Luther-Predigten, Zitate und Sprüche

Nur für Gläubige, die die fünf Punkte des Arminianismus ablehnen

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Jörg
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Martin Luther


Vorrede zu Justus Menius: Wie ein jeglicher Christ gegen allerlei Lehre, gut und böse, nach Gottes Befehl sich gebührlich halten soll

(1538)

[WA 50, 346–347]


Darein müssen wir uns fügen, alle die, so wir Christen sein und selig werden wollen, daß in der Christenheit keine Ruhe noch Aufhören ist mit Sekten, falschen Brüdern und allerlei Wüten des Teufels. Der Satan will und muß unter den Kindern Gottes sein (Hiob 1, 6). Wo aber Satan unter dieselbigen kommt, und von Gott Freiheit und die Erlaubnis dazu krieget, die frommen Kinder Gottes zu versuchen, so gehets an. Da werden dem lieben Hiob die Schafe geraubet, da schlägt der Donner sein Gesinde tot, da kommt der Wind von Mitternacht und reißt seine Häuser um und würget ihm alle seine Kinder. Aber das ist nicht genug, sondern hernach muß auch sein Leib und Seele allerlei Plage leiden, bis daß auch seine eigenen Freunde ihn dazu plagen und sein eigenes Weib ihn verspottet.

Man lese die Kirchengeschichte samt dergleichen und sehe mit Fleiß drein, so wird man finden, wie von Anfang der Christenheit an solch wüstes Wesen von Sekten, Irrtum und allerlei Ärgernis gewesen ist, daß auch unter den Heiden, da der Teufel leibhaftig regiert, besser, stiller und feiner Regiment anzusehen gewesen ist als unter den Christen. So daß die großen Regenten im römischen Reich mit gutem Grund und ohne Übertreibung haben sagen können: siehe die Buben, wie sie sich selbst untereinander fressen, und wollen doch die Welt unter sich bringen, zu ihrem Glauben! Gleichwie auch die Freunde Hiobs durch sein großes Unglück so stark geärgert werden, und sich ganz gewiß dünken lassen, Hiob sei der ärgeste Bösewicht auf Erden, dem Gott habe feind sein und ihn so greulich strafen müssen. Und ob Gott gleich zuweilen auch das weltliche Regiment straft, daß sie auch untereinander Krieg und alles Unglück haben und leiden müssen, so achtet mans doch nicht, wie man es unter den Christen hat, welche fromm, stille, einträchtig und friedlich sein sollen, nach ihrer eigenen Lehre und aller Propheten Weissagung.

So ist in dieser Sache kein Rat noch Hilfe, als (wer es kann) auf Gottes Wort sehen, sich daran halten und danach alles richten. Denn weil Gottes Wort die große Macht besitzt, daß es unter den Teufeln, Tod, Sünden Raum schafft und seine mächtige Gewalt übet, (welche doch dasselbe auch nicht leiden, sondern getrost dawider toben), wie sollt es nicht auch unter den Menschen Sekten, fleischlicher Weisheit und Heiligkeit Raum schaffen (welche es auch nicht leiden können)? Dabei muß es freilich geschehen, daß sichs ansehen läßt, als könnte niemand wissen, wer hier Koch oder Kellner, wer Gottes oder des Teufels sei, wo Kirche oder Antichrist sei. Solches tut Gott alles deshalb, weil er nicht auf Menschen noch menschlich Wesen, sondern auf sein Wort gesehen haben und das unter, über und außer allem geehret und gehalten haben will. Wie wenn ein Mensch im Sterben oder sonst in Nöten ist, so muß er vergessen Himmel und Erde, Sonne und Mond, Vater und Mutter, Geld und Gut, Ehre und Gewalt, und sich bloß an Gottes Wort halten, darauf sich allein verlassen und so dahinfahren; es bleiben Himmel und Erde dahinten oder vorne, sie können doch nichts hier raten, noch helfen, auch nicht schützen, viel weniger erretten.

So muß man auch in solchen Ärgernissen der Kirche tun: nicht achten, was Menschen leiden oder tun, nicht ansehen, ob ihrer viel oder wenig, ob es Türke oder Papst sei, sondern wo und bei welchen das Wort Gottes sei. Daselbst halte man sich und sei gewiß, daß da Hiobs Haus und die Kinder Gottes, die heilige Kirche sei. Lasse danach, wers nicht lassen will, Anstoß nehmen an des Satans Werken, der so wüste in Hiobs Haus rumort, daß es scheinet, es sei des Teufels Haus, und alle anderen Häuser seien Gottes Häuser. Aber Hiobs Haus bleibt doch zuletzt, wenn alle andern verdammt untergehen. Denn es heißt (Matth. 24, 35): Gottes Wort bleibet ewig. Himmel und Erde vergehen, aber mein Wort vergehet nicht, Amen. Und das ist wahr.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Vorlesung über den Römerbrief (zu Römer 2, 15)

