Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps92

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15. Und wenn sie gleich alt werden, werden sie dennoch blühen (oder kräftig sprossen, Frucht tragen). Das natürliche Leben mag abnehmen, aber das Gnadenleben wird in frischem Triebe stehen. Im Naturleben gehört das Fruchttragen der Zeit der Vollkraft an; in dem Garten der Gnade werden die Pflanzen gerade dann, wenn sie in sich schwach sind, stark in dem HERRN und werden erfüllt mit Früchten, die Gott angenehm sind. Wohl denen, die diesen Sabbatpsalm singen können mit der seligen Ruhe des Gemütes, die uns in jedem Vers dieses Liedes so erquickend anweht. Solche Leute kann keine Furcht wegen der Zukunft bedrücken; denn die trüben Tage des Alters, in denen auch dem starken Manne die Kraft versagt, werden ihnen durch die freundliche Verheißung erhellt, so dass sie ihnen ruhig entgegensehen können. Betagte Gotteskinder haben eine gereifte Erfahrung und dienen vielen zur Stärkung und Erquickung durch die Milde ihres Wesens und ihre köstlichen Zeugnisse. Selbst wenn sie an ihr Lager gefesselt sind, bringen sie die Frucht der Geduld; sind sie arm und niedrig, so wird ihr demütiger und zufriedener Sinn ein Gegenstand der Bewunderung für alle diejenigen, die anspruchslose Würde zu schätzen wissen. Die Gnade lässt den Gläubigen nicht im Stich, wenn die Hüter im Hause zittern. Die Verheißung bleibt auch dann gewiss, wenn die Augen sie nicht mehr lesen können. Vom Brot des Lebens kann man sich nähren, auch wenn die Müller müßig stehen. Und die Stimme des Geistes erklingt auch dann noch melodisch in der Seele, wenn gedämpft sind alle Töchter des Gesanges. (Pred. 12,3 f.) Gepriesen sei der HERR, dass er auch für die Greise der ewig treue Jehovah ist, der sein Volk gemacht hat und darum die Seinen auch bis ins Alter hebt und trägt.
Fruchtbar (wörtl.: saftvoll) und frisch werden sie sein. Sie schleppen sich nicht mühsam und elend zu Tode, sondern sind wie Bäume, die im vollen Saft stehen und darum in üppigem Schmuck prangen. Gott zwickt und zwackt seine Knechte nicht, wenn ihre Gebrechen zunehmen, noch lässt er sie ohne Brot und ohne Trost, wenn sie alt werden, sondern er sorgt vielmehr dafür, dass ihre Kraft sich erneuert, indem er ihr Alter mit Gutem sättigt von seiner eigenen königlichen Tafel. Solch ein Greis wie der alte Paulus (Philemon V. 9) fordert wahrlich nicht unser Mitleid heraus, sondern treibt uns zu tiefem Mitgefühl des Dankes; denn wenn auch sein äußerlicher Mensch verdirbt, so wird doch sein innerlicher Mensch von Tage zu Tage so erneuert (2. Kor. 4,16), dass wir ihn um seinen immerwährenden Frieden wohl beneiden können.

16. Die den Alten erwiesene freundliche Barmherzigkeit Gottes ist ein Beweis seiner Treue und führt sie dazu, dass sie verkündigen, dass der HERR so fromm ist, indem sie von seiner unermüdlichen Güte freudig zeugen. Wir dienen nicht einem Meister, der sich feig von seinem Versprechen zurückzieht. Wer uns sonst auch enttäusche, Er wird uns nie Anlass geben, an seiner Redlichkeit irre zu werden. Jeder greise Christ ist ein Empfehlungsbrief der unwandelbaren Treue Jehovahs. Mein Hort, und ist kein Unrecht an ihm. Hier drückt der Psalmist sein eigenes Siegel dem, was er vom HERRN geschrieben hat, bei. Er baut fort und fort auf seinen Gott, und der HERR bleibt ihm ein fester Grund für sein Vertrauen. Gott ist unser Hort oder Fels als Stätte der Zuflucht, als Obdach, als sichere Feste und als fester Grund für unsere Füße. Bis zu dieser Stunde ist er für uns alle das gewesen, was er zu sein versprochen hat, und wir dürfen des unerschütterlich gewiss sein, dass er derselbe bleiben wird bis zum Ende. Er hat uns in manche Proben geführt, aber er hat uns niemals versuchen lassen über unser Vermögen; er mag die Auszahlung unseres Lohnes hinausgeschoben haben, aber er ist nicht ungerecht, dass er vergesse unseres Werks des Glaubens und unserer Arbeit der Liebe. Er ist ein Freund ohne Tadel und ein Helfer, in Nöten kräftig erfunden. Was er auch immer mit uns anfangen mag, er bleibt stets im Recht; seine Anordnungen sind samt und sonders irrtumslos. Er ist durch und durch treu und gerecht. So schlingen wir denn das Ende des Psalms mit dem Anfang zusammen und machen daraus einen Ehrenkranz für das Haupt unseres himmlischen Freundes. Das ist ein köstlich Ding, dem HERRN danken, denn er ist mein Hort, und ist kein Unrecht an ihm.

Erläuterungen und Kernworte

Ein Psalmlied auf den Sabbattag. Jeder Tag der Woche hatte nach dem Talmud (wenigstens in der Zeit des zweiten Tempels) seinen ihm zugewiesenen Psalm. Am 1. Tage der Woche sangen die Leviten den 24. Psalm, am 2. den 48., am 3. den 82., am 4. den 94., am 5. den 81., am 6. den 93. und am 7. den 92. Die Überschrift dieses Psalms: "auf den Sabbattag" weist wohl auch hinaus auf das zukünftige Zeitalter, welches ein völliger Sabbat sein wird. Martin Geier † 1681.

Es ist bemerkenswert, dass der Name Jehovah in diesem Psalm siebenmal, also in der Sabbatzahl, vorkommt (V. 2.5.6.9.10.14.16). Dr. Chr. Wordsworth 1868.

V. 2. Das ist ein köstlich Ding usw. Danken ist an sich edler und vollkommener als bitten, denn beim Bitten haben wir oft unser Wohlergehen im Auge, beim Danken aber nur Gottes Ehre. Der Herr Jesus hat gesagt, geben sei seliger als nehmen. Nun ist aber, wenigstens bei vielen Bitten, der Zweck der, irgendein Gut von Gott zu empfangen, wohingegen der ausschließliche Zweck des Dankens der ist, Gott Ehre zu geben. William Ames † 1633.

Danken, lobsingen. Wir danken Gott für seine Wohltaten und lobsingen ihm wegen seiner Vollkommenheiten. Filliucius, angeführt von Thomas von Aquino.

Lobsingen. 1) Gesang ist die Musik der Natur. Die Schrift spricht davon, dass die Berge mit Jauchzen frohlocken (Jes. 44,23), dass die Anger und Talgründe einander zujauchzen und singen (Ps. 65,14 Grundt), dass die Bäume im Walde jauchzen (1. Chr. 16,33); und die Luft ist der Vögel Liedersaal, wo sie ihre klangreichen Weisen ertönen lassen.
2) Gesang ist die Musik, die sich zu den göttlichen Gnadenmitteln schickt. Augustinus berichtet, er habe, als er nach Mailand gekommen sei und das Volk habe singen hören, vor Freuden über die lieblichen Weisen geweint, die er in der Kirche gehört. Und Beza, er habe, als er zum ersten Mal in die evangelische Predigt gekommen sei und den 91. Psalm habe singen hören, sich überaus erquickt gefühlt und die erhebenden Klänge tief in seinem Herzen bewahrt. Nach den Rabbinen haben die Juden bei den Festen stets den 113. und die fünf folgenden Psalmen gesungen, wie denn auch der Herr Jesus mit seinen Aposteln nach dem heiligen Abendmahl den Lobgesang anstimmte. (Mt. 26,30.)
3) Gesang ist die Musik der Heiligen. Diesen Gottesdienst haben sie geübt in der großen Gemeinde (Ps. 149,1; 22,26) und alleine (Ps. 119,54), in den größten Nöten (Ps. 89,2) wie nach den herrlichsten Errettungen (Ps. 18). Der Psalter ist voller Beispiele davon, dass die Gottesmänner unter all den wechselnden Verhältnissen das Lobsingen als ihre Pflicht und ihre Freude geachtet und geübt haben. Und ist nicht in der Tat jede der göttlichen Eigenschaften dazu geeignet, Lied und Lob zu wecken?
4) Gesang ist die Musik der Engel. Im Buche Hiob (38,7) sagt der HERR, es hätten bei der Schöpfung die Gottessöhne alle im Chor mit den Morgensternen gejauchzt. Und als der himmlische Bote hernieder gesandt wurde, die Geburt unseres teuren Heilandes zu verkündigen, da begleitete die ganze Menge der himmlischen Heerscharen die Freudenkunde mit einem herrlichen Lobgesang (Lk. 2,13.) Ja, auch im Himmel klingt der Engel frohe Musica; dort singen sie das Hallelujah dem Allerhöchsten und dem Lamme. (Off. 5,11-13.)
5) Gesang ist die Musik des Himmels. Die verklärten Heiligen und die herrlichen Engel stimmen dort in ihrer Glückseligkeit miteinander den harmonischen Lobgesang an. John Wells † 1676.

V. 3. Des Morgens. Nach der Ruhe der Nacht ist unser Geist lebhafter, gesammelter und empfänglicher als sonst. Zu andern Tageszeiten stört uns der Lärm des geschäftigen Treibens, an uns selber kommen so vielerlei Anforderungen, und wir werden von Mattigkeit niedergedrückt. Man vergleiche Ps. 5,4; 59,17; 63,2; 88,14; 119,147 f., wo dieselbe Tageszeit als die für heilige Betrachtungen geeignetste gerühmt wird. Freilich soll das Lob Gottes nicht ausschließlich in der Frühe erklingen. Martin Geier † 1681.

Die Brahmanen erheben sich drei Stunden vor Sonnenaufgang zum Gebet von ihrem Lager. Die Hindus würden es für eine große Sünde achten, morgens etwas zu genießen, ehe sie zu ihren Göttern gebetet haben. Die alten Römer hielten es für gottlos, im Hause keinen besondern Ort fürs Gebet zu haben. Wir könnten wohl etwas von Türken und Heiden lernen. Sollten wir, die wir das wahre Licht haben, uns von ihnen an Eifer übertreffen lassen? Fr. Arndt 1861.

Die Gnade wird hier absichtlich mit dem Morgen-Anbruch verbunden, denn sie ist selber Morgenlicht, welches allmorgendlich (Klgl. 3,23) die Nacht durchbricht (Psalm 30,6; 59,17), und die Treue mit den Nächten, denn in den Gefährden der Nachteinsamkeit ist sie die beste Gefährtin, und Leidensnächte sind die beste Folie ihrer Bewährung. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Gott ist das A und das O. Es geziemt uns, dass wir den Tag mit dem Lobe dessen anfangen und schließen, der für uns den Tag mit Gnade beginnen und enden lässt. Du siehst deine Pflicht dir also klar vorgeschrieben. Willst du, dass Gott dein Tagewerk fördere und dir die Nachtruhe versüße, so umschließe beide mit deiner Morgen- und Abendandacht. Wer nicht darauf achtet, Gott seinen Anteil am Tage des Morgens abzusondern, raubt nicht nur Gott, was ihm gebührt, sondern beraubt sich selbst für den ganzen Tag des Segens, welchen treues Gebet seinen Unternehmungen hätte vom Himmel herabbringen können. Und wer des Abends seine Augen schließt, ohne zu beten, legt sich zur Ruhe, ehe sein Bett gemacht ist. William Gurnall † 1679.

