähnliches prädiziert (Jes 40,13ff; 66,1ff; Ps 139,8-10.3. Auch die sogenannte Absolutheit, die Erhabenheit Gottes über seinen Geschöpfen, liegt in diesem Namen begründet (5.Mose 10,17; Neh 9,32; Dan 3,32f; Hiob 37,23; Ps 50,3.12; 66,3.5; 68,36; 76,8. Die gleiche Absolutheit schöpft offenbar Paulus aus diesem Namen, wenn er Gott 1.Tim 6,15 den alleinigen Machthaber, den König der Könige und den Herrn der Herren nennt; ferner, wenn er Gott entgegenstellt allem demjenigen, was sonst sich Gott und Herr nennen möchte (1.Kor 8,5-6). Eine dem Elohimnamen analoge Bedeutung hat das Prädikat ar"wOn von Gott, womit ein horror sacer gemeint ist (5.Mose 10,17). Sinnverwandt ist auch das neutestamentliche σεβασμα (sebasma) in 2.Thess 2,4. Man hat also im Elohimnamen erstens den Charakter der Unsichtbarkeit und Geistigkeit; zweitens den Charakter der Unendlichkeit und Unbegreiflichkeit; endlich den der Absolutheit oder der Priorität vor allem irgendwie Verehrungswürdigem und Geschaffenem im kleinsten Rahmen zusammengefaßt. Dieser Name Elohim ist nun aber nicht etwa ein schlechterer, untergeordneter oder unbedeutenderer Name, als der Name Jahwe, von welchem etliche sagen, daß er uns zu einer höheren Stufe der Gotteserkenntnis führe, sondern er ist sogar der weiteste und umfassendste Gottesname. Elohim ist der Inbegriff alles dessen, was zu ehren und anzubeten ist; es ist der Gott, der alles in allem ist; der θεος (theos) dem selbst Christus untertan sein wird nach 1.Kor 15,28, und vor dem er sich in den Tagen seines Fleisches gefürchtet hat (Hebr 5,7). Gerade von Elohim heißt es konstant, daß Er seines Volkes Elohim sein will. Dies tönt von Abrahams Zeiten an, wo Elohim einen Bund mit ihm schloß, bis zur Apokalypse hindurch. Vgl. 1.Mose 17,7. 3.Mose 26,12; Hos 2,1. Jer 31,33; Sach 8,8; Offb 21,3.47 Bei alledem aber ist nicht zu verkennen, daß Elohim doch noch nicht der zumeist charakteristische Gottesname ist, welcher Gott so ausschließlich zukäme, daß Übertragung auf andere unzulässig wäre. Denn auch die Richter heißen zuweilen Elohim (2.Mose 21,6; 22,8; in Ps 97,7 auch die Engel). Dies kommt daher, weil alles, was Macht und Ansehen hat im Himmel und auf Erden, solches nur von Gott hat, und also auch das Ansehen der Richter und das Amt der Engel von Gott gegeben und göttliche Autorität auf sie überfließt. Aber freilich wird niemals nur der einzelne Richter und Engel mit dem Elohimnamen angeredet, sondern nur als Ganzes, als Korporation heißen sie Elohim. Immerhin aber ersehen wir daraus, daß es noch einen ganz spezifischen Gottesnamen geben dürfte, einen Namen, der nicht den Kreaturen mitgeteilt wird und der uns sein Wesen im Vollmaß enthüllt, und das ist eben der Name Jahwe. Hierauf führen uns auch noch andere Erscheinungen. Elohim hat seine besondere Verwendung im Buche der Genesis und ebenso der Jahwename. Ganze Kapitel und kleinere Teile stehen gleichsam unter der Herrschaft des Elohimnamens; andere haben den Jahwenamen als Spezifikum, und durch den Wechsel der Namen wird den Kapiteln ein besonderer Charakter aufgedrückt. Elohim ist der Gott über allen Göttern und Menschen, er ist der höchste Gebieter desWeltalls, dem alles unterworfen ist. Als Elohim schafft er die Welt und läßt sie in großen Abstufungen aus dem Nichts hervortreten (1.Mose 1); er schließt den Bund mit Noah (1.Mose 7); er schließt den Bund, der auch die Heiden in die Segnungen Abrahams einbezieht (1.Mose 17). Als Elohim kennzeichnet Jesus seinen Vater in Mt 5,45, wo er von ihm sagt, daß er seine Sonne aufgehen lasse über Böse und Gute, und regnen lasse auf Gerechte und Ungerechte. Als Elohim wird Gott auch in der Apostelgeschichte wiederholt geschildert, besonders wo Paulus zu Heiden redet (Apg 14 und 17). Daneben laufen nun andere Abschnitte in 1.Mose her, die den Namen Jahwe an der Stirn tragen. Und dieser Name zeigt uns dann die Gottheit in einem anderen Lichte, als der Elohimname. Wenn Elohim uns den Gott über allen offenbart und gleichsam den weitesten Kreis zieht, so offenbart uns der Name Jahwe den Gott für uns und führt uns ein in das Zentrum, das schlagende Herz des Vaters im Himmel.
Simon W.