»Dazu auch die Gedanken, die sich untereinander verklagen oder auch entschuldigen.« Bestimmt haben wir aus unserem Gewissen nur anklagende Gedanken, da unsere Werke vor Gott ein Nichts sind (es sei denn, er wirke selbst in uns durch seine Gnade). Trotzdem fällt es uns natürlich leicht, uns vor uns selbst zu entschuldigen, denn mit uns sind wir ja schnell zufrieden. Aber was bringt das ein, außer daß wir gerade dadurch überführt werden, daß wir das Gesetz ja gekannt haben? Selbstgefällige Gedanken dieser Art sind doch nur Zeugen dafür, daß wir das Gute getan und das Böse gemieden haben. Aber damit haben wir Gott noch keineswegs zufriedengestellt oder das Gesetz ganz erfüllt. Woher sollen uns dann aber die (Gedanken) kommen, die uns entschuldigen? – Nur von Christus und in Christus. Glaubt einer nämlich an Christus und sein Herz macht ihm Vorwürfe und klagt ihn dadurch an, daß es ein schlechtes Werk gegen ihn zum Zeugen aufruft, so wendet es sich alsbald davon ab, wendet sich Christus zu und sagt: Der hat aber Genugtuung geleistet, er ist gerecht, er ist meine Zuflucht, er ist für mich gestorben, er hat seine Gerechtigkeit zu meiner Gerechtigkeit gemacht und meine Sünde zu seiner Sünde. Wenn er aber seine Gerechtigkeit zu meiner Gerechtigkeit gemacht hat, dann bin ich bereits gerecht durch dieselbe Gerechtigkeit wie er. Meine Sünde aber kann ihn nicht verschlingen; vielmehr wird sie verschlungen von der grenzenlosen Tiefe seiner Gerechtigkeit, ist er doch selber Gott, gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und darum (sagt die Schrift, daß) »Gott größer ist als unser Herz« (1. Joh. 3, 20). Unser Verteidiger ist also dem Ankläger überlegen, ja ins unendliche (überlegen). Gott ist unser Verteidiger, unser Herz ist unser Ankläger. Welch ein Verhältnis! So (ist es), so, genau so. »Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?« (Röm. 8, 33), was soviel heißt wie: niemand (will). Warum?-Darum: »Gott ist hier, der da gerecht macht« (Röm. 8, 33). »Wer will verdammen?« (Röm. 8, 34). Niemand. Warum? – Darum: »Christus (der auch Gott ist) ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr der auch auferweckt ist« usw. (Röm. 8, 34). »Ist (aber) Gott für uns, wer mag wider uns sein?« (Röm. 8, 31).

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 473-474
(vgl. Luther-W Bd. 1, S. 121) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
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Jörg
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Vorlesung über den Römerbrief (zu Römer 2, 21+29)

Darin besteht die eigentliche Aufgabe des Apostels und seines Herrn: daß er die Hochmütigen demütigt und zur Erkenntnis dessen (d.h. des im Vorhergehenden dargelegten Wesens der mensch-
lichen Natur) bringt, sie lehrt, daß sie der Gnade bedürfen, und ihre Selbstgerechtigkeit zerstört, damit sie gedemütigt nach Christus verlangen, bekennen, daß sie Sünder sind und so die Gnade erlangen und selig werden. Wie er auch weiter unten im 11. Kapitel (V. 32) folgert: »Gott hat alle unter die Sünde beschlossen, damit er sich aller erbarme.«29 Sie aber wollten es nicht hören und nicht annehmen, und da sie diese Stimme hörten (nach Ps. 95, 8), »haben sie ihre Herzen verstockt«. Daher »haben sie die Wege des Herrn nicht gelernt und sollen nicht zu seiner Ruhe kommen« (Ps. 95, 10f.). Dieses Wort »sie haben nicht gelernt« heißt: sie wollten nicht lernen, ebenso wie es heißt: sie haben es nicht getan, d.h. das, was sie tun sollten, haben sie nicht getan. So ist es keine Entschuldigung, sondern vielmehr eine stärkere Anschuldigung, daß sie »nicht gelernt haben«, wo sie lernen mußten und doch nicht lernten; wie es Römer 10, 16 heißt: »Aber sie sind nicht alle der guten Botschaft gehorsam«, d.h. sie wollen ihr nicht gehorsam sein, wie sie es doch sollten.