V. 4. In einem Briefe des Augustinus an seinen geistlichen Vater Ambrosius kommt folgende Stelle vor: "Zuzeiten möchte ich in einem Übermaß von Eifersucht, aus Furcht, dass das Ohr uns verführe, die lieblichen Weisen, die wir zu den Psalmen brauchen, ganz für mich wie für die Gemeinde beseitigen. Und das Vorgehen des Athanasius (des Bischofs von Alexandrien), der den Vorleser mit so geringem Wechsel des Tonfalls singen ließ, dass es mehr ein Sprechen als ein Singen war, mag wohl das sicherste sein. Und doch, wenn ich mich der Tränen erinnere, die ich vergoss, als ich in der Kindheit meines wieder erwachten Glaubens deine Gemeinde ihre Lieder singen hörte, und bedenke, wie tief ich damals innerlich bewegt wurde, nicht durch die Musik allein, sondern durch den Inhalt der Gesänge, der einem durch die klaren Stimmen und die angemessenen Singweisen so trefflich zu Gemüt gebracht wurde, dann muss ich wiederum eingestehen, dass die Sitte überaus nützlich ist." Augustinus † 430.

Wir haben nicht zu denken, dass Gott sich an Harfe und Zither ergötze, als ob er wie wir eine Freude an dem bloßen Klang der Töne hätte; aber die Juden waren, weil sie sich noch im Stande der Unmündigkeit befanden, auf den Gebrauch solcher kindischen Dinge gewiesen. Der Zweck der gottesdienstlichen Musik war der, die am Gottesdienst Teilnehmenden anzuregen, dass sie mit ihrem Herzen Gott eifriger priesen. Wir sollen des eingedenk ein, dass bei den echten Israeliten nie die Meinung herrschte, als bestehe die Anbetung Gottes ans solchen äußerlichen Dingen, die vielmehr nur ein Notbehelf waren, um einem noch schwachen und unwissenden Volke in der geistlichen Anbetung Gottes zu helfen. Es ist in dieser Beziehung der Unterschied zu beachten zwischen dem Volke Gottes im Alten und im Neuen Bunde. Jetzt, nachdem Christus erschienen und die Gemeinde zum mündigen Alter fortgeschritten ist, hieße es das Licht des Evangeliums verdunkeln, wenn wir die schattenhaften Dinge der früheren Haushaltung wieder einführen wollten. Es dünkt uns darum, dass die Papisten, indem sie die Instrumentalmusik im Gottesdienst verwenden, die Sitte des alten Gottesvolkes nicht sowohl nachahmen als vielmehr in sinnloser und verwerflicher Weise nachäffen, da sie eine kindische Freude an jenem alttestamentlichen Gottesdienst zeigen, der doch sinnbildlich war und mit dem Evangelium sein Ende fand. Jean Calvin † 1564.

Chrysostomus († 407) sagt: Die Instrumentalmusik wurde, gerade wie das Opfer, den Juden gestattet wegen der Schwerfälligkeit und Roheit ihres Herzens. Gott lässt sich zu ihrer Schwachheit herab, weil sie erst kürzlich waren vom Götzendienst losgelöst worden. Jetzt aber sollen wir statt der toten Werkzeuge unsre eigenen Leiber zum Lobe Gottes verwenden. Theodoret († um 457) macht in seiner Erklärung der Psalmen und anderwärts viele ähnliche Bemerkungen. Noch bestimmter spricht sich Justin der Märtyrer († 165) aus, indem er geradezu erklärt, dass das Singen mit Instrumentalbegleitung in den christlichen Gemeinden nicht üblich sei, wie einst bei den Juden in ihrem Kindheitsstand, sondern nur der einfache Gesang. Joseph Bingham † 1723.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 5. Dein Werk. (Grundtext) Dasjenige Werk Gottes, welches der Dichter hier im Sinn hat, nämlich die völlige, endgültige Erlösung des Volkes Gottes, ist um nichts weniger wunderbar als das Werk der Schöpfung, welches der ursprüngliche Grund für die Heiligung des Sabbattages (V. 1) war. A. R. Fausset 1866.

Über die Schöpfungsoffenbarung und überhaupt die Offenbarung Gottes sich freuen zu können ist eine Gabe von oben, welche empfangen zu haben der Dichter dankbar bekennt. Prof. Franz Delitsch † 1890.

Wie herrlich singt Milton von dem Morgengebet unserer ersten Eltern im Paradies, mit welchem sie Gott und sein Werk priesen:
Sobald sie aber
Zum offnen Tagesanblick aus dem Schatten
Der Bäume traten und den Sonnenball,
Den kaum erstandnen, an dem Rande schwebend
Des Ozeans erblickten, wie im Lauf
Er tauige Strahlen sandte, rings den Osten
Des Paradieses und die sel’gen Fluren
Von Eden hold verklärend, beugten sie
Demütig sich und sprachen ihr Gebet,
Das morgens in verschiedner Form sie hielten;
Denn nie entbehrten sie der Form des Ausdrucks
Noch der Begeist’rung zu des Schöpfers Lob,
Das sie gebührend sprachen oder sangen
Und ohne lang zu sinnen; denn es floss
Beredsamkeit von ihrem Lippenpaar,
Frei oder rhythmisch, so voll Melodie,
Dass sie nicht Harf’ und Flöten erst bedurften,
Um Süßigkeit dem Sange zu verleihn.
Und so begannen sie: "Allmächtiger!
All dies sind Deine Wunderwerke, Vater
Des Guten Du! Der ganze Weltendom
Ist Dein in seiner wunderbaren Schönheit!
Wie wunderbar musst Du erst selber sein!
Du Unaussprechlicher, der in den Himmeln
Für uns unsichtbar thront und dunkel nur
In seinen kleinsten Werken angeschaut,
Die all die Güt’ und Göttermacht verkünden."
John Milton † 1674, Verl. Paradies, 5. Gesang, nach Ad. Böttger.

V. 6. Deine Gedanken sind so sehr tief. Die Tiefe der Gedanken Gottes, im Parallelismus mit der Größe seiner Werke, bezeichnet nicht etwa die Schwerverständlichkeit derselben - diese ist nur eine auf den Grund hinweisende Folge derselben, die als solche in V. 7. erwähnt wird - sondern die Herrlichkeit und den unerschöpflichen Reichtum derselben. Vergl. Hiob 11,8; Jes. 55,9; Röm. 11,33. Diese Tiefe zeigt sich besonders darin, dass das scheinbare Ende der Gedanken Gottes so oft sich als der wahre Anfang ihrer Realisierung kundgibt. Wenn alles vorbei zu sein, die Bosheit völlig zu triumphieren scheint, so bricht plötzlich das Heil der Gerechten und das Verderben der Bösen hervor. Prof. E. W. Hengstenberg 1845

Wahrlich, meine Brüder, es gibt kein Meer, so tief wie diese Gedanken Gottes, der die Gottlosen grünen und blühen und die Frommen leiden lässt; nichts ist so tief, nichts so unergründlich - in diesen Untiefen, in diesen Abgründen muss jede ungläubige Seele Schiffbruch leiden. Willst du über diese Tiefe fahren? Halte dich am Kreuzholz fest, dann wirst du nicht versinken. Augustinus † 430.

V. 7. Vergl. Ps. 73,22. Wären Gottes Gedanken weniger tief und herrlich, zählte er dem Bösen bei jedem einzelnen Vergehen sogleich seine Strafe zu und ließe dem Gerechten stets sofort Heil widerfahren, nach dem Kanon, den Hiobs Freunde in ihrer Beschränktheit aufstellen, so würde seine Weltregierung auch dem verfinsterten Auge der Gottlosigkeit erkennbar sein. Ihre Tiefe aber macht sie zu einem Geheimnis, dessen Verständnis sich gar oft, in den Zeiten der Anfechtung, auch der Frömmigkeit entzieht, wie das Beispiel Hiobs und des Verfassers von Psalm 73 zeigt, und an dem sie stets zu lernen hat. Wer zu einem tieferen Einblicke in dies Geheimnis gelangt ist, erkannt hat, wie Gottes Verhalten gegen die Seinen immer nur Gnade ist, wenn auch oft in der allertiefsten Verhüllung, sein Verhalten gegen die Bösen immer nur Zorn, wenn sie auch noch so sehr grünen und blühen, der kann nur ausrufen: O welch eine Tiefe des Reichtums usw. (Röm. 11,33), dem erscheinen diese Werke Gottes noch größer und herrlicher als die der Schöpfung. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

Der Tiermensch, das wäre etwa die genaue Übersetzung des Hebräischen; einer, den Gott mit der Menschenwürde begabt, der sich selbst aber zum Tierwesen erniedrigt hat, ein Mensch, insofern er in Gottes Bild erschaffen worden, aber ein Tier, weil er sich selbst zum Bilde der niederen Tiere verunstaltet oder umgeformt hat. Henry Cowles 1872.

Wie allgemein sind die Menschen bestrebt, durch die Genüsse der Sinnlichkeit und der Leidenschaften die Feinfühligkeit, welche Gott ihnen gegeben hat, zu vernichten! Das menschliche Gemüt, welches eine Welt voller Herrlichkeit in den erschaffenen Dingen erblicken und durch sie, als durch einen dünnen Schleier, in unendlich herrlichere Dinge, die in der Hülle angedeutet oder enthalten sind, hineinschauen könnte, ist stumpf und schwerfällig wie ein Stück Steinkohle. Wie ist das gekommen? Ach, das haben Sinnlichkeit und Sündendienst angerichtet. Wäre die Seele von Jugend auf für Gott erzogen worden, in Sitten, die der geistlichen Natur entsprechen, so wäre sie voll Leben, Liebe und Gefühl, im Einklang mit allem, was in der natürlichen Welt lieblich ist; sie würde durch die sichtbare Welt hindurch die geistige erblicken, sie wäre allen Anregungen natürlicher und geistiger Schönheit zugänglich und zum Erfüllen der Pflichten so bereit, wie das Kind zum Spiel. Welch entsetzliche Zerstörung richtet doch ein sinnliches Leben in den feineren Gefühlen und in der Empfänglichkeit für höhere Dinge an! Was für ein innerer Verfall, was für eine Verwüstung, was für eine Erlahmung der geistigen Kräfte tritt uns bei Hohen und Niederen entgegen, so dass auch selbst das Vorhandensein des Vermögens, die geistige Welt unmittelbar anzuschauen, in Zweifel gezogen, wo nicht geradezu abgeleugnet werden kann. George B. Cheever 1852.

V. 8. Die Gottlosen grünen wie das Gras. Ihr Glück ist das höchste Unglück. Adam Clarke † 1832.

Alles, was nicht aus Gott ist, das kann nicht bestehen, es sei Kunst oder Reichtum oder Ehre oder Gewalt. Es gehet zwar auf und grünet lustig anzusehen, am Ende aber wird ein Distelstrauch daraus und ist Unkraut, das nirgend zu dienet, denn ins Feuer. Johann Arnd † 1621.

V. 9. Und Du bist Höhe in Ewigkeit, HERR. (Wörtl.) Dieser Vers bildet den Höhepunkt des Psalms. Gott ist die konkrete und persönliche Höhe, d. i. er ist heilig, Ps. 22,4, nie, wie die Gottlosigkeit stets wähnt und auch der Fromme in den Zeiten der Anfechtung, Tiefe; vielmehr ist der Schein der Tiefe gerade die höchste Höhe, er ist am stärksten, wo er sich dem kurzsichtigen Auge als schwach darstellt. Wer diesen einen Gedanken, dass Gott ewig Höhe, nur festhalten könnte, würde nimmer verzagen im Kreuz und des Triumphes der Bösen lachen. Diesen Gedanken nicht mehr fassen zu können ist das Wesen der Verzweiflung. Ist Gott uns noch Höhe, so sind wir freudig und getrost, so tief wir auch liegen. - In V. 10-16 folgen die Tatsachen, in denen sich Gott als die ewige Höhe erweist. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

V.10. Alle Übeltäter müssen zerstreut werden oder werden sich zerstreuen. Die Gottlosen mögen sich zusammentun und Bündnisse schließen - die Bande, die sie verknüpfen, sind doch nur schwach. Es ist selten, dass die Bösen lange miteinander übereinstimmen, wenigstens über einen besonderen Gegenstand, den sie verfolgen. In der Hauptsache harmonieren sie freilich, nämlich darin, dass sie Übels tun wollen. Gott aber wird sie bald durch seine Macht und in seinem Zorn verwirren und zerstreuen, dass sie völlig untergehen. Samuel Burder 1839.

