Hallo Jakob,
ich halte von dem Ouweneel'schen Artikel nicht viel. Es gibt viel dazu zu sagen, aber ich habe dann doch nicht die Zeit, hier einganzes Buch zu schreiben, das am Ende keiner liest. Hier aber zumindest einige Gründe:
(1) Er spielt mit starken Worten, so daß es fast wie Propaganda klingt.
Ouweneel hat geschrieben:Doch heutzutage sage ich: wenn auf diesem Gebiet so viel Böses geschieht, ist das nicht ein Grund mehr, um auf diesem Gebiet eine radikal biblische Stimme hören zu lassen!
Eine "radikal biblische Stimme"? Das erinnert mich an Johannes, die Stimme in der Wüste, die ruft, bereitet den Weg dem, der da kommt im Namen des Herrn. Aber keinesfalls an eine "christliche" Partei. Gottes Wort sagt uns, das uns ALLES zufallen werde, wenn wir sein Reich vor Augen hätten. Die Politik hingegen will durch menschliche Anstrengung ein System verbessern, das aus Gottes Sicht bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Eine radikal biblische Stimme wäre auch eine, die von Nichtchristen gehört werden würde - und nicht die bloße Verschiebung einer Statistik um ein paar Nachkommastellen. Herr Ouweneel scheint hier absichtlich eine Überbewertung zu bezwecken, um seine neue Richtung zu untermauern.
(2) Der Ouweneel'sche Richtungswechsel kam nicht von Gott oder aus der Bibel...
...sondern durch eine Erkenntnis, die Herr Ouweneel aus der Philosophie gewann. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß seine Schlußfolgerungen weitab biblischer Argumentation entwickelt werden.
Ouweneel hat geschrieben:Insofern ist es auch fehl am Platz zu behaupten, dass Christen nicht von politischen Machtmitteln Gebrauch machen dürfen, sondern allein von der geistlichen Waffenrüstung (Eph 6). Das ist für mich auch wieder ein falscher Gegensatz. Strukturell gibt es viele Waffen, wovon Christen Gebrauch machen können (z. B. eine Zivilrechtsprechung) [...]
Damit widerspricht er der Bibel in vielen Punkten. Gott baut sein Reich nicht durch Heer oder Kraft (inkl. politischen Machtmitteln), sondern durch seinen Geist. Auch sollen wir die Zivilrechtsprecheung nicht als Maßstab anerkennen, sondern Gottes Maßstab. Demnach sollen wir jemandem, der uns ein Fahhrad klaut, auch noch den dazugehörigen Kindersitz schenken, anstatt ihn vor Gericht zu zerren. Wir sollen den segnen, der uns Böses tut und dem die Schuld erlassen, der bei uns borgt und dann nicht zurückzahlt. Wo bei solchen biblischen Maßstäben diese sogenannte "Zivilrechtsprechung" auf Grundlage humanistischer Gerechtigkeitsphantasien hineinpaßt (basierend auf der dem Menschen allein durch die erste Sünde zugänglichen Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse), das will mir nicht einleuchten.
(3) Die Vergleiche hinken.
So wirft Herr Ouweneel diejenigen Beziehungen/Gemeinschaften, in denen wir eine Verantwortung aus biblischer Sicht innehaben, in einen Topf mit der Staatsbürgerschaft. Dabei übersieht er, daß Gemeinschaft kein Urzustand ist, sondern gewählt werden muß. Ich bin für meine Familie verantwortlich, weil ich Ja zu dieser Gemeinschaft gesagt habe und mich Gott dafür zur Rechenschaft ziehen wird. Ich habe am Arbeitsplatz einen Vertrag unterschrieben, und auch dafür muß ich geradestehen. Doch hinsichtlich der Staatsbürgerschaft fällt mir ebensoviel Verantwortung zu wie in Bezug auf die Tatsache, daß ich aufgrund irgendeiner Klausel von Geburt an evangelisch war: Für eine solche erzwungene Teilnahme, die ohne mein Wissen entsteht und die ich nachher nur schwer beenden kann, wird Gott mich nicht zur Rechenschaft ziehen.
(4) Die Sache mit dem christlichen Einfluß
Ouweneel hat geschrieben:Das ist auch begreiflich. Wenn wir fleißig christliche Schulen gründen, Betriebe aufrichten nach christlichen Grundsätzen, christliche Stiftungen und Vereine (z. B. eine christliche Radiosendung) ins Leben rufen, warum dann nicht eine christliche politische Partei?
...weil keine dieser vielen Einrichtungen bis zum heutigen Tag wirklich nachhaltige Früchte vorweisen kann! Selbst die ganz frommen Werke werden spätestens bei der Übernahme der zweiten Generation an Leitern lau und selbstzentriert, mit einigen ganz wenigen Ausnahmen. Und daß eine wirkliche Beeinflussung der Kultur und des gesellschaftlichen Lebens stattgefunden haben soll, ist eine Lüge, die man anhand eines kurzen Blicks in die Tageszeitung widerlegen kann. Wieso sollen also noch mehr Millionen und noch mehr menschliche Mühe in christliche Werke (in diesem Fall Parteien) gesteckt werden, während man das Evangelium ohne die politische Komponente sicherlich viel unverfälschter und direkter predigen könnte?! Mal im Ernst: Würde jeder PBC-ler statt Wahlwerbung evangelisieren, dann wäre das ein wesentlich besseres Zeugnis. Ich würde sofort auf alle politischen Maßnahmen zur Wohlstandssicherung verzichten, wenn andererseits deutschlandweit auch nur 100 Menschen durch eine solch ausgedehnte Kampagne zum Glauben kämen.
