Beitragvon Jörg » 21.04.2009 20:16
Ich zitiere einmal C.H. Spurgeon (The Metropolitan Tabernacle Pulpit, Band 26, 1880, S. 49-50):
„Möge Gott, der Heilige Geist uns heute Abend bei unseren Überlegungen leiten, möge er geben, dass Sünder errettet werden und bei den Heiligen [den Gläubigen] Eifer entfacht wird. Ich beabsichtige nicht, in polemischer Weise an den vorliegenden Bibelabschnitt heranzugehen. Er ist wie der Eckstein eines Gebäudes. Er lässt uns auf eine andere Seite des Evangeliums blicken, die wir im Allgemeinen nicht sehen. An dieser Stelle treffen nämlich zwei Seiten des Gebäudes der Wahrheit aufeinander. In vielen Dörfern gibt es Strassenecken, an denen sich die Müssiggänger und Streitlustigen treffen; und auch die Theologie kennt derartige Ecken.
Es wäre äusserst einfach, sich in die Schlachtreihen jener Personen zu begeben und die nächste halbe Stunde eine heftige Attacke gegen diejenigen zu reiten, die hinsichtlich bestimmter Punkte, die der vorliegende Bibelabschnitt aufwerfen mag, anderer Meinung sind als wir. Doch ich sehe nicht, dass dies irgendeinen Nutzen haben könnte, und da wir sehr wenig Zeit haben, und das Leben so kurz ist, sollten wir diese Zeit besser damit verbringen, etwas zu unserer allseitigen Auferbauung zu
tun. Möge uns Gottes guter Geist vor einer streitsüchtigen Geisteshaltung bewahren und uns dabei helfen, dass wir ganz praktisch von Seinem Wort profitieren. Es ist ziemlich offensichtlich, dass wenn es in der Bibel heisst, dass Gott will, dass alle Menschen gerettet werden,
dies nicht bedeutet, dass besagter Wille mit der Kraft eines Gebotes vergleichbar wäre, oder dass es sich hierbei um Gottes absoluten Vorsatz handelt, denn, wenn dies so wäre, dann würden ohne jeden Zweifel alle Menschen gerettet werden. Es war Gottes Wille, die Welt zu erschaffen und Er erschuf sie, aber so ist es nicht, was die Errettung der Menschen anbelangt. Denn wir wissen, dass letzten Endes nicht alle Menschen gerettet werden. So furchtbar diese Wahrheit auch sein mag, so macht die Heilige Schrift doch ganz deutlich, dass es Menschen geben wird, die infolge ihrer Sünde und ihrer Ablehnung des Heilands der immerwährenden Strafe, bzw. jenem Ort überliefert werden, wo das Weinen und das Zähneknirschen sein wird. Es wird letztlich sowohl Böcke zur Linken als auch Schafe zur Rechten geben, sowohl Unkraut, das mit Feuer verbrannt, als auch Weizen, der eingesammelt werden wird, sowohl Spreu, die der Wind davontreiben, als auch Getreide, das abgeerntet werden wird. Es gibt sowohl eine fürchterliche Hölle als auch einen
herrlichen Himmel, und es gibt keinen einzigen Beleg, der von dem Gegenteil spricht. Was nun? Sollen wir etwa versuchen, dem Bibeltext eine andere Bedeutung zu geben, als die, die er ganz offensichtlich hat? Ich werde das nicht versuchen. Euch – den meisten von euch – ist sicher bekannt, wie unsere älteren calvinistischen Freunde diesen Bibeltext verstehen. „Alle Menschen“, so sagen sie, „bedeutet EINIGE MENSCHEN“; als ob der Heilige Geist nicht in der Lage wäre „einige Menschen“ zu sagen, wenn Er einige Menschen meint. „Alle Menschen bedeutet“, so sagen sie, „einige Menschen aller Art“; als ob der Herr nicht im Stande wäre „alle Arten von Menschen“ zu sagen, wenn Er alle Arten von Menschen meint. Da der Heilige Geist den Apostel die Worte „alle Menschen“ schreiben liess, meint Er ohne jeden Zweifel alle Menschen. Ich weiss nur zu gut, wie man sich gemäss besagter kritischer
Denkweise, die vor einiger Zeit ziemlich populär war, der Kraft des Wortes „alle“ entledigen kann. Aber ich denke nicht, dass man so der Wahrheit Genüge tut. Ich habe gerade erst die Ausführungen eines sehr fähigen Doktors der Theologie betrachtet. Durch seine Auslegung wird jener Bibeltext wegerklärt; er fährt grammatikalisches Schiesspulver auf und lässt dieses dann mittels seiner Auslegung explodieren. Als ich seine Ausführungen las, dachte ich, dass sie ein äusserst wichtiger Kommentar zu einem Bibeltext wären – wenn der entsprechende Vers wie folgt lauten würde: „welcher WEDER WILL, dass alle Menschen gerettet werden, noch dass sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ Wenn das die Aussage
des inspirierten Bibelverses wäre, dann hätte der Kommentar jenes gelehrten Doktors ziemlich genau ins Schwarze getroffen. Der Bibelvers lautet jedoch: „welcher WILL, dass alle Menschen errettet werden“, und deshalb sind seine Anmerkungen mehr als unangebracht. Meine Liebe zur Widerspruchslosigkeit meiner lehrmässigen Auffassungen ist nicht so gross, dass ich daraus das Recht ableiten würde, auch nur einen einzelnen Bibelvers der Heiligen Schrift wissentlich abzuändern. Zwar habe ich eine grosse Hochachtung vor der Orthodoxie, aber meine Ehrfurcht vor der Inspiration ist sehr viel grösser. Ich würde mir eher hundertmal selbst widersprechen, als dem Wort Gottes. Ich habe es
übrigens nie für ein sehr grosses Verbrechen gehalten, dass ich mir gelegentlich widerspreche, denn wer bin ich schon, dass meine Aussagen stets widerspruchsfrei sein sollten? Aber ich halte es für ein äusserst schweres Verbrechen, Aussagen zu machen, die im Widerspruch zum
Wort Gottes stehen. Und daher möchte ich keinen Ast, ja nicht einmal einen winzigen Zweig von einem einzigen Baum, der sich im Wald der Heiligen Schrift befindet, abbrechen. Gott behüte mich davor, dass ich in irgendeiner Art und Weise – und sei es noch so gering – auch nur an einem einzigen Wort der Bibel herumkürze oder herumfeile. Was
den vorliegenden Bibeltext anbelangt, so macht dieser ganz deutlich – und so muss er auch gelesen werden –, dass unser Heiland-Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“.“
Gruß Jörg
Es muß alles erst einmal an Gott vorüber, bevor es mich treffen kann. (Helmut Thielicke)