Warum ich nicht unterzeichnet habe – von Robert C. Sproul
(Eine leicht gekürzte Übersetzung seines Artikels
http://www.ligonier.org/blog/the-manhattan-declaration/)
Am 20. November 2009 wurde ein Dokument namens „Manhattan Erklärung“ von einer Koalition christlicher Führungspersonen, die sich gemeinsam gegen bestimmte Dinge aussprechen, der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin geht es vor allem um drei wichtige biblische und kulturelle Themen: die Würde des Lebens, die Bedeutung der Ehe und das Wesen der Religionsfreiheit. Diese Themen sind zweifellos heiße Eisen.
Ich teile die Anliegen dieses Dokuments, die Ungeborenen zu schützen, die biblische Ehe zu verteidigen und ein richtiges Verhältnis von Kirche und Staat zu bewahren. Doch als mir das Dokument zur Unterzeichnung zugesandt wurde, habe ich die Unterschrift abgelehnt.
Warum? Die Manhattan Erklärung verwechselt und vermischt allgemeine und besondere Gnade. Man könnte vielleicht mit dem Bischof von Rom und einem orthodoxen Prälaten gemeinsame Sache gegen Abtreibung machen,* aber eine solche Zusammenarbeit kann unmöglich auf der Annahme basieren, dass man einen gemeinsamen Glauben und ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums teile.
Die Gestalter der Manhattan Erklärung haben diesen Vorbehalt anscheinend in die Formulierung des Dokuments bereits eingearbeitet. Zudem haben manche Unterzeichner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es kein theologisches Dokument sei. Doch wenn das zutreffen soll, müsste man sowohl den Begriff „Theologie“ umdefinieren als auch ein mehrdeutiges Verständnis von „Evangelium“ haben, obwohl es doch kein anderes Evangelium gibt (2Kor 11,4).
Die Verfasser der Erklärung – Charles Colson, Robert George und Timothy George – wählten eine behutsame Ausdrucksweise, die der ökumenischen Sprache der ECT-Bewegung (Evangelicals and Catholics Together) entspricht, die in den 1990er Jahren aufkam. Die Manhatten Erklärung beginnt: „Heutige Christen sind Erben einer zweitausendjährigen Tradition“ und sie identifiziert „Orthodoxe, Katholiken und Evangelikale“ als „Christen“. Sie ruft Christen auf sich zu vereinen in der Verkündigung des „Evangeliums der kostbaren Gnade“ und der Pflicht „das Evangelium unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus in seiner ganzen Fülle zu verkündigen, zur Zeit und zur Unzeit“.
Zweifellos muss die biblische Wahrheit verkündigt und das Evangelium gepredigt werden. Aber wie könnte ich etwas unterzeichnen, dass Verwirrung über das Evangelium stiftet und unklar ist in der Definition, wer ein Christ ist und wer nicht? Seit dem Aufkommen von ECT habe ich das immer und immer wieder deutlich gemacht, u.a. in meinen Büchern „Faith Allone“ und „Getting the Gospel Right“. Obwohl die Verfasser der Manhatten Erklärung jegliche Verbindung zu ECT bestreiten, scheint diese Initiative unausweichlich mit ECT verknüpft zu sein. Mehr noch: Dieses neue Dokument setzt praktisch den Sieg von ECT voraus, denn es benutzt den Begriff „Evangelium“ für das, was Katholiken angeblich „verkündigen“.
Die römisch-katholische Kirche hat eine lange Geschichte ihrer Strategie, durch geschickt doppeldeutige Formulierungen ihre einstigen Gegner für sich zu gewinnen. Ich möchte eindeutig feststellen: Ohne ein klares Verständnis von Sola fide (allein durch Glauben) und der Lehre der Rechtfertigung und stellvertretenden Sühne Christi gibt es weder ein Evangelium noch Einigkeit im Evangelium (1Kor 1,17; 2Kor 5,21). Die ECT-Initiative hat immer wieder bekräftigt, dass ihre Unterzeichner die Glaubenseinheit im Evangelium hätten. Dazu gehörten römisch-katholische Unterzeichner, die auch die Beschlüsse des Konzils zu Trient bekräftigen, die den Grundsatz des Sola fide [und die Rechtfertigung allein aus Glauben] verdammen. Es mag echte und aufrichtige Christen in der katholischen und den orthodoxen Kirchen geben. Doch wenn sie Christen sind, dann nicht aufgrund der Lehre ihrer Kirche, sondern trotz dieser offiziellen Lehren.
Mindestens ein Unterzeichner der ME, Charles Colson, sieht diese Erklärung als Mittel zur Wiederbelebung der Kirche in Amerika. Er sagte, die ME sei „eine Form von Katechismus für die grundlegenden Wahrheiten des Glaubens“ (
http://bit.ly/4Tmbct). Er meint, die ME sei ein Gegenmittel gegen „biblische und lehrmäßige Ignoranz“ innerhalb der Gemeinde. Doch wahre Reformation und Neubelebung werden nur durch eine klare, freimütige Verkündigung des biblischen Evangeliums kommen und nicht durch ökumenische Erklärungen, die mit schwammigen Formulierungen die kostbarsten biblischen Konzepte und Wahrheiten verwässern. Es gibt kein anderes Evangelium als jenes, das Paulus verkündigt hat (Gal 1,6-8).
Die ME bringt evangelikalen Christen in eine Zwangslage und in Verlegenheit. Ich habe liebe Freunde im Dienst, die die ME unterzeichnet haben und mir schmerzt es im Herzen, wenn ich ihre Namen darunter sehe. Ich denke, dass sie irregeleitet wurden und einen Fehler gemacht haben. Mit einigen habe ich persönlich darüber gesprochen und ich hoffe, dass sie ihre Unterschrift widerrufen.
Letztlich stimme ich den Vorbehalten zu, die meine Freunde Alistair Begg, Michael Horton (
www.whitehorseinn.org/archives/250.html) und John MacArthur (
www.gty.org/Resources/Print/Articles/A390) ausgedrückt haben. Ich schätze ihre Entschlossenheit, sich zu weigern, auf diesen Zug aufzuspringen und stattdessen weiterhin für ein klares Evangelium und den ganzen Ratschuss Gottes einzustehen. Dieser beinhaltet auch die Würde des Lebens, die Bedeutung der Ehe und wahre Religionsfreiheit. Aber nur durch die Verkündigung des einen, wahren Evangeliums Jesu Christi können Herzen oder auch Nationen wirklich verändert werden, durch Gottes souveräne Gnade und allein zu seiner Ehre.
* Anmerkung von H.W. Deppe: Dagegen hätte ich Vorbehalte aufgrund von 2Kor 6,14