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§ 6. Der Gottesname „Jahwe“ (1. Teil)

Elohim ist den Menschen nach 2.Mose 2,4 von Anbeginn an als Jahwe bekannt gewesen. In Jahwe liegt das göttliche „Ich“ zu Tage; darin wird das göttliche Wesen als hilfsbereites für die Menschen expliziert. Dort, wo dieser Name von Gott selbst erklärt wird (2.Mose 3,14) expliziert Gott zugleich sein „Ich“. „Ich werde sein, der ich sein werde“. Auf diesem Namen beruht nun alles, was die Dogmatiker von der Persönlichkeit Gottes zu sagen wissen. Hier haben wir nicht mit einem bloßen Appellativum, sondern mit einem nomen proprium zu tun; in diesem Namen liegt die Persönlichkeit Gottes. Hätte Gott uns nicht diese seine Persönlichkeit geoffenbart und in einem Namen fixiert, sie wäre uns nie kund geworden. Die Philosophie führt uns nicht auf die Persönlichkeit Gottes, für sie schließt die Unendlichkeit Gottes die Persönlichkeit aus (Siehe Pfleiderer, „Grundriß“ S. 22, wo mit nüchternen Worten gesagt wird, daß die Vorstellung der „Persönlichkeit“ Gottes dem strengen Begriff der Absolutheit Gottes nicht angemessen sei, aber gut – für das Kultusbedürfnis.). In diesem Namen haben wir auch nicht mit den späteren Juden, z.B. Maimonides, philosophische Geheimnisse aufzuspüren, sondern eine Fülle des Trostes und der Belehrung zu suchen. Durch diesen Namen wird die angeborene Gottesidee mit einem unvergleichlich herrlichen Inhalte erfüllt. Er stammt her aus der Zeit vor Abraham. Nach der Schrift war er den ersten Menschen schon im Wesentlichen bekannt (1.Mose 2,4); diese Tatsache dürfen wir auf Moses Zeugnis hin annehmen, obgleich der Name erst um die Zeit des Auszugs aus Ägypten zur vollen Herrschaft kam (vgl. mein Werk: Zum Gesetz und zum Zeugnis, S. 153). Der Jahwename ist dem Mose aufs neue in den Mund gelegt (2.Mose 3,14). Als Mose zur Beglaubigung seiner göttlichen Mission den mit ihm redenden Elohim um einen Namen anspricht, mit welchem er sich vor dem Volke ausweisen konnte, da erhält er zur Antwort eine neue Ausdeutung des alten Jahwenamens. „Ich bin, der ich bin“ oder, was im Hebräischen dasselbe ist: „Ich werde sein, der ich sein werde“, lautete die Ausdeutung. Es ist gleichsam ein heiliges Wortspiel; eine Paraphrase des altheiligen Namens, die ebenso reichhaltig wie tröstlich ist, haben wir hier zu erkennen. In diesem Namen Jahwe liegen nun abermals fundamentale Bestimmungen, welche uns das Wesen der Gottheit näher bringen.