V. 11. Frisches, wörtl.: grünes Öl. Meiner Ansicht nach ist damit auf kaltem Wege gewonnenes Öl gemeint, d. h. solches, das aus der Frucht ausgepresst wird, ohne dass man diese vorher kocht. Die Morgenländer ziehen zum Salben dieses Öl jedem andern vor; sie halten es für das kostbarste, reinste und kräftigste. Fast alle medizinischen Öle bereiten sie so, und weil man auf diese Weise nicht so viel Öl gewinnt wie durchs Kochen, so sind die so gewonnenen Öle sehr teuer. Dieselbe Bezeichnung "grün" wird im Orient auch auf andere Sachen angewandt, die ungekocht sind; man spricht von grünem Wasser, grüner Milch, grünem Fleisch usw. Joseph Roberts 1844.

Das beste (grüne, frische) Öl wird gewonnen von den nicht völlig reifen (grünen) Beeren, die behutsam mit einem Rohrstab abgeschlagen werden. (Vergl. Jes. 17,6 Grundtext) Das feinste, weiße Öl, das nicht nur weniger Rauch und helleres Licht gibt, sondern sich auch durch seinen Wohlgeschmack auszeichnet, wird bereitet durch Stoßen solcher nicht völlig reifen Früchte im Mörser (2. Mose 27,20 usw.). Zum goldenen Leuchter, zum Opfer (2. Mose 29,40) und ohne Zweifel auch zum heiligen Salböl (2. Mose 30,24) wurde solches Öl genommen. Bibl. Wörterbuch, H. Zeller 1857.

V. 13. Wie ein Palmbaum. Schaut jene stattlichen Palmen, die hier und da auf der Ebene zerstreut stehen wie Wachtposten und sich mit den Federbüschen, die sie auf dem stolzen Haupte tragen, gar anmutig verneigen. Der Stamm, so hoch und schlank und kerzengerade, bietet den arabischen Dichtern gar manches Sinnbild für ihre Liebeslieder, und lang vor ihnen hat Salomo schon gesungen: Wie schön und wie lieblich bist du, du Liebe voller Wonne! Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum. (Hohelied 7,7 f.) Und Salomos Vater sagt: Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum. (Ps. 92,13) Der königliche Dichter hat mehr als ein Bild von den Gewohnheiten und der Behandlungsart dieses edlen Baumes entnommen, um damit sein heiliges Lied zu zieren. Der Palmbaum wächst langsam aber stetig, Jahrzehnt um Jahrzehnt, unberührt von dem Wechsel der Jahreszeiten, der auf andere Bäume solchen Einfluss übt. Er freut sich nicht übermäßig über den reichlichen Regen des Winters und lässt den Lebensmut nicht sinken unter der brennenden Sonnenglut und Dürre des Sommers. Weder schwere Lasten, die Menschen ihm aufs Haupt legen, noch das ungestüme Andrängen des Windes können ihn von seiner aufrechten Haltung abbringen. Da steht er und schaut ruhig auf die Welt unter ihm und bringt in Geduld seine kostbare Frucht in großen Trauben ein Menschenalter nach dem andern. "Noch im Alter tragen sie Frucht" (V. 15).
Die Anspielung "gepflanzt im Hause des HERRN" ist wahrscheinlich von der Sitte entlehnt, schöne langlebige Bäume in den Höfen der Tempel und Paläste wie auf allen zum Gottesdienst benutzten "Höhen" zu pflanzen. Noch jetzt hat jeder Palast, jede Moschee und jedes Kloster im Lande solche Bäume in den Höfen, die, weil sie dort wohl beschützt sind, trefflich gedeihen. - Salomo bedeckte die ganzen Wände des Allerheiligsten ringsum mit Schnitzwerk von Palmbäumen (sowie Cherubim und Blumengehängen). 1. Könige 6,29 ff. So waren also Palmbäume gleichsam gepflanzt im Hause des HERRN drinnen. Dieser Schmuck war von hoher sinnbildlicher Bedeutung. Denn der Palmbaum ist ein treffliches Bild nicht nur von der ausdauernden Geduld im Vollbringen des Guten, sondern auch von dem Lohn des Gerechten, einem kraftvollen und fruchtbaren Alter und herrlicher Unsterblichkeit. W. M. Thomson 1859.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Erläuterungen und Kernworte

V. 13. Der bekannt Naturforscher v. Linné hat die Palmen die Fürsten des Pflanzenreiches genannt, und von Martius, ebenfalls ein berühmter Botaniker, sagt begeistert von ihnen: "Die Atmosphäre der gewöhnlichen Welt sagt diesen vegetabilischen Monarchen nicht zu; aber in jenen bevorzugten Erdstrichen, wo die Natur gleichsam ihr Hoflager aufgeschlagen hat und von Blumen, Früchten und Bäumen und belebten Wesen eine glänzende Versammlung von Schönheiten um sich schart, da ragen sie in die balsamische Luft, ihre gewaltigen Stämme höher und stolzer als alles umher erhebend. Viele von ihnen sehen in einiger Entfernung wegen ihrer langen senkrechten Schäfte aus wie Säulen, von dem göttlichen Baumeister aufgerichtet, das breite Himmelsgewölbe tragend und gekrönt mit einem Kapitäl prachtvollen grünen Laubschmuckes." Auch Alex. von Humboldt spricht von ihnen als den erhabensten und stattlichsten aller pflanzlichen Gebilde. Unter allen Bäumen ist ihnen stets der Schönheitspreis zuerkannt worden.
An der nördlichen Grenze der Wüste Sahara, am Fuße des Atlasgebirges, bilden die Haine von Dattelpalmen den Grundzug der sonst dürren Gegend. Nur wenige Bäume außer ihnen können dort ihr Dasein fristen. Die übermäßige Trockenheit dieses unfruchtbaren Landstrichs, in dem ganz selten ein Regen fällt, ist so groß, dass kein Weizen wächst und sogar Gerste, Mais und Negerkorn dem Landmann nur eine ganz spärliche und zudem unsichere Ernte bieten. Die heißen aus dem Süden kommenden Luftströmungen sind selbst für die Eingeborenen fast unerträglich, und doch gedeihen hier ganze Wälder von Dattelpalmen und bilden ein für die Sonnenstrahlen undurchdringliches Schutzdach, unter dessen Schatten Zitronen-, Orangen- und Granatapfelbäume gepflegt werden und der Weinstock sich mit Hilfe seiner Ranken hinaufschlingt. Und obgleich diese Früchte im beständigen Schatten wachsen, bekommen sie doch einen würzigeren Geschmack als in anderem scheinbar günstigerem Klima. Welche schöne Auslegung bieten diese Tatsachen zu den Worten der Heiligen Schrift: Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum. Gleich diesem wird der Christ von dem sengenden Glutwind der Versuchung und Verfolgung nicht tödlich getroffen, sondern, sich nährend von den verborgenen Quellen der göttlichen Gnade, lebt und gedeiht er, gleich seinem göttlichen Meister, wo alle andern erliegen und ihre bloß äußerliche Religiosität verwelkt. Wie treffend ist der Gegensatz in dem Psalm dargestellt! Die Gottlosen und weltlich Gesinnten werden dem Gras verglichen, das im besten Falle nur von kurzer Lebensdauer ist und so leicht dürr wird; das Sinnbild des Christen ist der Palmbaum, der Jahrhunderte überdauert. Gleich dem angenehmen Schatten der Palmenhaine übt der Christ um sich her fröhlichen, Leben weckenden, geheiligten himmlischen Einfluss. Und gerade wie der große Wert der Dattelpalme in ihrer reichlichen, gesunden und wohlschmeckenden Frucht liegt, so sind auch die wahren Jünger Christi erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit; denn der Heiland hat gesagt: Darin wird mein Vater geehrt, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. (Joh. 15,8.) - Die Palme (engl.), Relig. Traktat-Ges., London.

Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum. 1) Der Palmbaum wächst in der Wüste. Die Erde ist dem Christen eine Wüste; aber wahre Gläubige werden stets im Erdenleben erquickt und neu gestärkt wie die Palme in der arabischen Wüste. So Lot inmitten der Gottlosigkeit Sodoms und Henoch, der mitten unter dem vorsintflutlichen Geschlecht mit Gott wandelte.
2) Der Palmbaum wächst im Sand, aber der Sand ist nicht seine Nahrung; Wasser aus der Tiefe nährt seine Hauptwurzel, ob auch der Himmel über ihm ehern ist. Manche Christen wachsen nicht wie die Lilien (Hos. 14,6) auf grünen Auen oder wie die Weiden an den Wasserbächen (Jes. 44,4), sondern wie der Palmbaum in der Wüste. So Joseph unter den Katzenanbetern in Ägypten, Daniel in dem wollüstigen Babylon. Die tief eindringende Wurzel des Glaubens erreicht die Quellen lebendigen Wassers.
3) Der Palmbaum ist gar schön mit seinem hohen grünen Baldachin und dem silberigen Glanz seiner Wedel; so sind auch die Tugenden des Christen nicht wie kriechendes Brombeergesträuch, ihre Palmzweige wachsen aufwärts, sie suchen, was droben ist, da Christus ist (Kol. 3,1). Manche Bäume sind krumm und knorrig, der Christ aber ist eine hochragende Palme als ein Kind des Lichtes. (Phil. 2,15) Die schönen, unverwelklichen Palmzweige sind ein Sinnbild des Sieges; sie wurden am Laubhüttenfest zu den grünen Hütten verflochten, und als die Menge Christum zu seiner Krönung nach Jerusalem geleitete, streuten sie solche Palmzweige auf den Weg (Mt. 21,8). So werden auch die Sieger im Himmel als mit Palmen in den Händen dargestellt (Off. 7,9). An die Blätter der Palme hängt sich kein Staub an, wie beim Lorbeerbaum: der Christ ist in der Welt, aber nicht von der Welt; der Staub der Erdenwüste haftet nicht an ihm. Die Palmzweige fallen im Winter nicht ab und bekommen im Sommer kein Feierkleid: sie sind immergrün. Das Rauschen der Palmbäume ist das Gebet der Wüste.
4) Der Palmbaum ist sehr nützlich. Die Hindus zählen dreihunderterlei Nutzen an ihm. Sein Schatten herbergt, seine Frucht erquickt den müden Wanderer, und von ferne schon winkt er ihm zu, dass bei ihm Wasser zu finden sei. Solcher Art waren Barnabas, der Sohn des Trostes (Apg. 4,36), ferner Lydia, Tabea und andere.
5) Der Palmbaum trägt bis ins Alter Frucht. Die besten Datteln bringt er im Alter von dreißig bis hundert Jahren. Dann kann er wohl dreihundert Pfund Datteln jährlich liefern. So wird auch der Christ mit den zunehmenden Jahren glücklicher und nützlicher. Er kennt dann seine eignen Fehler besser und wird darum milder gegen andere. Er gleicht der Sonne bei ihrem Untergang, wenn sie so groß, schön und mild am Horizonte steht. J. Long 1871.

Ohnehin gewährt jetzt die freie Landschaft einen traurigen Anblick. Der Boden ist tief geborsten und löst sich bei jedem Windhauch in Staub auf; das Grün der Auen ist fast ganz verschwunden. Nur der Palmbaum behält auch in der Dürre und Hitze sein grünendes Laubdach. G. H. von Schubert † 1860.

Wie eine Zeder auf Libanon. Noch steht unter dem Schutz des Maronitenklosters Kannubin in der nördlichen Provinz des Libanon der Zedernhain Djebel el Arz, eine Gruppe von einigen hundert alten Zedern, von denen fünf Exemplare, nach den gezählten Jahresringen über dreitausend Jahre alt, in die salomonische Zeit zurückragen. Calwer Bibellexikon 1885.

