Wird es wieder einen Tempel geben?

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Gast

Wird es wieder einen Tempel geben?

Beitrag von Gast »

Hallo,

die dispensationalistische Antwort zu dieser Frage kenne ich. Mich interessieren nicht-dispensationalistische, biblisch fundierte Auslegungen.

Ausgangssituation zu der Frage war für mich folgender Text:

1.Tes.,3 "Lasset euch niemand verführen in keinerlei Weise; denn er (=Tag Christi; Vers 2) kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens,4 der da ist der Widersacher und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, also daß er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott."

Die Tessalonicher bekamen diesen Brief ja während der Tempel in Jerusalem noch stand, so daß für sie klar gewesen sein dürfte, daß es sich um den Tempel in Jerusalem handelt. Da ja nun dieser Tempel abgerissen wurde, kann sich der Mensch der Sünde (der hier ja ausdrücklich als wirkliche Person vorgestellt wird) nicht mehr in diesen Tempel setzten. Daher stellt sich mir die Frage, ob der Tempel wieder gebaut wird, oder ob mit dem Tempel die Gemeinde gemeint ist. Doch geht das aus dem Text hervor? Und wie soll sich ein Mensch in die Gemeinde setzten?

Grüße,

David

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H.W.Deppe
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Beitrag von H.W.Deppe »

Wenn jetzt wieder ein Tempel in Jersusalem gebaut und der jüdische Kultus darin wieder aufgenommen würde, wäre das wohl kaum der "Tempel Gottes". Die heilsgeschichtlichen Ereignisse und Umwälzungen des 1. Jahrhunderts werden schwerlich rückgängig gemacht werden. Der Herr Jesus selbst sprach von einem Wiederaufbau des Tempels im nicht buchstäblichen Sinne (Joh 2,19)

Die reformatorische historisierende Sichtweise sieht in dem "Mensch der Gesetzlosigkeit" das Papsttum. Der Papst hat sich tatsächlich in die Gemeinde, den neutestamentlichen Tempel, gesetzt und beansprucht für sich all das, was nur den drei Personen Gottes zusteht: Heiliger Vater (entgegen Mt 23,9), Oberhaupt der Kirche (welches allein Christus ist) und Stellvertreter Christi (das ist der Heilige Geist).
In der Gegenreformation haben Jesuiten die rein futuristische Auslegung prophetischer Schriftstellen wie dieser und der Offenbarung ersonnen, um den Protestanten, die im Papst den Antichristen sahen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Später hat Darby das System dieser Jesuiten aufgegriffen, daraus wurde der Dispensationalismus.

Eine gemäßigte (idealistische) futuristische reformatorische Sicht vertritt z.B. Gregory Beale, den ich im folgenden kurz wiedergeben möchte (aus G.K. Beale: 1-2 Thessalonichans:

2Thes 2,3-4 steht in klarer Parallele zu Daniel 11,31.36. Der endzeitliche Feind greift das Volk Gottes in zwei Formen an. Erstens verführt er sie mit "glatten Worten" (Dan 11,32, der "Abfall" aus 2Thes 2,3) und zweitens verfolgt er die treuen Gläubigen mit Gewalt (Dan 11,33-35.44). Er erhöht sich selbst über Gott (Dan 11,36) und wird schließlich gerichtet (Dan 11,45).

Die Ansicht, hier sei ein buchstäblicher künftiger Tempel in Jersusalem gemeint, ist aus zweierlei Gründen problematisch: Erstens geht es in 2Thes 2,3 weder um einen Abfall im geografischen Israel noch unter ohnehin Ungläubigen, sondern um einen Abfall innerhalb der Gemeinde. Zweitens verdeutlicht der Gebrauch des Ausdrucks "Tempel" in 2,4 selbst, dass der Ort des Abfalls die Gemeinde ist und dass sie auch der Ort ist, wo sich an Israel gerichtete alttestamentliche Prophezeiungen über die Endzeit erfüllen. Denn der Ausdruck "Tempel Gottes" kommt im NT außerhalb von 2Thes noch 9 Mal vor und bezieht sich fast immer auf Christus und die Gemeinde. In den paulinischen Schriften bezeichnet der Ausdruck kein einziges Mal einen buchstäblichen Tempel. Der Herr Jesus selbst sprach von einem Wiederaufbau des Tempels im nicht buchstäblichen Sinne (Joh 2,19). Den wahren Tempel Gottes finden wir auch in Offb 3,12; 11,1.19 etc.
Weil der Herr Jesus der wahre Tempel ist, wird auch die Gemeinde, sein Leib, als "Tempel" bezeichnet (1Kor 3,16-17; 6,18-19 [vgl. 1Thes 4,3-8] 2Kor 6,16; Eph 2,19-21; 1Petr 2,4-7; Offb 13,6 u.a.).