1. Es liegt in diesem Namen Jahwe die Persönlichkeit Gottes. Es ist Gott
zufolge dieses Namens eigentümlich, eine Person zu sein d.h. a se solo oder aus eigener Machtvollkommenheit „Ich“ zu sagen. Damit ist nun für unser „ich“ das himmlische „Ich“ als Gegenstück gegeben; ja vielmehr das Urbild des menschlichen „ich“, wonach Adam gemacht worden. Als Person also lernen wir Gott durch diesen Namen kennen. Er redet kraft dieses Namens mit uns von Angesicht zu Angesicht; er sieht uns an. Sein „Ich“, womit er uns in diesem Namen bekannt macht, regt uns an mit der Gottheit zu reden. Wir lernen „Du“ zu Gott sagen; und besitzen in diesem Namen das ausreichende Gegengift gegen den Pantheismus. Das göttliche Ich ist der einzige feste Punkt, von dem aus dann die anderen festen Punkte erst sichtbar werden. Auch unser „Ich“ hat durch das göttliche alle Garantien für sein Weiterbestehen, dafür, daß es nicht zerstäuben und sich in das Nichts auflösen wird. Gott sagt zuerst von sich aus „Ich bin"; er allein kann es aussagen mit der Autorität, die ihm, dem Allerhöchsten zusteht. Die anderen persönlichen Wesen partizipieren nur an diesem Sein, sofern sie zur Gemeinschaft mit Gott geschaffen worden sind.
Simon W.

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§ 6. Der Gottesname „Jahwe“ (2. Teil)

2. Es knüpft sich an diesen Namen Jahwe die Überzeugung von der Ewigkeit Gottes. Von Anfang der Welt an tritt uns der Träger dieses Namens als der Seiende, als ο ων, entgegen. Es läßt sich keine Zeit denken, in der Jahwe nicht „Ich“ von sich ausgesagt hätte; aber es läßt sich auch keine Zeit denken, da er aufhören würde, „Ich“ zu sagen. Dieser sein Name sagt also aus, daß der damit Bezeichnete in Ewigkeit derselbige ist. Was er uns war, ist er, wird er uns sein. Solches bekräftigt Jahwe noch ausdrücklich, indem er bei Jesaja 48,12 zu den Worten Ich bin es hinzufügt: Ich bin der Erste, dazu auch der Letzte, und ebenso in der Offenbarung 1,17, wo Christus sagt: „Ich bin der Erste und auch der Letzte“: Worte, welche den Jahwenamen umschreiben. Das Sein Jahwes steht über dem Wechsel der Zeiten und so sagt Ps 102,28: „Du bleibst, wie Du bist“.

3. Es liegt in diesem Namen die Lebendigkeit Gottes. Laut dieses Namens sagt Gott fortwährend: „ich bin“ oder „ich werde sein“. Es gibt also keinen Moment, der nicht von der Betätigung seines Daseins erfüllt wäre. In jedem Moment zeigt er, daß er ist, oder daß er sein wird. So verstehen wir nun, wie Paulus sagen kann: „von ihm, und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge“ Röm 11,36; oder 1.Kor 8,6: „Wir haben einen Gott und Vater εξ ου τα παντα. Zu vergleichen ist das Prädikat der Lebendigkeit in Ps 42,2: yx;; Offb 1,18: o` zw/n; dann die Schwurformel: „so wahr ich lebe“.

4. Es liegt in diesem Namen die Independenz, die Souveränität und Einzigkeit Gottes. Kraft dieses Namens sagt Jahwe mit Nachdruck: „Ich bin“ 5.Mose 32,39; Jes 43,10.13; 48,12; 52,6. Jahwe besteht mit Eifersucht auf der Anerkennung seines über allen Dingen erhabenen Standpunktes. Jahwe verteidigt bei den Propheten die Wahrheit, die in diesem Namen liegt; er handhabt sein Dasein und stellt es mit Nachdruck über alle Kreatur: erst komme ich, dann ihr. Sehr bezeichnend ist auch die Umschreibung des Jahwenamens in Jes 42,8: „Ich bin Jahwe, das ist mein Name; und meine Ehre laß ich keinem anderen, noch meinen Ruhm den Götzenbildern.“ Jahwe ist der Unbedingte, der Freie, der allein Mächtige, nach Jes 44,24. Ferner kann auch der bekannte Satz in 5.Mose 6,4 nur Beziehung auf die Einzigkeit haben, die Jahwe eigen ist mit Übergehung aller Götzen. Dieser Satz ist gegen den Polytheismus gesagt.

