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Psalm 120

Verfasst: 06.07.2025 08:02
von Jörg
6. Es wird meiner Seele lang, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. Ach ja, lange, lang genug, zu lange schon lebte er wie in der Verbannung unter solchen Barbaren. Friedensstifter sind ein Segen, aber Menschen, die den Frieden hassen, sind ein Fluch. Bei solchen auch nur eine Nacht zu weilen, ist gefährlich; aber bei ihnen wohnen zu müssen, ist schrecklich. Wörtlich heißt es: bei dem Friedenshasser. Luthers Übersetzung wird, wie allgemein angenommen, den Sinn richtig wiedergeben. Doch könnten immerhin des Dichters Gedanken auch, wie wir es in manchen anderen Psalmen sehen, zu einem besonderen Friedensstörer hinüberschweifen. Er hatte genug von ihm und schmachtete danach, solche Gesellschaft verlassen zu können. Vielleicht hatte der Psalmist den Charakter des Mannes nicht gleich durchschaut, eben weil es ein Betrüger war; und als er seine Gesinnung erkannte, da fand er sich vielleicht außerstande, ihn von sich abzuschütteln, und war somit genötigt, ihn um sich zu dulden. Männer wie Doeg, Saul, Ahitophel und die beiden Söhne der Zeruja kommen uns in den Sinn - diese letztgenannten zwar nicht als Feinde, wohl aber als heißblütige Krieger, die David oft zu stark waren (2. Samuel 3,39; 16,10; 19,23). Welche Veränderung war das doch für den Mann Gottes, weg von der Stille der Schafweide zu der Unruhe und dem Ränkespiel des Hoflebens und dem Getümmel und den Leidenschaften des Krieges! Wie muss er sich oft danach gesehnt haben, das Zepter niederzulegen und den Krummstab des Hirten wieder zur Hand nehmen zu können. Die Zeit, die er mit streitsüchtigen Geistern zusammenwohnte, dünkte ihn lang, zu lange, und er ertrug es nur, weil er es eben ertragen musste.

7. Ich halte Frieden, buchstäblich: Ich bin Friede, ich begehre Frieden, halte Frieden, suche Frieden zu stiften, kurz, bin ganz Friede. Aber wenn ich (nur) rede, so fangen sie Krieg an. Meine freundlichsten Worte selbst reizen sie; sofort ziehen sie das Schwert. Mit nichts kann man es ihnen recht machen; bin ich still, so halten sie mich für griesgrämig, und tue ich den Mund auf, so fangen sie sofort an, zu kritteln und zu widersprechen. Mögen solche, die in kampflustiger Gesellschaft wohnen, sich zum Troste daran erinnern, dass sowohl David als auch Davids Herr Trübsal gleicher Art erduldet haben. Es ist der Heiligen Los, dass sie selbst unter ihren eigenen Hausgenossen Feinde finden. Noch andere außer David haben bei den wilden Tieren hausen (Mk. 1,13) und mit ihnen kämpfen (1. Kor. 15,32) müssen, und nicht Daniel allein ist in einer Löwengrube gewesen. Indessen mögen alle, die in stillen Friedenshütten weilen dürfen, für solche Ruhe herzlich danken. Deus nobis haec otia fecit: Gott hat sie uns geschenkt. Sei es unser Bestreben, niemals anderen ein Leid zu bereiten, wovor wir selber gnädig beschützt worden sind.

Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzem Psalm. Es ist eine schmerzliche, aber nützliche Lehre, die uns dieser erste der Pilgerpsalmen gibt, dass nämlich alle, die sich entschlossen zeigen, den Geboten Gottes zu gehorchen und sein Wohlgefallen zu suchen, darauf gefasst sein müssen, Widerstand und Schmähungen zu erfahren. Das erlebten auch diese wahrhaftigen Anbeter der alten Zeit, wenn sie sich anschickten, zum Tempel hinauszuziehen, um dort dem HERRN zu nahen. Sie fanden sich bei ihren Vorbereitungen überwacht von feindseligen Augen, und auf ihrem Wege zum Bethause verfolgten sie die Schmähungen und Verdächtigungen gehässiger Zungen. Aber ihre Zuflucht ist bei dem, dem ihre Anbetung gilt; und in der festen Überzeugung, dass er seine Diener niemals im Stiche lassen kann, schauen sie durch die düstern Wolken der üblen Nachreden gläubig auf zu seinem Throne und erflehen sich den Beistand, von dem sie gewiss sind, dass alle seine Kinder ihn stets dort finden werden. O HERR, in dieser meiner Not errette meine Seele! Robert Nisbet 1863.