(5) Ouweneel beurteilt nicht mehr objektiv
Das Problem ist offenbar, daß Herr Ouweneel durch seine Hinwendung zu einem manipulativen System dessen Prämissen ungeprüft übernimmt und als seine eigene Meinung weitergibt. Ein Beispiel:
Ouweneel hat geschrieben:Gerade deswegen ist nach einem langen Entwicklungsweg die Demokratie entstanden, um an Terror und Unterdrückung soviel wie möglich (mehr ist nicht zu erreichen!) ein Ende zu machen. Und so nehmen wir die Demokratie dankbar als ein Geschenk von Gottes Vorsehung an.
Herr Ouweneel versteht es nicht, die geschichtlichen Tatsachen konsequent zu deuten. Jede Demokratie eskaliert früher oder später durch eine ständige Zunahme an staatlicher Kontrolle zu einer Diktatur. Jede Demokratie unterdrückt ab irgendeinem Punkt entweder das eigene Volk (z.B. durch Gleichschaltung und einen "Konsens", der Andersdenkende marginalisiert) oder andere Völker (z.B. Kontrolle der US-Truppen in zahlreichen Ländern). Wer heutzutage im holländischen politischen Geschehen steckt und glaubt, die Demokratie würde der Unterdrückung ein Ende machen, der läuft mit geschlossenen Augen umher. Längst sind viele Freiheiten in Gefahr. Wer in der Fußgängerzone einkauft, muß sich mit den Überwachungskameras anfreunden, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen. Wer ab Frankfurt fliegen will, muß sich per Netzhautscanner und/oder anderen biometrischen Geräten erfassen lassen. Wer Schwule Sünder nennt, der macht sich der Diskriminierung schuldig. Wer Moslems gegenüber behauptet, Allah sei nicht Gott, der provoziert und ist intolerant. Abtreibung und Sterbehilfe sind in Holland ja eh schon akzeptiert, und Gegner werden mit anderen Störern und Randalierern in einen Topf geworfen.
Demokratie zieht Terror an
Am Ende waren es stets zur Diktatur verkommene "demokratische" Staaten, die die größten Kriege und Massen- und Völkermorde begangen haben. Vor der Regierungsgewalt einer durch ein gottloses Volk ins Amt gewählten Regierung sollte es uns grauen... wie also die Demokratie ein Mittel gegen Terror sein soll, ist mir ein Rätsel. Terror existiert doch überhaupt erst wirklich, seitdem es Demokratien gibt?! Erst im Zeitalter der Demokratien ist es interessant, das Volk in Angst und Schrecken zu versetzen und damit auf die vom Volk gewählte Regierung Druck ausüben zu wollen. Nur in der Demokratie bietet Terror überhaupt einen Anreiz für Fanatiker, die die Meinung einiger weniger der gesamten - im Vergleich zur Regierung verhältnismäßig schutzlosen - Gesellschaft aufzwingen wollen. Nur in einer Demokratie richtet sich eine feindselige Haltung gegen eine Regierung automatisch gegen deren ganzes Volk...?
Zu Ouweneel selbst
Absegehen davon, daß er Rekonstruktionist ist und daher meint, wie sollten am irdnischen "Königreich Gottes" (er verwendet diesen Begriff außerhalb der biblischen Definition) bauen, bis Jesus auf diese Welt zurückkommt und seine Herrschaft einnimmt, ist sein Autoritätsanspruch auch in seiner Selbstdarstellung klar ersichtlich - wo von Demut keine Spur ist und statt persönlicher Eingenschaften (Charakter, Integrität) nur aufgezählt wird, welche Anerkennung er von anderen erhält und welche Kompetenz ihm von anderen zugestanden wird:
Ouweneel hat geschrieben:Willem Johannes Ouweneel wurde 1944 in Zaandam (Niederlande) geboren. Er hat in drei verschiedenen Fachbereichen einen Doktortitel erworben (Dr. rer. nat. Utrecht, NL, 1970; Dr. phil. Amsterdam, NL, 1986; Dr. theol. Bloemfontein, Südafrika, 1993). Er arbeitet als Dozent für Philosophie und Theologie an der Evangelische Hogeschool in Amersfoort (NL) und als Professor für Philosophie und Theologie an der European School for Evangelical Theology in Heverlee/Leuven (Belgien). Daneben entfaltet er eine rege Tätigkeit als Prediger und Schriftsteller; insgesamt erschienen bis jetzt über 110 Bücher aus seiner Feder, davon über 30 auch in deutscher Sprache. Außerdem wirkte er an über 40 weiteren Büchern mit und schrieb viele Hunderte von Artikeln...
Wer sich so sehr über die Anzahl an Titeln und Veröffentlichungen definiert wie dieser Mann, der sucht eindeutig das Ansehen bei den Menschen und nicht bei Gott. Wer so viele Jahre mit dem Streben nach all diesen Titeln verbringt (und das ist sehr harte Arbeit und kostet meist auch viel Geld), der hat nicht erst "letztens" erkannt, daß Einfluß in der Welt für ihn eine sehr attraktive Vorstellung ist. Ich bezweifle, ob er je zu einer ähnlichen Erkenntnis gekommen wäre, wie er sie in diesem Artikel schildert, wenn er sich mit 30 aus dem Drogenmilieu heraus bekehrt hätte und überhaupt keine Chance hätte, in diese akademische Liga aufzusteigen oder je als Politiker Autorität auszuüben. Es ist mehr eine Rechtfertigung dessen, was er von Anfang an angestrebt zu haben scheint. Denn wer über 23 Jahre lang Doktortitel sammelt, der tut dies mit einem Ziel vor Augen. Anerkennung vor Gott wird dieses Ziel nicht sein.