5. Es liegt in diesem Namen die Unveränderlichkeit, Wahrhaftigkeit und Treue in der Erfüllung der Verheißung. Und zwar führt gerade die klassische Stelle 2.Mose 3,14 auf diese Momente hin. Nach der Erklärung des Jahwenamens an jener Stelle enthält dieser Name eine Zusage an das Volk, daß Gott derselbe sein wird, daß er sich nicht verändere. Israel soll nur ihm vertrauen: „Ich werde sein, der ich sein werde“. Israel wird aufgefordert, dem daselbst redenden Gott volles Vertrauen zu schenken, der es sich vor behalten, wie, wann und durch wen die Erlösung kommt. In Anbetracht dieser neuen Manifestation des Gottes Israels bei der Ausführung aus Ägypten heißt es in 2.Mose 6,3, daß die Väter den Jahwenamen noch nicht erkannten; daß sie ihn durchaus nicht gekannt haben, sagt der Text nicht notwendig. Die neue Erlösung aus Ägypten bringt eben auch neue Daten, neue Anhaltspunkte für die Erkenntnis dieses Namens, womit verglichen die frühere Erkenntnis der Väter eine nicht so erhebliche war. Die Treue Jahwes in der Erfüllung der Verheißung feiert immer neue Triumphe, und der Glanz, in dem der Name bei der späteren Manifestation erscheint, läßt den früheren Glanz erbleichen. Daß nun aber die Väter in der Tat viel von Gott und seinem Wesen gesehen, ja alles von ihm erfahren, was zu ihrer Befriedigung diente, wissen wir aus ihrer Bekanntschaft mit dem Namen „EI Schaddai“, die in eben derselben Stelle (2.Mose 6,3) ihnen zugestanden wird. El Schaddai ist aber, wie wir sehen werden, der Gott aller Fülle, der allgenugsame Gott. Jahwe ist der Gott seines Volkes, welcher kommt die Verheißungen zu erfüllen. Jahwe ist Gott in Beziehung auf Christum, den Erlöser, der Gott, den wir im Werke der Erlösung kennen und verehren lernen. Elohim dagegen ist der Gott über den Menschen, gleichsam der weiteste Kreis, der äußerste Ring, der das Universum zusammenhält. Jahwe ist mehr der zentrale Name.
Simon W.

Der Pilgrim
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§ 7. Der Gottesname „El“ (1.Teil)

El ist ein uralter Gottesname, der recht eigentlich patriarchalische, besonders in der Form El Schaddai. Es ist ein Name, der in dem Gebiete der Israel benachbarten Heiden, bei den Babyloniern, den Kananitern und Syrern auch bekannt war, weshalb wohl später dieser Name mehr in den Hintergrund trat. Er findet sich häufig im Munde Bileams (4.Mose 22-24). El im Singular ist ein Wort, das stets und überall „Gott“ bedeutet und nirgends in der heiligen Schrift einem anderen Wesen beigelegt wird. El, welches von einem Verbum lWa, welches stark sein, Macht haben, bedeutet, abzuleiten ist, bezeichnet Gott als den Mächtigen; und wo zu Israel geredet wird, da bedeutet El constant den allein wahren Gott. Dieser Sprachgebrauch ist aus dem richtigen Takte zu erklären, daß der Gott der Offenbarung die „Macht“ beansprucht mit Ausschluß aller anderen Wesen, die eine Macht über die Menschen sich anmaßen. Gott als El κατ΄ εξ ist die reiche Quelle, aus der alles, was sonst Macht beansprucht, seine Macht abzuleiten hat. Er will allein der Mächtige sein und heißen kraft dieses Gottesnamens. Alle anderen Wesen, die Macht beanspruchen, stehen unter seinem Niveau. Aus diesem Gottesnamen fließen zwei Grundbestimmungen des göttlichen Wesens.