Und doch werden diese Zedern von Richardson (1818) als umfangreiche, hohe, herrliche Bäume geschildert, als die malerischsten Erzeugnisse der Pflanzenwelt, die er je gesehen habe. Und nach Pococke tragen auch die alten Zedern noch Samen, wenn auch nicht so viel wie die jüngeren. R. M. MacCheyne † 1843.

Das Leben und das saftige Grün der Zweige ist eine Ehre für die Wurzel, aus der sie leben. Geistliche Frische und Fruchtbarkeit bei einem Gläubigen ist eine Ehre für Jesum Christum, der sein Leben ist. Die Fülle Christi offenbart sich in der Fruchtbarkeit des Christen. Ralph Robinson † 1655.

Selbst Palmen und Zedern neigen, wenn sie alt werden, dazu, einen Teil ihrer Saftigkeit und Fülle zu verlieren; und die Menschen sind im Alter allerlei Gebrechen, äußeren und inneren, unterworfen. Ein noch im hohen Alter in voller Kraft und Frische stehender Mann ist ein seltener Anblick, und ach, dass es nicht noch seltener wäre, jemand im gleichen Lebensalter geistlich frisch und kräftig zu sehen! Hier aber wird das den Gläubigen als besondere Gnade und besonderes Vorrecht verheißen. Gott sei Dank für dies Wort der Gnade, mit welchem er uns gegen alle die Gebrechen und Versuchungen des Alters rüstet. John Owen 1853.

V. 16. Mein Hort, und ist kein Unrecht an ihm. Gott kann ebenso wenig vom Tun dessen, was recht ist, bewegt werden wie ein Fels von seiner Stelle. Joseph Caryl

Homiletische Winke

V. 2. 1) Es ist ein köstlich Ding, Ursache zum Danken zu haben, und jedermann hat solche. 2) Es ist ein köstlich Ding, ein Herz zum Danken zu haben; das ist eine Gabe Gottes. 3) Es ist ein köstlich Ding, dem Dank Ausdruck zu geben. Dadurch können andere zum Danken angeregt werden. George Rogers 1874.
V. 2-4. 1) Wie köstlich es ist, den HERRN zu lobpreisen, V. 2. 2) Wieviel Ursache wir dazu haben, V. 3. 3) Wie erfinderisch die Liebe sich erweist, selbst die unbeseelte Kreatur zum Dienste Gottes anzuwerben.
V. 3. Wir sollen Gott lobpreisen: 1) einsichtsvoll, indem wir seine verschiedenen Eigenschaften verkündigen; 2) zeitgemäß, indem wir jede seiner Eigenschaften zur angemessenen Zeit verkündigen; 3) beständig, jeden Tag und jede Nacht.
V. 4. Wir sollen Gott preisen 1) mit allen Kräften unserer Seele: auf den zehn Saiten - des Gemütes, der Neigungen, des Willens usw.; 2) mit allen Äußerungen unseres Mundes; 3) mit allen Handlungen unseres Lebens.
Wir sollen Gott preisen: 1) wohl vorbereitet - denn Instrumente müssen gestimmt werden; 2) mit Weite der Gedanken: "auf dem Psalter von zehn Saiten"; 3) mit Hingebung unseres ganzen Wesens: "zehn" Saiten; 4) mit Mannigfaltigkeit: "Psalter, Harfe usw."
V. 5. 1) Mein Gemütszustand: fröhlich. 2) Wie ich zu solcher Fröhlichkeit gekommen bin: Du hast mich fröhlich gemacht (wörtl.). 3) Worüber ich fröhlich bin: dein Tun, deine Werke. 4) Was soll ich denn nun tun? Gott preisen.
1) Das edelste Fröhlichsein: durch Gott gewirkt und in Gottes Tun begründet. 2) Das edelste Rühmen: verursacht durch die mannigfaltigen Werke Gottes in der Schöpfung, Vorsehung, Erlösung usw. Das Erstere ist für unser eigen Herz, das Letztere soll dazu dienen, die Seelen um uns her zu überzeugen.
V. 6. Die unersteigbaren Berge und das unergründliche Meer, oder: Gottes Werke und Gedanken (das Geoffenbarte und das Verborgene Gottes) gleichermaßen außerhalb des Bereichs der menschlichen Fassungskraft. Charles A. Davis 1874.
V. 8. Das blühende Gedeihen gottloser Menschen ist oft der Vorbote ihres Untergangs; denn es verleitet sie dazu, Gottes Zorn herauszufordern: 1) durch Verhärtung des Herzens, wie Pharao, 2) durch Hochmut, wie Nebukadnezar, 3) durch übermütigen Hass der Frommen, wie Haman, 4) durch fleischliche Sicherheit, wie der reiche Tor, 5) durch Selbstüberhebung, wie Herodes (Apg. 12).
V. 8-11. Gegensätze. Zwischen den Gottlosen und Gott, V. 8. 9; zwischen Gottes Feinden und seinen Freunden, V. 10. 11. Charles A. Davis 1874.
V. 8.13-15. Die Gottlosen und die Gerechten abgebildet.
V. 11b. Die Salbung des Christen: Erleuchtung, Weihung, Erquickung, Stärkung.
Die zuversichtliche Erwartung frischer Gnade. C. H. Spurgeons Predigten, 5. Band, S. 206. Phil. Bickel, Hamburg 1875.
Frische. Pred. von C. H. Spurgeon. Schwert und Kelle, 2. Jahrg. S. 305. Phil. Bickel, Hamburg 1882.
V. 13. Die Gerechten gedeihen 1) an allen Orten: Die Palme in der Ebene, die Zeder auf dem Libanon; 2) zu allen Zeiten: beide sind immergrün; 3) unter allen Verhältnissen; die Palme in der Dürre, die Zeder in Sturm und Frost. George Rogers 1874.
V. 13-16. Wie (V. 13, vergl. V. 8), wo (V. 14), wann (V. 15) und warum (V. 16) die Gerechten gedeihen. W. Jay † 1853.
V. 14-16. 1) Wiedergeburt: gepflanzt. 2) Wachstum in der Gnade: grünen usw. 3) Nützlichkeit: fruchtbar. 4) Beharren: im Alter noch. 5) Die Ursache von dem allen: zu verkündigen, dass der HERR fromm ist usw.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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PSALM 93 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Dieser kurze Psalm ist ohne Überschrift, sein Inhalt aber ist schon aus der ersten Zeile ersichtlich. Er besingt die allgewaltige Königsherrlichkeit des Höchsten. Jehovah herrscht erhaben über allen Widerstand. Was konnte es für das Volk Gottes wohl Tröstlicheres geben?

Auslegung

1. Der HERR ist König und herrlich geschmückt;
der HERR ist geschmückt und hat ein Reich angefangen,
soweit die Welt ist, und zugerichtet, dass es bleiben soll.
2. Von Anbeginn stehet dein Stuhl fest;
Du bist ewig.
3. HERR, die Wasserströme erheben sich,
die Wasserströme erheben ihr Brausen,
die Wasserströme heben empor die Wellen,
4. die Wasserwogen im Meer sind groß
und brausen mächtig;
der HERR aber ist noch größer in der Höhe.
5. Dein Wort ist eine rechte Lehre.
Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses,
o HERR, ewiglich.


1. Der HERR ist König. Was für Widerstand sich auch erheben mag, Jehovahs Thron bleibt unerschüttert; der HERR hat regiert, regieret und wird regieren immer und ewiglich. Wieviel Unruhe und Aufruhr auch unterhalb der Wolken sein mag, der ewige König thront über allem in erhabener Ruhe, und er bleibt überall Meister, mögen seine Feinde toben, so viel sie wollen. Alles wird nach den ewigen Absichten des Höchsten geordnet, sein Wille geschieht. Dem Grundtext entspricht noch besser die frühere Übersetzung Luthers: Der HERR ist König worden. Es ist, als hätte der HERR für eine Weile anscheinend dem Thron entsagt gehabt, aber jetzt auf einmal seinen königlichen Schmuck wieder angelegt und seinen erhabenen Sitz abermals eingenommen, so dass sein glückliches Volk ihn mit neuer Freude als König ausruft mit dem Jubelklang: Der HERR ist nun König! Was kann einem treuen Untertanen größere Freude gewähren, als wenn er seinen König in seiner Schöne sehen darf? Lasst uns die Freudenkunde "Der HERR ist König" weitertragen, lasst uns sie den Verzagenden ins Ohr flüstern und den Feinden kühn und laut entgegenrufen. Mit Hoheit hat er sich angetan. (Wörtl.) Nicht mit Abzeichen der Majestät (wie Purpur, Krone, Zepter und dergl.), sondern mit Majestät selbst hat er sich geschmückt; alles an ihm und um ihn ist majestätisch. Bei ihm ist die Hoheit nicht Schein und Äußerlichkeit, sondern Wirklichkeit. In der Natur, in der Vorsehung und in dem Heilswerk ist Gott von unbegrenzter Majestät. Glücklich das Volk, in dessen Mitte der HERR in der ganzen Herrlichkeit seiner Gnade erscheint, ihre Feinde besiegend und alles sich unterwerfend; da wird er so recht geschaut als mit Hoheit angetan.
Der HERR hat sich angetan, hat sich mit Stärke gegürtet. (Grundtext) Das Hoheitsgewand ist nicht sein einziger Schmuck, er trägt auch Kraft als seinen Gurt. Wie der Morgenländer seine Lenden gürtet, wenn er hurtig gehen oder arbeiten will, so ist’s auch, wenn der HERR sich zu Taten bereitet, als gürte er sich mit seiner Allmacht. Gerade wie er stets seinem Wesen nach voller Hoheit ist, aber zuzeiten seine Herrlichkeit verhüllt und wiederum zu anderen Zeiten sie enthüllt, so dass er sich dann gleichsam mit seiner Majestät bekleidet und in ihr vor aller Welt zeigt, so ist er ja auch stets der Allgewaltige, verbirgt aber doch sehr oft seine Macht, bis er, als Antwort auf das Flehen seiner Kinder, sich mit Kraft gürtet, den Thron einnimmt und die Seinen verteidigt. Ach dass der HERR in unseren Tagen in seiner Gemeinde in offenbarer Majestät und Macht erscheine, Sünder rettend, Irrtümer niederschlagend und seinen heiligen Namen zu Ehren bringend! O dass wir sähen einen Tag des Menschensohnes (Lk. 17,22), den Tag, an welchem der König Immanuel, der Allmächtige (Off. 1,8), auf seinem herrlichen hohen Thron stehen wird, mit Furcht verehrt von allen und wunderbar sich erweisend an seinen Gläubigen. Es sollte unser stetes Flehen sein, dass sich doch in unseren Zeiten die Herrschaft des HERRN offenbaren und sich seine Macht in der Gemeinde und zu ihren Gunsten erweisen möge. "Dein Reich komme", das sei unsere tägliche Bitte, und dass der Herr Jesus tatsächlich herrscht, unser täglicher Lobpreis.
So steht denn der Erdkreis fest und wird nicht wanken. (Grundtext) Weil Jehovah seine Herrschergewalt offenbart, und solange er das tut, stehen die irdischen Dinge fest. Wir könnten über gar nichts sicher sein, wenn wir nicht sicher wären, dass der Höchste das Regiment in den Händen hat. Wenn er seine offenbare Gegenwart von der Menschheit zurückzieht, gerät alles aus Rand und Band. Dann rasen die Lästerer, toben die Verfolger, werden die Ruchlosen frech und werfen die Wüstlinge den letzten Rest von Scham ab. Aber wenn Gottes Macht und Herrlichkeit sich wieder zeigen, wird die Ordnung wiederhergestellt und kommt die arme verstörte Welt wieder zur Ruhe. Die menschliche Gesellschaft würde von den niederträchtigsten Leuten wie ein Fußball hin und her geschleudert werden, wenn Gott sie nicht in seiner Hand behielte, und selbst die Erdkugel würde, wie die Distelwolle über die Wiese, haltlos durch den Weltenraum fliegen, wenn der HERR sie nicht in der ihr bestimmten Bahn festhielte. Dass überhaupt in der Welt und in der christlichen Gemeinde Beständigkeit da ist, das haben wir dem Walten des HERRN zu verdanken. Vergessen wir es nicht, ihn dafür anzubeten. Die Gottlosigkeit ist die Mutter der Zuchtlosigkeit; die Herrschermacht Gottes, wie sie in der wahren Frömmigkeit anerkannt wird, ist die einzige Bürgschaft für das menschliche Gemeinwesen. Der Glaube an Gott ist der Grund- und Eckstein eines wohlgeordneten Staates.