Die Festbesucher waren im Begriff, ihr Haus zu verlassen, und falsche Zungen lieben es, die Abwesenden anzugreifen. Auch waren sie im Begriff, sich der Schar der übrigen Pilger anzuschließen; wie leicht konnte da in der Erregung des Gesprächs ihre eigene Zunge von der Wahrheit abweichen! Aus dem ganzen Psalm spricht ein tiefes Sehnen nach Frieden; und wann wäre wohl in dieser Welt voll Hader und Verwirrung dies Verlangen nicht zeitgemäß? Kann es uns wundern, wenn ein Israelit, in dessen Herzen ein tiefes Sehnen nach Ruhe und Frieden war, in dem Augenblick, da er sich aufmachte, um zum Tempel zu ziehen, in den Ruf ausbrach: "O nur wieder einmal heraus aus alledem, wenigstens für eine kleine Weile! O heraus aus all der fieberhaften Aufregung und Spannung, heraus aus dem eitlen Getümmel, dem Wirrwar und Lärm und Hader der Welt! O lass mich eine Weile ausruhen und mich erquicken in deinem Heiligtum, in der geweihten Freistatt meines Gottes! Ja, o du Gott des Friedens, gewähre mir deinen Frieden, wenn ich anbete in deiner heiligen Gegenwart, und lass mich, wenn ich in die Welt zurückkehre, sie besser wiederfinden oder wenigstens mich ein besseres, geduldigeres Herz für die Pflichten und den Kampf in der Welt heimbringen." S. Cox 1874.

V. 1. Ich rufe zu dem HERRN in meiner Not. Es ist kein besserer Meister, beten zu lehren, denn die Not. Dies habe ich in Erfahrung, dass ich nimmer so wohl bete, als in Trübsalen. Dies ist das scharfe Gewürze, welches auch in David den Hunger und die Begierde zu beten erwecket hat, wie er sagt Ps. 18,7: So ich in Trübsalen bin, rufe ich zu Gott. M. Luther 1531.

Sieh den Vorteil der Trübsal! Ja selig sind, die da Leid tragen, die da trauern, während sie den langen Weg hinaufziehen von dem Galiläa der Heiden in dieser niederen Welt zu dem himmlischen Jerusalem, der heiligen Stadt der Auserwählten Gottes droben. J. W. Burgon 1859.

Die Zeitwörter stehen in der Form der Vergangenheit (Ich rief, er erhörte mich), aber sie beziehen sich nicht ausschließlich auf Vergangenes. Frühere und gegenwärtige Erfahrung vereinigen sich hier miteinander. Aus der Vergangenheit schöpft der Psalmist Ermutigung für die Gegenwart. J. J. St. Perowne 1868.

V. 2. HERR, errette meine Seele von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen. Eine zügellose Zunge ist ein vehiculum Diaboli, ein Gefährt des Teufels, darauf er im Triumph einherfährt. R. Greenham († 1591) beschreibt die Zunge gut in Gegensätzen: "Sie ist ein Stückchen Fleisch, gering an Größe, aber mächtig an Kraft. Sie ist weich, aber schlüpfrig, ist gar leicht beweglich und fällt doch so schwer, berührt sanft und verwundet doch so scharf, geht schnell heraus, brennt aber heftig und dringt tief ein, darum heilen die Wunden, die sie schlägt, nicht schnell. Leicht geht sie aus, aber sie findet es keineswegs leicht, wieder heimzukehren, und ist sie einmal mit Hilfe von des Satans Blasebalg entzündet, so brennt sie wie das Feuer der Hölle." Eine unbändige Zunge schreitet immer vom Bösen zum Schlimmeren fort; sie beginnt mit Unverstand, fährt fort mit Ungestüm und endet mit Unheil und Tollheit. Vergl. Pred. 10,13. Die Juden in Jerusalem fingen den Wortstreit mit dem Herrn Jesus, Joh. 8, mit Behauptungen an (Wir sind Abrahams Same usw.), gingen aber bald zu Lästerungen über (Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel) und endeten mit Grausamkeit (Da hoben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen), Joh. 8,33.48.59. Darin zeigt sich vornehmlich auch die Niederträchtigkeit der bösen Zunge, dass sie die hasst, die sie verletzt hat (Spr. 26,28 Grundtext), wie auch das Sprichwort sagt: Generis humani est odisse quem laeseris. Edward Reyner † 1670.

In dem Tröpfchen, das aus dem Stachel des kleinsten Insektes oder den Brennhaaren der Nessel in die Haut eindringt, ist der Kraftauszug eines Giftes enthalten, so fein, dass das Mikroskop es kaum entdecken kann, und doch so kräftig, dass es das Blut erhitzen, den ganzen Körper in einen Fieberzustand bringen und den Menschen Tag und Nacht in ruhelose Qual versetzen kann. So ist es auch oft mit den Worten der Afterredner. F. W.Robertson † 1853.