Das "Sitzen" des Menschen der Gesetzlosigkeit im "Tempel" drückt wahrscheinlich seinen autoritären, herrschenden Einfluss aus (vgl. Mt 23,2; 26,64; Apg 2,30-36; Hebr 1,3; 8,1; 10,12; 12,2; Offb 3,21; 14,14-15; Babylon in Offb 17,1.15.18 etc.)

Grüße, Werner
"Der Prophet, der einen Traum hat, erzähle den Traum! Wer aber mein Wort hat, rede mein Wort in Wahrheit! Was hat das Stroh mit dem Korn gemeinsam? spricht der HERR." (Jer 23,28)
Lasst uns bei dem bleiben, was geschrieben steht! Sola Scriptura!

Gast

Beitrag von Gast »

Hallo Werner,

danke für Deine Antwort.
Der Papst hat sich tatsächlich in die Gemeinde, den neutestamentlichen Tempel, gesetzt und beansprucht für sich all das, was nur den drei Personen Gottes zusteht: Heiliger Vater (entgegen Mt 23,9), Oberhaupt der Kirche (welches allein Christus ist) und Stellvertreter Christi (das ist der Heilige Geist).
Dazu habe ich noch zwei Fragen:

Gehört die Katholische Kirche zur Gemeinde?

Hier ist doch von einer noch zukünftigen Person die Rede, die für die Christen erkannt wird. Paulus nennt dies ja als Grund dafür, daß der Tag Christi noch nicht da war und er auch erst kommen wird, wenn eben dieser eine, der Mensch des Verderbens, gekommen ist. Ansonsten würde ja diese Begründung keinen Sinn machen.

Liebe Grüße,

David

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H.W.Deppe
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Beitrag von H.W.Deppe »

David S. hat geschrieben:Gehört die Katholische Kirche zur Gemeinde?
Die RKK (römisch ist nicht "katholisch" [allgemein]) gehört m.E. zur Christenheit, allerdings zur abgefallenen. In Israel gehörten ja auch nicht alle zum wahren Israel, nur ein treuer Überrest.

Als das Papsttum aufkam (schwer zu datieren, da die Machtstellung des Bischofs von Rom = des Papstes im Laufe der Jahrhunderte schrittweise immer mehr zunahm), war der Abfall in dem Teil der Christenheit, die sich ihm zugehörig erachtete, jedoch noch nicht so weit fortgeschritten wie heute. Von daher hat sich das Papsttum tatsächlich "unter Gläubigen" ausgebreitet. Siehe dazu auch die Themen der Sendschreiben, wo oft davon die Rede ist, dass die treuen Gläubigen dem vorherrschenden Abfall in ihren eigenen Reihen widerstehen müssen.
David S. hat geschrieben:Hier ist doch von einer noch zukünftigen Person die Rede
Als der 2Thes geschrieben wurde, war das zweifllos noch zukünftig. Das "Geheimnis der Gesetzlosigkeit" war aber damals schon "wirksam" (2Thes 2,7) - was aber direkt zu der Frage führt, was mit dem "Aufhaltenden" gemeint ist. Wenn dieses/dieser aus dem Weg ist, offenbart sich der Mensch der Gesetzlosigkeit. Ich hatte dies bereits diskutiert unter http://www.betanien.de/forum/viewtopic.php?p=4858#4858 .

Die Eschatologie des NT ist von einem Schon-jetzt/Noch-nicht-Prinzip geprägt ("Inaugurated Eschatology"). Dies entspricht dem fortschreitenden Parallelismus (Rekapitulation mit Steigerungen) der Offenbarung. Typisches Beispiel ist der "Antichrist": Das NT lehrt, dass es "viele Antichristen" gibt, die schon zur Zeit des Johannes aktiv waren, und dass es nicht unbedingt eine einzelne Person, sondern ein "Geist des Antichristen" ist. Andererseits deutet vieles darauf hin, wie insbesondere 2Thes 2, dass es unmittelbar vor der Wiederkunft Jesu einen ganz besonderen "Antichristen" geben wird.

Grüße, Werner

PS: In meinem ersten Beitrag hatte ich mich bemüht, mich nur darstellend auszudrücken, ohne mich selber zu positionieren :wink:
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