2. Von Anbeginn stehet dein Stuhl fest. Wiewohl du gerade jetzt in mehr sichtbarer Majestät hervortrittst, ist deine Herrlichkeit doch nicht die eines Emporkömmlings; schon in den urältesten Zeiten hatte deine Herrschaft sicheren Bestand, ja vor aller Zeit war dein Thron bereits aufgerichtet. Wir reden oft von uralten Herrschergeschlechtern; aber was sind sie, verglichen mit dem HERRN? Sind sie nicht wie die Schaumblasen, die, soeben aus der Brandung geboren, kaum dass man sie erblickt hat, schon verschwunden sind? Du bist ewig. Der HERR selber ist von Ewigkeit her. O möge der Gläubige darüber frohlocken, dass die Autorität, der er sich unterstellt hat, von einem unsterblichen Herrscher ausgeübt wird, dessen Regiment von aller Ewigkeit her besteht und noch blühen wird, wenn alle erschaffenen Dinge für immer vergangen sein werden. Vergeblich ist aller Aufruhr der Sterblichen, das Königtum Gottes wird davon nicht erschüttert.

3. Es erhoben Wasserströme, HERR, es erhoben Wasserströme ihr Brausen; Wasserströme erheben ihr Getöse. (Grundtext) Menschen haben je und je wie zornige Fluten getobt, aber nichtig war all ihr Rasen; und noch jetzt wallen und wüten sie, aber ohnmächtig müssen dennoch die Wellen zurückfallen. Lasst uns beachten, dass der Psalmist sich zu dem HERRN wendet, da er die Wogen schäumen sieht und das Brausen der Brandung an sein Ohr schlägt. Er verschwendet den Atem nicht an einen Versuch, zu den tosenden Wogen oder den tobenden Menschen zu reden, sondern gleich Hiskia breitet er die Lästerungen der Gottlosen vor dem HERRN aus. (Jes. 37,14 ff.) - Die Wiederholungen sind wohl um der Poesie und Musik willen nötig, aber sie deuten zugleich die Häufigkeit und Heftigkeit der ruchlosen Angriffe gegen die Königsherrschaft Gottes an, wie auch die wiederholten Niederlagen, die sie erleiden. Manchmal wüten die Menschen mit Worten - sie erheben ihre Stimme (wörtl.), und zu anderen Zeiten erheben sie sich zu Gewalttaten - sie erheben ihre Wellen 1; aber der HERR hat sie in beiden Fällen in seiner Gewalt. Die Gottlosen sind lauter Schaum und Gischt und brausen und tosen schrecklich während der kurzen Stunden, die ihnen gegeben sind; aber dann wendet sich die Flut zur Ebbe oder der Sturm wird gestillt - und wir hören nichts mehr von ihnen, während die Königsherrlichkeit des Ewigen in der Erhabenheit ihrer Macht bestehen bleibt.

4. Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen mächtig; der HERR aber ist noch größer in der Höhe. Ob ihre Macht auch aufs höchste steigt, für ihn ist all ihr Wüten doch nur ein ohnmächtiges und darum verächtliches Lärmen. Wenn die Menschen sich verbünden, um den Thron Jesu umzustürzen, wenn sie sich hinterlistig beraten und nach und nach auch offen toben, so achtet der HERR es doch nicht mehr, als wir uns auf sicherem hohem Felsengrund durch das Tosen und Zischen der Brandung beunruhigen lassen. Jehovah, der Selbstherrliche und Allmächtige, kümmert sich nicht um den Widerstand sterblicher Menschen, mögen sie noch so zahlreich oder mächtig sein. Gar erhaben ist unser Vers nach dem Laut des Grundtextes:

Mehr als das Donnern der großen Wasser,
der majestätischen, der Brandung des Meeres,
ist majestätisch Jehovah in der Himmelshöhe.2

Ob der Sturm auch "himmelhohe" Wogen aufwühlt und sie mit schrecklicher Gewalt vorwärts treibt, an Gottes erhabenen Sitz reichen sie doch nicht; und wenn frevelnde Menschen noch so sehr schäumen und rasen, so ist es dem HERRN doch ein Kleines, ihr Toben zu beschwichtigen und ihre Bosheit zum Guten zu lenken. Könige und Pöbelrotten, goldgekrönte Kaiser und blutbesudelte Kannibalenbanden, alle sind in Gottes Hand, und er kann ihnen verbieten, seinen Heiligen auch nur ein Haar zu krümmen.

5. Deine Zeugnisse sind sehr gewiss. (Luther 1524.) Wie, was die Vorsehung betrifft, der Thron Gottes über alle Gefahr erhaben feststeht, so ist auch, was die Offenbarung betrifft, Gottes Wahrheit unzweifelhaft gewiss. Sein Wort ist eine rechte Lehre hat Luther später übersetzt - mögen andre Lehren unzuverlässig sein, die Bezeugungen des Himmels sind unfehlbar und unverbrüchlich. Wie der Fels mitten in dem Aufruhr des Meeres unbeweglich feststeht, so widersteht die göttliche Wahrheit all den wechselnden Strömungen der menschlichen Meinungen und all den Stürmen der menschlichen Zänkereien. Die Zeugnisse Gottes sind nicht nur gewiss, sondern sehr gewiss. Gepriesen sei Gott, wir sind nicht durch klug ersonnene Fabeln betrogene Leute; unser Glaube ist auf die ewige Wahrheit des Höchsten gegründet. Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses, o HERR, ewiglich. Die Wahrheit wandelt sich nicht in ihren Lehren, die vielmehr sehr gewiss sind, noch die Heiligkeit in ihren Vorschriften, die unvergänglich sind. Gottes Lehre und Gottes Wesen unterliegen beide keiner Veränderung. Gott hat noch nie etwas Böses bei sich bleiben lassen und wird es nie in seinem Hause dulden; er ist auf ewig der Feind alles Bösen und immerdar der geschworene Freund der Heiligkeit. Seine Gemeinde muss unverändert bleiben und allezeit das "Heilig dem Herrn" an ihrer Stirn tragen; ja, ihr König wird sie bewahren, dass kein Fuß eines Eindringlings sie beflecken wird. Die Gemeinde Jesu Christi ist dem HERRN geweiht und wird eben darum allezeit erhalten bleiben. "Jehovah ist König", das ist das erste Wort und die Hauptlehre des Psalms, und Heiligkeit ist das Schlussergebnis: die rechte Ehrfurcht vor dem erhabenen König aller Könige wird uns zu einem der Gegenwart vor ihm entsprechenden Verhalten führen. Gottes Majestät bekräftigt seine Verheißungen als gewisse Zeugnisse, gibt aber auch seinen Vorschriften besonderes Gewicht.
Der ganze Psalm ist sehr eindrücklich und ist darauf berechnet, die Traurigen zu trösten, den Furchtsamen guten Mut einzuflößen und den Frommen in der Anbetung zu helfen. O du, der du ein so erhabener und gnädiger König bist, herrsche über uns immerdar! Wir begehren gar nicht, deine Gewalt anzuzweifeln oder zu beschränken, sondern dein ganzes Wesen ist solcher Art, dass wir jauchzen, wenn wir dich die Rechte eines unumschränkten Alleinherrschers ausüben sehen. Dein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit. Hosianna, Hosianna!

Fußnoten
1. So Luther u. die engl. Bibel. Das Wort des Grundtextes bedeutet wohl das Getöse, welches durch das Aneinanderschlagen der Wellen verursacht wird.

2. Schon Luthers Übersetzung beruht auf einer richtigen Änderung der hier unbrauchbaren masoretischen Akzentuierung. Siehe z. B. Delitzsch z. d. St.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Neben solchen Psalmen, welche die messianische Zukunft, sei es prophetisch oder nur typisch, oder typisch und prophetisch zugleich, als das weltüberwindende und weltbeglückende Königtum des Gesalbten Jahves vorausschauen, gibt es andere, in denen die vollendete Theokratie als solche vorausgeschaut wird, nicht als Parusie eines menschlichen Königs, sondern Jahves selber, als das in seiner Herrlichkeit offenbare Reich Gottes. Diese theokratischen Psalmen bilden mit den christokratischen zwei einander parallel laufende Reihen der Weissagung auf die Endzeit. Die eine hat zum Zielpunkt den Gesalbten Jahves, der von Zion aus alle Völker beherrscht, die andere Jahve über den Cherubim sitzend, dem der ganze Erdkreis huldigt. Diese beiden Reihen konvergieren im Alten Testament zwar, kommen aber nicht zusammen; erst die Erfüllungsgeschichte macht es klar, was im Alten Testament nur an einigen Höhepunkten der Prophetie aufblitzt, dass die Parusie des Gesalbten und die Parusie Jahves ein und dieselbe sind. - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 1. Der HERR ist König. Das spielt an auf die Formel, deren man sich bei der Proklamation des Regierungsantrittes irdischer Könige bediente, vergl. 2. Samuel 15,10; 1. Könige 1,11.13; 2. Könige 9,13. Schon diese Anspielung zeigt, dass hier nicht von dem beständigen Regimente des HERRN die Rede ist, sondern von einer neuen herrlichen Offenbarung seiner Herrschaft, gleichsam einer neuen Thronbesteigung. Michaelis richtig: rex factus est. Auf dasselbe Resultat führen uns auch die Parallelstellen Psalm 96,10; 97,1; 99,1, wo dieselbe Formel vorkommt: überall ist dort von dem Kommen des HERRN in seinem Reiche die Rede. Ebenso Jes. 24,23, vergl. Obadja V. 21; Sach. 14,9 und besonders Offenbarung 11,17; 19,6. Im Angesichte also der hochfahrenden Ankündigungen der Weltmacht, dass sie nunmehr ihre Herrschaft über die Erde, über das Reich Gottes antrete, im Angesichte des "Assur oder Babel herrscht" ruft der Sänger sein Jehovah herrscht, kündigt er an, dass die Herrschaft des HERRN, weit entfernt, durch solche ohnmächtige Anläufe gestürzt zu werden, nun erst sich in ihrer vollen Glorie offenbaren werde. Sein "der HERR herrscht" fand den Anfang seiner Bewährung in dem Sturze Babels und in der Errettung Israels, seinem vollen Gehalte nach aber ist es messianisch: in Christo ist der HERR wahrhaft herrschend geworden und wird es in Zukunft noch herrlicher werden, vergl. die angeführten Stellen der Apokalypse. Dies "der HERR herrscht" rufen seine Diener noch immer den tollen Anläufen der Welt gegen die Kirche entgegen, mit denen sie nichts weiter ausrichtet, als dass sie eine neue, herrlichere Offenbarung seiner Offenbarung herbeiruft. Es ist das heilige Feldgeschrei der Kirche im Angesichte der Welt, wobei man der Worte Calvins wohl zu gedenken hat: "Mit dem Munde bekennen alle, was der Prophet hier lehrt, aber wie viele wohl setzen diesen Schild, wie es sich ziemt, der feindlichen Weltmacht entgegen, so dass sie nichts fürchten, und sei es auch noch so furchtbar?" Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

Die Gottesherrschaft oder Theokratie (der Ausdruck ist von Josephus contra Apion. gemünzt) ist keine besondere Staatsverfassung. Die wechselnden Regierungsformen waren nur mannigfache Arten ihrer menschlichen Vermittlung. Sie selber ist ein über diese Vermittlungen erhabenes Wechselverhältnis Gottes und der Menschen, welches damit seinen ersten offenkundigen Anfang genommen, dass Jahve Israels König geworden (5. Mose 33,5, vergl. 2. Mose 15,18), und welches schließlich sich dadurch vollendet, dass es diese nationale Selbstbeschränkung durchbricht, indem der König Israels zum König der ganzen innerlich und äußerlich überwundenen Welt wird. Darum ist die Theokratie ein Gegenstand der Weissagung und der Hoffnung. Und malak (er ist nun König) mit Bezug auf Jahve wird nicht nur gebraucht von dem ersten Anfang seiner Reichsherrschaft und von der Tatoffenbarung derselben an heilsgeschichtlichen Höhepunkten, sondern auch von dem Beginn der Reichsherrschaft in ihrer vollendeten Herrlichkeit. In diesem endzeitigen, gipfelhaften Sinne lesen wir es z. B. Jes. 24,23; 52,7 und besonders unverkennbar Offenbarung 11,17; 19,6. Und in diesem Sinne ist "der HERR ist König" die Losung der theokratischen Psalmen. So schon 47,9; der erste aber der mit dieser Losung beginnenden Psalmen ist Ps. 93. Sie sind alle nachexilisch. Der Höhepunkt, von welchem aus der endgeschichtliche Fernblick sich auftut, ist die Zeit der jungen Freiheit und des wiederhergestellten Staates. - Kommentar von Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 2. Dieser Thron ist erhaben über alle die Wechselfälle, durch welche die irdischen Throne und Reiche so oft erschüttert werden, wie den Tod der Könige oder leitenden Staatsmänner oder die Untreue der Untertanen oder Minister oder die List und Gewalt der Feinde. Nichts von alledem kann Gottes Herrschaft stören. Martin Geier † 1681.