1. fließt daraus die Vorstellung von der Macht (δυναμις) der Gottheit. Diese hervorzuheben, dienen noch besondere Prädikate, die zu El hinzutreten. In 1.Mose 14,18.19 tritt „Eljon“ hinzu, d.h. der Hohe; dieses Prädikat dient zur weiteren Ausführung des in El liegenden Begriffes der Macht; umschrieben wird dies noch ebendaselbst durch den Beisatz, daß er Himmel und Erde zubereitet habe. Weiter tritt zu El das Prädikat „gibbor“ in Jes 10,21 – starker Gott. Aus dieser Erkenntnis, daß Gott der Mächtige sei, entwickeln sich dann verschiedene Ausdrücke, z.B. der Ausdruck: Abir Jakobs, der Mächtige, der Gewaltige Jakobs; schon bei Mose (1.Mose 49,24) und Jes 1,24; ferner Adir Jakobs Jes 10,34. Jene kühnen Beschreibungen Gottes als eines Löwen Hos. 5,14, oder als eines Kriegshelden Ps 7,13.14; 17,13; 68,18.19; Jes 34,5ff. 63,1ff. Hab 3,3.15 fließen aus der Anschauung Gottes als des El. Jedoch hat die Macht, die Gott mittelst dieses Namens El oder spezieller El Eljon zugeeignet wird, keineswegs bloß einen gewaltigen und dadurch erdrückenden Charakter, sondern sie hat auch eine liebliche Seite. Dieselbe tritt in El Schaddai hervor, wofür zuweilen auch „Schaddai“ allein steht. 1.Mose 49,25; Jes 13,6. Damit kommen wir

2. zu der Vorstellung von der Güte Gottes, die an El sich anschließt. Über die Bedeutung von „Schaddai“ ist gestritten worden. Es ist nun nichts als ein jüdischesVorurteil, das dazu auf einer falschen Etymologie ruht, wenn man sagt, daß auch Schaddai die Macht und Gewalt Gottes zu bezeichnen diene. Man leitet es dann ab von „schadad“, niederwerfen, niedertreten, eine Bezeichnung, die, wie Luther in seinen Enarrationes in Genes. fol. 190 l. sagt, eher für die Dämonen als für Gott passend wäre. Schaddai bedeutet aber nach richtiger Etymologie den Allgenugsamen, den Gott, der uns mit Strömen des Segens überschüttet. Schaddai ist von einem Verbum Hd"v' abzuleiten, das übergießen, überströmen bedeutet. Die Nominalendung y-: ist eine altertümliche und zugleich moderne bei den Hebräern; sie kommt vor in Namen wie Sarai – dann aber auch in einem Namen wie Thaddai, dem Apostel, der Thaddäus genannt wird. Man muß zum besseren Verständnis dieses Namens „El Schaddai“ bedenken, daß die Hebräer und auch die Araber die Liberalität und Mitteilsamkeit gern unter dem Bilde des milden Regens, oder einer nicht versiegenden Quelle, ja selbst einer feuchten Hand anschauen. Indem nun dies auf Gott angewendet wird, so erscheint derselbe als Schaddai unter dem Bilde des freigebigen, alle beglückenden Vaters im Himmel. Was die ältere Dogmatik unter den Begriff der bonitas zusammenfaßte, das ist nur eine Grundbestimmung des Wesens Gottes, zu welcher der Gottesname El Schaddai den Anstoß in der Vorstellung des Volkes Gottes gegeben. Dieser Name war übrigens nach 2.Mose 6,3 der spezifisch patriarchalische Gottesname; an ihm können wir die Fülle der Gotteserkenntnis in jener Zeit messen.
Simon W.

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