V. 3 f. Es erheben Ströme ihr Brausen. (Grundtext) Das letzte Wort bezeichnet das Getöse, das die Wellen machen, wenn sie sich brechen. Die Feinde Gottes und seines Reiches haben sich erhoben wie die Wasserwogen, wenn Flut und Sturm sie schwellen, mit brüllendem Toben kommen sie heran. Aber wo sie dem Schiffe nahen, das den König trägt, erweist sich ihr Lärm nur als von Wogen, die zu Schaum zerstäuben. Wo sie am nächsten kommen, ist’s nur zu ihrem Verderben, und ihr größtes Lärmen ist das von sich brechenden, in nichts zusammensinkenden Wellen. So hoch sich Sturm und Wogen auch erheben mögen, höher ist Jehovah, hoch erhaben über alle Gefahr und über alles Getöse der Welt. Wie trefflich malt dies Bild mit wenigen Strichen die Geschichte der Regierung Gottes und seiner Gemeine! Die Stillung des Sturmes auf dem See Genezareth war demnach nicht nur ein Gleichnis der Geschichte des Reiches Gottes, sondern auch ein Vorbild auf die schließliche Vollendung desselben; ein Abriß der Vergangenheit, eine Weissagung auf die Zukunft und ein Vorbild des Endes. Und was für die Kirche als Ganzes gilt, das bewahrheitet sich auch an dem einzelnen Gläubigen. Lasst uns des stets eingedenk sein, dass unsere größten Gefahren brechende Wellen sind, Wellen, die sich legen zu Seinen Füßen. So lange Jehovah regiert und wir unter seinem Schutze stehn, hat es keine Not. Alfred Edersheim 1866.

V. 4. Der HERR aber ist noch größer in der Höhe. Darum schaue nicht so sehr auf deine Not, sondern vielmehr auf deinen Erretter, und wenn der Menschen Verbündung in der Bosheit dich schreckt, so lass dich deine Verbindung mit Gott stärken. Die Gefahr mag deinem Widerstand überlegen sein, aber nicht Gottes Beistande; die Macht der Feinde mag deine Kraft, ihre List deine Klugheit übersteigen, aber nimmer können sie die Weisheit und die Macht des Gottes, der mit dir ist, übertreffen. O darum lerne es doch, Gott in seiner Kraft zu erproben, ihm in schwierigen Lagen zu vertrauen; und wenn die unbarmherzigen Wogen dich zu verschlingen drohen, so befiehl dich seiner Hut. Der Seemann schaut in der Not zum Himmel aus; so tu du desgleichen, und gedenke, dass mächtiger noch als das Donnern gewaltiger majestätischer Wasser, mächtiger als das Donnern der Meeresbrandung, ist Jehovah in der Himmelshöhe. Abraham Wright 1661.

V. 5. Die Heiligkeit, die dem Hause eines solchen Gottes ziemet (vergl. Ps. 33,1 Grundtext), muss ihm durch ihn selbst erhalten werden. Gott ziemt es, dass er dafür sorge, dass es nicht mit frevelhafter Hand entheiligt werde. (Vergl. Ps. 74; 79,1) Er kann es zuzeiten zur Strafe der Sünden seines Volkes der Verwüstung durch die gottlose Welt hingeben, aber immer muss er dafür sorgen, dass es wie ein Phönix aus der Asche wieder sich erhebe, dass ihm seine Heiligkeit wiederhergestellt werde. Und er hat dafür gesorgt. An die Stelle des durch die Chaldäer zerstörten ersten Hauses trat das zweite, und dies ging erst dann unter, als es bloße Schale ohne Kern geworden, als in der christlichen Kirche ein herrlicher Neubau des Hauses Gottes ins Leben getreten war. Die Welt hat es nicht zerstört, sondern Gott selbst hat den ärmlichen vorläufigen Bau niedergerissen, als der eigentliche vollendet war, und dem letzteren zu allen Zeiten, trotz aller Anläufe der zerstörungslustigen Welt, seine Heiligkeit erhalten. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

Heiligkeit steht jedem Hause gut an, sonderlich aber dem Hause Gottes, und jedermann, sonderlich aber den Dienern des Evangeliums, die der Spiegel sind, in dem die Leute den Himmel sehen, und die Führer, die ihnen den Weg dorthin weisen. Ist nun der Spiegel trübe, so sehen sie wohl gar statt eines Engels eine Furie; und ist der Wegweiser falsch, so ist er gefährlicher als der Weg. Darum sollte niemand vorsichtiger wandeln als die Diener des göttlichen Wortes. Abraham Wright 1661.

Homiletische Winke

V. 1-5. Angewandt als Beschreibung geistlicher Erweckungen. 1) Gott erweist sich als König. 2) Seine Macht wird erfahren. 3) Sein Reich wird befestigt. 4) Der Widerstand wird besiegt. 5) Das Wort wird geschätzt. 6) Heiligkeit wird gepflegt.
V. 1.2. Unser König. 1) Seine Würde. a) Er herrscht, als der König aller Könige; er schaut den Ereignissen aus Erden nicht müßig zu, sondern ordnet alles weise, gerecht und machtvoll. b) Er ist ein herrlicher König: angetan mit Hoheit usw. c) Er ist ein mächtiger König: gegürtet mit Stärke. d) Er ist ein königlicher Kriegsheld: er hat sich gegürtet, hat sein Schwert über die Rüstung angezogen, den Feinde zum Trutz, seinem Reiche zum Schutz. 2) Sein Reich. a) Es ist weltumfassend, das einzige wirkliche Weltreich: so weit die Welt ist. b) Es ist fest gegründet: zugerichtet, da es bleiben soll. c) Es ist ewig: von Anbeginn - Du bist ewig. Adam Clarke † 1832.
1) Die Königsproklamation. 2) Die königliche Gewandung. 3) Das wohl befestigte Reich. 4) Der uralte Thron. 5) Der ewige König. Charles A. Davis 1874.
1) Proklamation des erhabenen Königs. Bezeuge die Rechtmäßigkeit, die Festigkeit, das Alter, die Ausdehnung und die Dauer seiner Herrschaft. 2) Schilderung der verschiedenen Gemütsbewegungen, die diese Ankündigung hervorruft: in den aufrührerisch Gesinnten, den Schuldbewußten, den Königstreuen usw. 3) Aufforderung, diesem König zu huldigen. Charles A. Davis
V. 3. Das Brausen der Wasser. 1) Die Stimme der Natur ist eine Stimme Gottes. 2) Sie zeugt von Gott. 3) Sie zeugt für Gott.
V. 4. Gott ist 1) groß in der Schöpfung, 2) größer noch in der Vorsehung, 3) am größten in der Erlösung. George Rogers 1874.
V. 5. 1) Treue ziemt dem Worte Gottes, 2) Heiligkeit dem Hause Gottes. George Rogers
V. 5b. 1) Heiligkeit war die Zierde des vorbildlichen Hauses Gottes, des israelischen Heiligtums. 2) Sie ist die Zierde seines geistlichen Hauses, der Gemeine. 3) Seines kleineren geistlichen Hauses, des Gläubigen. 4) Seines ewigen Hauses, des Himmels.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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PSALM 94 (Auslegung & Kommentar)

Inhalt

Der Dichter dieses Psalms sieht, wie die Übeltäter in voller Gewalt stehen, und leidet empfindlich unter ihrem Druck. Seine Überzeugung von der Oberherrschaft Gottes (von der ja auch der vorhergehende Psalm gesungen hatte) veranlasst ihn, sich an Gott als den erhabenen Richter aller Welt zu wenden. Das tut er mit starker Gemütserregung und großem Ungestüm; er bäumt sich auf, nicht wider Gott, aber wider die Geißelhiebe der Tyrannen. In dem klaren Bewusstsein von Gottes Dasein und in der festen Überzeugung, dass der Höchste auf das Tun der Menschenkinder achte, schilt er seine gottesleugnerischen Widersacher und verkündet triumphierend, dass er durch Gott überwinden werde. Er deutet auch die quälenden Führungen der Vorsehung als heilsame, lehrreiche Züchtigungen und preist darum diejenigen glücklich, die sie erdulden. Der Psalm ist eigentlich - in neuer, ergreifender Form - das alte Rätsel: Warum geht es den Gottlosen so wohl? Wir haben hier wiederum das Beispiel eines frommen Mannes, der in der Anfechtung, die ihm das Trotzen und Pochen der Gottlosen bereitet, sein Herz stillt, indem er ihm vorführt, dass es trotz alledem einen Herrscher im Himmel gibt, der schließlich alles zum Besten lenkt.

Einteilung

In den ersten sieben Versen bringt der Psalmist seine Klage vor gegen die boshaften Unterdrücker. V. 8-11 wendet er sich gegen den Wahn ihres Unglaubens, als nehme Gott keine Kenntnis von dem, was die Menschen tun. Dann zeigt er V. 12-15, dass der HERR die Seinen dennoch segnet und rettet, wiewohl sie eine Zeit lang gezüchtigt werden mögen. Dann fleht er wieder um Hilfe, V. 16, und bezeugt, wie völlig er von Gott abhängig sei, V. 17-19. In V. 20.21 bringt er seine Klage zum dritten Mal vor, und dann schließt er, V. 22.23, mit der zuversichtlichen Erklärung, dass seine Widersacher und alle andern Gottlosen den gerechten Lohn ihrer Taten gewisslich ernten und schreckliche Vertilgung vom HERRN erfahren werden.

Auslegung

1. HERR, Gott, des die Rache ist,
Gott, des die Rache ist, erscheine!
2. Erhebe dich, du Richter der Welt;
vergilt den Hoffärtigen, was sie verdienen!
3. HERR, wie lange sollen die Gottlosen,
wie lange sollen die Gottlosen prahlen
4. und so trotzig reden
und alle Übeltäter sich so rühmen?
5. HERR, sie zerschlagen dein Volk
und plagen dein Erbe.
6. Witwen und Fremdlinge erwürgen sie
und töten die Waisen
7. und sagen: "Der HERR siehet’s nicht,
und der Gott Jakobs achtet’s nicht."


1. HERR, Gott, des die Rache ist, Gott, des die Rache ist, erscheine! Eine sehr natürliche Bitte, wenn die Unschuld mit Füßen getreten, die Bosheit aber gefeiert wird. Ist es überhaupt in der Ordnung, dass das Recht gehandhabt wird - und wer wollte das leugnen? - dann ist es auch ganz geziemend, zu begehren, dass es geschehe. Dieser Wunsch kommt bei dem Psalmdichter gewiss nicht aus persönlicher Rachsucht - denn bei wem das der Fall ist, der würde es doch kaum wagen, sich so offen an Gott zu wenden - sondern aus Liebe zum Recht und aus Mitgefühl für diejenigen, welche ungerechterweise leiden müssen. Wer kann zusehen, wie ein Volk geknechtet oder auch nur ein einzelner zu Boden getreten wird, ohne den HERRN anzurufen, dass er sich erhebe und der gerechten Sache zum Sieg helfe? Dass das Unrecht sich so breit machen kann, wird hier dem Umstande zugeschrieben, dass der HERR sich in die Verborgenheit zurückgezogen hat, und es wird angedeutet, dass sein bloßes Erscheinen genügen würde, den Tyrannen ihr Unterdrücken zu verleiden. Gott braucht sich nur zu zeigen, so siegt die gerechte Sache. Wir bedürfen fürwahr in diesen bösen Tagen einer durchgreifenden Offenbarung seiner Macht; denn die alten Feinde Gottes und der Menschen setzen wieder alle Kraft ein, die Oberhand zu gewinnen, und wehe den Heiligen Gottes, wenn es geschähe!

2. Erhebe dich, du Richter der Welt. Steig auf deinen Richtstuhl und lass dir als dem Allherrscher der Menschen huldigen. Ja noch mehr, erhebe dich, wie Menschen es tun, wenn sie mit aller Wucht einen Hieb führen wollen; denn die übermächtige Sünde der Menschenkinder erfordert einen gewaltigen Schlag deiner Hand. Vergilt den Hoffärtigen, was sie verdienen; erstatte ihnen, was sie andern angetan. Es sei Maß um Maß, eine gerechte Vergeltung, Schlag für Schlag, Hieb für Hieb. Verächtlich schauen die Stolzen auf die armen Frommen hinab und hauen von oben her auf sie ein, wie etwa ein Riese auf seinen Widersacher die Streiche niedersausen lassen würde. Wohlan, HERR, so erhebe dich gleicherweise und lass es die Hoffärtigen erfahren, dass du unendlich viel höher bist über ihnen, als sie es jemals über dem geringsten ihrer Mitmenschen sein könnten. So erfleht der Psalmist mit unverblümten Worten, dass die Gerechtigkeit ihr Vergeltungsamt übe, und seine Bitte entspricht genau derjenigen, welche die leidende Unschuld betet, wenn sie, stumm und doch beredt, ihre schmerzerfüllten Blicke gen Himmel richtet.

3. HERR, wie lange sollen die Gottlosen, wie lange sollen die Gottlosen prahlen? Soll denn das Unrecht immer herrschen? Sollen Knechtung, Raub und Gewalttat nimmer aufhören? So gewiss es einen gerechten Gott im Himmel gibt, der mit Allmacht gewappnet ist, muss früher oder später die Übermacht der Bosheit ein Ende nehmen, muss die Unschuld einmal ihren Beschützer und Rächer finden. Das "Wie lange!" unseres Textes ist die bittere Klage aller Gerechten aller Zeiten und drückt das Staunen aus über das große Rätsel der Vorsehung, nämlich das Bestehen und das Vorherrschen des Bösen in der Welt. Wie oft ist wohl schon dieser trübe Klageseufzer aus den Kerkern der Inquisition, von den Geißelpfählen der Sklaverei und aus den Elendshöhlen der Bedrückung zu Gott emporgestiegen! Zu seiner Zeit wird Gott fürwahr auf die bange Frage seine Antwort hören lassen; aber noch ist das letzte Ende nicht da.

4. Sie sprudeln über, führen vermessene Reden. (Grundtext) Die Gottlosen lassen sich nicht an Taten der Ungerechtigkeit gegen die Frommen genug sein, sondern fügen noch harte Reden, vermessene Prahlereien, freche Drohungen und schändliche Beleidigungen hinzu. Worte verwunden oft mehr als Schwerter; sie sind manchmal so hart, dass man mit ihnen ein Herz zu Tode steinigen kann. Und zwar sprudeln solch böse Reden, wie der Grundtext sagt (vergl. Ps. 59,8), in mächtigem Schwall aus dem Innersten dieser Gottlosen hervor; sie stoßen sie in Menge heraus, wie ein mächtiger Quell das Wasser oder ein speiender Vulkan die glühende Lava. Und dies ist nicht nur hie und da der Fall, sondern es ist ihnen zur Lebensgewohnheit geworden, sie führen solche Worte alltäglich. Werden diese vermessenen Reden nicht endlich die Gerechtigkeit des HERRN also reizen, dass er dazwischen fährt? Es rühmen sich (wörtl. wahrscheinlich: überheben sich) alle Übeltäter. Sie treten bei aller Bosheit gar anmaßend auf, sie brüsten sich mit ihren Übeltaten, als täten sie etwas Gutes, wenn sie die Armen und Elenden zu Boden drücken und über die Gottseligen ihr Gift ausspeien. Es ist die Art der Gottlosen, hochfahrend und großmäulig zu sein, gerade wie die Demut ein Kennzeichen guter Menschen ist. Soll dieses ihr großsprecherisches Wesen von dem erhabenen Richter, der alles hört, was sie sagen, immerdar geduldet werden? Lang, sehr lang haben sie das Feld für sich allein gehabt, und laut, sehr laut haben sie Gott gelästert und seine Heiligen verhöhnt; wird der Tag nicht bald anbrechen, an welchem sie das ihnen verheißene Erbe ewiger Schmach und Schande ausgeteilt bekommen werden?
So ringen die hart bedrückten Gläubigen mit ihrem Gott und Herrn. Und wird Gott nicht seinen Auserwählten Recht schaffen? Wird er nicht vom Himmel her mit dem Widersacher reden und ihm zurufen: Was verfolgest du mich?

5. HERR, sie zerschlagen dein Volk. Sie zermalmen es unter ihrem Druck und reiben es auf durch ihre höhnenden Reden. Und doch sind diejenigen, welche so von ihnen vergewaltigt werden, das Volk Gottes und werden eben deshalb, weil sie das sind, so hart verfolgt. Der Grundtext hebt das durch die Wortstellung mit allem Nachdruck hervor: Dein Volk, o Jehovah, zermalmen sie! Das ist fürwahr ein dringender Grund für Gott, dreinzufahren! Und plagen dein Erbe. Das im Hebräischen wiederum nachdrücklich vorangestellte dein Erbe oder Besitztum deutet an, dass die Heiligen von dem HERRN selbst zum Eigentum erkoren sind, Gott darum auch besonderes Wohlgefallen an ihnen hat und an ihrem Ergehen den regsten Anteil nimmt. Dies uralte Bundesverhältnis ist eine ganze Rüstkammer voller Beweggründe, welche die Gläubigen ihrem treuen Gott vorbringen können. Wird der HERR nicht für die Seinen einstehen, wenn die Gottlosen sie plagen, sie durch schwere Demütigungen in den Staub drücken, ihre Hoffnung tief darniederschlagen und so auf alle Weise das Volk des HERRN zu vernichten suchen? Wer wollte wohl sein Erbgut verlieren, oder wer würde mit Gleichmut zusehen, wie sein Eigentum geschändet wird? Die so zu Boden gestreckt sind und mit Füßen getreten werden, sind keine Fremden, sondern die erkorenen Lieblinge Jehovahs; wie lange wird er sie eine Beute der grausamen Feinde sein lassen?

6. Witwen und Fremdlinge erwürgen sie und töten die Waisen. Sie lassen ihren Übermut in der schrecklichsten Weise an denen aus, die doch vor allen andern Gegenstand des Mitleids und Erbarmens sein sollten. Gottes Gesetz empfiehlt diese Bedauernswerten in besonderer Weise dem Wohlwollen der rechtschaffenen Menschen, und es ist eine absonderliche Gottlosigkeit, gerade sie als Opfer der Hinterlist und Mordlust herauszusuchen. Muss solch unmenschliches Verhalten den HERRN nicht reizen? Sollen die Tränen der Witwen und das Blut der Waisen umsonst vergossen werden? Sollen die Seufzer der Fremdlinge ungehört verhallen? So gewiss es einen Gott im Himmel gibt, wird er diejenigen heimsuchen, die solche Gräuel begehen. Ob es auch scheint, als sei er säumig über seinen Auserwählten, wird er ihnen doch Recht schaffen, und das in Kürze. (Lk. 18,7.)

7. Und sagen: "Der HERR siehet’s nicht." Das war der Grund ihrer Vermessenheit und zugleich der Höhepunkt ihrer Bosheit. Sie verübten blindlings eine Ruchlosigkeit nach der andern, weil sie von einem blinden Gott träumten. Wenn Menschen glauben, dass Gottes Augen erloschen seien, ist es kein Wunder, wenn sie ihren tierischen Leidenschaften alle Zügel schießen lassen. Die Leute, von welchen hier die Rede ist, hegten den gottlosen Unglauben nicht nur im Herzen, sondern hatten auch den Mut, ihn offen zu bekennen, indem sie den ungeheuerlichen Satz aufstellten, dass Gott viel zu fern sei, als dass er das Tun der Menschen gewahr werden könnte. "Und der Gott Jakobs achtet’s nicht." Welch abscheuliche Lästerung und handgreifliche Lüge! Ist Gott wirklich seines Volkes Gott geworden und hat er seine sorgsame Liebe gegen seine Auserwählten in tausend Gnadentaten erwiesen, wie dürfen dann die Gottlosen die Behauptung wagen, er werde die Untaten, welche die Frommen erdulden müssen, nicht beachten? Die Frechheit eines vom Unglauben aufgeblasenen Menschen kennt keine Grenzen, sonst müsste die Vernunft schon ihn zügeln; aber er hat eben die Schranken des gesunden Menschenverstandes durchbrochen. Den Jakob hatte sein Gott am Jabbok gnädiglich erhört, hatte ihn sein Leben lang geleitet und behütet und von ihm und seinem ganzen Geschlecht gesprochen: "Tastet meine Gesalbten nicht an und tut meinen Propheten kein Leid!"(Ps. 105,15) Und dennoch geben diese unvernünftigen Menschen vor, zu glauben, dass er die gegen die Auserwählten verübte Unbill weder sehe noch achte! Wahrlich, an solchen Ungläubigen geht das Sprichwort in Erfüllung: Wenn Gott einen strafen will, so lässt er ihn zuvor blind werden.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer David Ps94

Beitrag von Jörg »

8. Merkt doch ihr Narren unter dem Volk!
Und ihr Toren, wann wollt ihr klug werden?
9. Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören?
Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?
10. Der die Heiden züchtigt, sollte der nicht strafen,
der die Menschen lehrt, was sie wissen?
11. Aber der HERR weiß die Gedanken der Menschen,
dass sie eitel sind.


8. Merkt doch, ihr Narren unter dem Volk. Die Gottlosen hatten gesagt, Gott merke nichts, und nun ruft der Psalmist, nach dem Grundtext eben dasselbe Wort gebrauchend, ihnen zu, doch aufzumerken und der Wahrheit Beachtung zu schenken. Er nennt sie Narren, oder eigentlich viehisch dumme Leute, und so ist es recht gesagt; und er fordert sie auf, doch zu bedenken und zu verstehen, wenn sie überhaupt dazu fähig seien. Sie hielten sich selbst für klug, ja sie meinten, sie seien die einzigen Pfiffigen in der Welt; er aber schilt sie die Unvernünftigen oder Narren unter dem Volke. Ja, gottlose Leute sind Narren, und je mehr sie wissen, desto närrischer werden sie. Je gelehrter, je verkehrter ist ein wahres Sprichwort. Ist ein Mensch mit Gott fertig, dann ist er auch mit seiner eigenen Menschheit fertig und hat sich dem Ochsen und Esel zugesellt oder vielmehr sich unter sie erniedrigt, denn ein Ochse kennet seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn. Anstatt uns in der Gegenwart wissenschaftlich gebildeter Ungläubigen sehr kleinmütig zu fühlen, wäre es vielmehr an uns, sie zu bedauern. Sie blicken von den Stelzen ihrer Gelehrsamkeit mit Verachtung auf uns nieder; aber, Mann an Mann gemessen, haben wir vielmehr Ursache, auf sie hinabzusehen. Und ihr Toren, wann wollt ihr klug werden? Ist’s nicht hohe Zeit? Ihr seid auf den Wegen der Torheit wohl bewandert; welchen Nutzen habt ihr auf ihnen erreicht? Ist euch denn kein Rest von Vernunft geblieben, kein Körnchen gesunden Menschenverstandes? Wenn in eurem Hirn noch ein Fünklein Erkenntnis glimmt, so hört doch auf Vernunftgründe und erwäget die Fragen, die euch jetzt vorgelegt werden.

9. Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören? Gott hat dies wunderbare Organ gebildet und an der allergeeignetsten Stelle, nahe dem Gehirn, angebracht, und sollte selber taub sein? Er ist einer solchen kunstvollen Erfindung fähig und sollte nicht wahrnehmen können, was in der Welt, die er selber gemacht hat, vorgeht? Er schenkte euch das Gehör und sollte selbst nicht hören können? Die Frage leidet keine Antwort; sie überwältigt den Zweifler, dass er von Verwirrung gepackt wird. Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen? Er gibt uns das Gesicht; ist es denkbar, dass er selbst ohne Sehvermögen sei? Mit Meisterhand hat er den Sehnerv und den Augapfel mit seinem ganzen wunderbaren Mechanismus gebildet; ist es dann nicht ganz widersinnig, dass er selbst außer Stande sein soll, die Handlungen seiner Geschöpfe wahrzunehmen? Gibt es einen Gott, so muss er ein persönliches, mit Vernunft erfülltes Wesen sein, dessen Erkenntnisvermögen keine Schranken gesetzt werden können.

10. Der die Heiden züchtigt, sollte der nicht. strafen? Er weist ganze Völker zurecht; sollte er es nicht an den einzelnen tun können? Die Geschichte zeigt durchweg, dass Gott die Sünden der Völker mit Völkergerichten heimsucht; und er wüsste nicht mit einzelnen Leuten fertig zu werden? - Die folgende Frage ist ebenso kraftvoll, wird aber mit einem Eifer vorgebracht, der dem Frager das Wort abschneidet, so dass der Satz unvollendet bleibt. Sie fängt an: Der die Menschen lehrt, was sie wissen - da stockt die Rede plötzlich; die Folgerung ist zu selbstverständlich, als dass man sie in Worte zu fassen brauchte. Es ist, als ginge dem Schreiber die Geduld aus, sich mit den Unverständigen noch weiter abzugeben. Es ist dem ernstgesinnten Gläubigen manchmal zu Mute, als müsste er den Toren sagen: "Geht eurer Wege! ihr seid es nicht wert, dass man euch mit Beweisen nachläuft! Wäret ihr vernünftige Leute, so würden euch diese Dinge von selbst einleuchten, dass niemand sie euch sagen brauchte. Ich verzichte auf den Versuch, euch zu überführen!" Alles, was die Menschen an Erkenntnis besitzen, kommt von Gott. Die ersten Grundlagen des Wissens wurden unserem Stammvater Adam schon von Gott beigebracht, und jeden späteren Fortschritt hat die Menschheit der göttlichen Hilfe zu verdanken; und der Urheber und Lehrer alles Wissens sollte selber nicht wissen?

11. Ob die Menschen es nun aber zugeben oder leugnen, dass bei Gott Wissen ist, eins erklärt der Psalmist nun aufs bestimmteste: Der HERR weiß die Gedanken der Menschen; denn sie (die Menschen) sind ein (bloßer) Hauch. (Grundtext) Nicht nur hört er ihre Worte und sieht ihre Werke, sondern er nimmt auch die geheimen Regungen ihres Herzens wahr. Es fällt ihm nicht schwer, die Menschen so bis ins Innerste zu durchschauen; denn, sagt der Psalmist, vor ihm sind sie ein bloßer Hauch. Nach des HERRN Schätzung ist es nichts Großes, die Gedanken solch durchsichtiger Eitelkeitsgebilde, wie die Menschen es sind, zu erkennen; er rechnet, was sie alle zusammen sind, in einem Nu und zieht das Ergebnis: ein Nichts! lauter Eitelkeit und Nichtigkeit! Auf die Menschen selbst geht nach dem Grundtext dieses Urteil; aber es besteht auch zu Recht, wenn wir es mit Luther auf die Gedanken beziehen: die Gedanken, der beste Teil, das Geistigste am Menschen, selbst diese sind lauter Eitelkeit und weiter nichts. Der arme Mensch! Und doch brüstet sich dieser elende Wurm, spielt den Alleinherrscher, tyrannisiert seine Staubesgenossen und trotzt seinem Gott! Torheit mengt sich mit der menschlichen Eitelkeit, wie Rauch mit dem Nebel, und macht diese garstiger, aber kein bisschen solider, als sie es für sich allein wäre.
Wie töricht sind doch die Leute, die meinen, Gott kenne ihre Taten nicht, während es sich in Wahrheit so verhält, dass sogar alle ihre eiteln Gedanken von ihm durchschaut werden! Wie unsinnig ist es, sich aus Gott nichts zu machen, während wir tatsächlich nichts sind vor seinen Augen!

12. Wohl dem, den du, HERR, züchtigst
und lehrst ihn durch dein Gesetz,
13. dass er Geduld habe, wenn’s übel geht,
bis dem Gottlosen die Grube bereitet werde!
14. Denn der HERR wird sein Volk nicht verstoßen
noch sein Erbe verlassen.
15. Denn Recht muss doch Recht bleiben,
und dem werden alle frommen Herzen zufallen.


12. Wohl dem, den du, HERR, züchtigst. Das Gemüt des Psalmisten wird nun ruhig. Er jammert nicht mehr vor Gott und streitet nicht weiter mit den Menschen; er stimmt seine Harfe zu sanfteren Tönen, denn es wird ihm im Glauben klar, dass es um den Gläubigen, auch wenn er aufs schwerste heimgesucht wird, dennoch wohl steht. Das Gotteskind mag sich nicht sonderlich glücklich fühlen, so lange es unter der Zuchtrute des HERRN seufzen muss, aber ein glückliches Menschenkind ist es dennoch; es ist Gott lieb und wert, sonst würde der HERR sich nicht die Mühe geben, es zu züchtigen, und gar köstlich und Glück bringend werden die Wirkungen seiner Heimsuchung sein. Und lehrst ihn durch dein Gesetz. Lehrbuch und Rute, Unterweisung und Züchtigung gehen zusammen und sind gerade in ihrer Verbindung zwiefach heilsam. Trübsal ohne das Wort ist wohl ein heißer Tiegel, aber es fehlt der Fluss, der die Läuterung bewirkt 1: Das Wort Gottes ersetzt diesen Mangel und macht so die feurige Prüfung wirksam. Es bleibt doch dabei: wahres Glück ist vielmehr bei denen, die unter Gottes züchtigender Hand leiden, als bei denen, die anderen Leiden zufügen. Es ist wahrlich besser, als ein Mann 2 sich unter die gewaltige Hand des himmlischen Vaters zu beugen und zu seufzen, als wie ein wildes Tier zu brüllen und zu toben und sich den Todesstoß zuzuziehen von dem, der alles Böse niederschlagen wird. Der mit Trübsal heimgesuchte Gläubige ist in der Lehre; er wird für etwas Höheres und Besseres zubereitet, und alles, was ihm widerfährt, dient zu seinem höchsten Guten. Darum ist er ein gesegneter, glücklicher Mensch, wie sehr immer seine äußere Lage anscheinend das Gegenteil beweist.

13. Dass er Geduld habe, wenn’s übel geht,3 bis dem Gottlosen die Grube bereitet werde. Die züchtigende Hand und das lehrreiche Buch werden uns gesegnet, so dass wir zur inneren Ruhe kommen, indem wir uns gläubig dem Herrn überlassen. Wir sehen es ein, dass sein Ziel unser ewiges Wohlergehen ist; darum halten wir unter schmerzlichen Führungen und heftigen Verfolgungen still und warten in Geduld das Ende ab. Der gewaltige Jäger bereitet inzwischen die Grube für diejenigen, die sich wie wilde Tiere gebärden. Jetzt schleichen sie noch beutehungrig umher und zerreißen die Schafe, aber bald werden sie gefangen und umgebracht sein. Darum lernen Gottes Kinder sich in Zeiten des Ungemachs still verhalten und Gottes Stunde erharren. Vielleicht sind die Gottlosen noch nicht reif zur Strafe oder die Strafe ist noch nicht bereit für sie. Die Hölle ist ein wohl zubereiteter Ort für wohl zubereitete Leute. Wie die Tage der Gnade den Gläubigen für die Herrlichkeit ausreifen, so beschleunigen die Tage der Begier beim Sünder das Verfaulen zum ewigen Verderben.

14. Denn der HERR wird sein Volk nicht verstoßen. Er mag sie niederwerfen, aber wegwerfen kann er sie niemals. Während heftiger Verfolgungen denken die frommen Dulder leicht, der HERR habe seine Schafe im Stich gelassen und dem Wolf preisgegeben; aber das ist noch nie der Fall gewesen und wird nie der Fall sein, denn der HERR wird ihnen seine Liebe nicht entziehen noch sein Erbe verlassen. Für eine Weile mag er wohl sich den Seinen ferne stellen mit der Absicht, dadurch ihr geistliches Wohl zu fördern, aber nimmer kann er sie völlig dahingeben.

15. Denn zur Gerechtigkeit wird das Recht (die jetzt von den Gottlosen mit Füßen getretene Rechtsübung) zurückkehren. (Wörtl.4 Der allerhabene Richter wird kommen, das Reich der Gerechtigkeit wird erscheinen, das von den Gottlosen jetzt mit Füßen getretene Recht wird doch schließlich zu seinem Recht kommen, und dann werden alle redlichen Herzen sich freuen. Der Wagen der Gerechtigkeit wird im Triumpfe durch unsere Straßen ziehen, und dem werden alle frommen Herzen sich anschließen. (Wörtl.) Eine entzückende Hoffnung wird uns hier in einem poetischen Bilde von hoher Schönheit vorgeführt. Die Weltherrschaft ist für eine Zeit lang in den Händen solcher gewesen, die ihre Macht zu den niedrigsten und frevelhaftesten Zielen ausgenutzt haben; aber das Seufzen der Gottesfürchtigen wird die Gerechtigkeit wieder auf den Thron bringen, und dann wird jedes rechtschaffene Herz seinen Anteil an der Freude haben.

Fußnoten
1. Der Fluss: eine dem zu läuternden Erz zugesetzte Substanz, welche seine Schmelzbarkeit erhöht, namentlich der Flussspat.

2. Spurgeon bezieht sich hier darauf, dass der Grundtext sagt: "Wohl dem Manne, den du usw.", und dabei für Mann ein Wort gebraucht (geber), das ursprünglich den Mann als Starken, als Helden bezeichnet. Spurgeon hat schon vorher dazu bemerkt: "Der ist in der Tat ein Mann im besten Sinne des Wortes, der in der Zucht und Vermahnung des HERRN steht." Gibt diese Auslegung dem Worte geber einen Nachdruck, den es in der dichterischen Sprache verloren hat, so ist doch die Gegenüberstellung der Ausdrücke Mann (V. 12) und tierisch Dumme (V. 8 Grundtext) beachtenswert.

3. Den Grundtext: ihm Ruhe zu schaffen von den Tagen des Bösen verstehen die einen (wie Luther und Spurgeon) von innerer, die andern (in verschiedener Deutung) von äußerer Ruhe.

4. Luthers Übersetzung trifft, wie so oft, bei aller Freiheit den Sinn gut.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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