Zu Vers 29: »Eines solchen Lob ist nicht von Menschen, sondern von Gott.« Das ist es, was der Herr Matth. 23, 5 von jenen Werkgerechten sagt: »Alle ihre Werke aber tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden.« Denn das Lob der äußeren Gerechtigkeit kommt von Menschen, ihr Tadel aber von Gott; das Lob der inneren Gerechtigkeit dagegen kommt von Gott, der Tadel aber und Verfolgung von den Menschen. Denn sie besonders scheint den Menschen töricht, ja, sogar ungerecht zu sein, jene aber ist vor Gott töricht, ja eine zweifache Ungerechtigkeit. Daraus folgt die Lehre: Wer Menschenlob noch nicht geflohen hat und bei seinem Tun nicht schon Verleumdung, Tadel und Verfolgung erlitten hat, hat die vollkommene Gerechtigkeit noch nicht erlangt.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 474-476
(vgl. Luther-W Bd. 1, S. 122) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
Zuletzt geändert von Jörg am 20.01.2012 05:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Jörg
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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 1)

Das Hauptanliegen und die Absicht des Apostels in diesem Brief ist es, alle eigene Gerechtigkeit und Weisheit zu vernichten und die Sünden und die Torheit, die es nicht gab (d.h. von denen wir eben wegen solcher Selbstgerechtigkeit meinten, daß es sie nicht gäbe), uns wiederum in ganzer Größe und Mächtigkeit vor Augen zu führen (d.h. uns dahin zu bringen anzuerkennen, daß es sie immer noch, und zwar in großer Zahl und gewaltigem Umfang gibt), um so dann schließlich zu erkennen, daß wir Christus und seine Gerechtigkeit brauchen, damit sie ganz vernichtet würden. Und dies tut der Apostel bis zum Kapitel 12; von da an aber bis zum Schluß lehrt er, was für und welcherlei Taten wir tun sollen nach der Gerechtigkeit, die wir empfangen haben. Denn vor Gott ist es nicht so, daß irgend jemand gerecht wird dadurch, daß er gerechte Taten tut (worauf die törichten Juden, Heiden und alle Selbstgerechten in ihrem Hochmut vertrauen); sondern der (schon vorher) gerecht ist, tut gerechte Taten, wie (1. Mose 4, 4) geschrieben steht: »Der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer«, er sah nicht zuerst auf das Opfer.

Zu Vers 1. Es gibt nämlich gewisse Leute, und hat sie bei den Heiden wie auch bei den Juden gegeben, die glaubten, es genüge, wenn sie nicht nur zum Schein und vor den Menschen, sondern im innersten Herzen Tugenden und Kenntnisse besäßen. So denken auch viele Philosophen. Und wenn sie ihre Gerechtigkeit auch vor den Menschen nicht zur Schau trugen und sich ihrer nicht rühmten, sondern sie nur aus Liebe zur Tugend und Weisheit vertraten (solche Menschen waren es, die Besten und Reinsten und- abgesehen von Sokrates – sehr wenig bekannt), so konnten sie sich doch nicht enthalten, im Innern an sich selbst Gefallen zu finden und sich wenigstens vor sich selbst in ihrem Herzen als weise, gerechte und gute Menschen zu rühmen, von denen der Apostel hier sagt: »Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden« (Röm. 1, 22).
Hier wird vielmehr gelehrt, daß das Gegenteil geschieht. Denn nicht nur darum ist man in der Kirche bemüht, unsere Gerechtigkeit und Weisheit als nichtig zu erweisen und weder rühmend zu erheben noch anerkennend zu preisen.

Nein, sage ich, nicht darauf wird so sehr hingearbeitet. Es heißt ja im Evangelium (Matth. 5, 15 u. 14): »Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind«, und: »Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein«. Sondern darauf, daß sie ganz vernichtet und
aus unserem Herzen und unserem eigensten Wollen herausgerissen wird. Denn wenn wir uns vor uns selbst für niedrig halten, so wird es leicht sein, anderer Urteile und Lob für nichts zu achten. Wie der Herr durch den Mund des Propheten Jeremia (Jer. 1, 10) sagt: »daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst« d.h. alles, was in uns ist (nämlich alles, was aus uns und in uns ist, woran wir unser Wohlgefallen haben), »und bauen und pflanzen sollst«, d.h. alles, was außerhalb unser und in Christus ist. Und (beachte auch) das Gleichnis Daniels (Dan. 2, 34) von dem Stein, der das Bild zermalmte. Denn Gott will uns nicht durch unsere eigene, sondern durch eine außer uns liegende Gerechtigkeit und Weisheit retten, die nicht von uns kommt und entsteht, sondern von anderswoher in uns hineinkommt, die nicht auf unserer Erde wächst, sondern vom Himmel kommt. Also muß man eine ganz außer uns liegende und fremde Gerechtigkeit lehren. Deshalb muß man zuerst die eigene, innere Gerechtigkeit herausreißen (vgl. Ps. 45, 11; 1. Mose 12, 1; Hohel. 4, 8f.; Jos. 3, 16; Ps. 114, 3). Aber nun will Christus, daß wir alle unsere Leidenschaften so ablegen, daß wir nicht nur für unsere Fehler keine Schmach fürchten und für unsere Verdienste nicht nach Ruhm und eitler Freude verlangen, sondern wir sollen uns auch jener außer uns liegenden Gerechtigkeit, die aus Christus in uns ist, vor den Menschen nicht rühmen und von den Leiden und Übeln, die von ihm über uns gebracht werden, nicht zu Boden werfen lassen. Vielmehr soll ein wahrer Christ überhaupt so gar nichts zu eigen haben, so ganz sich aller Dinge entledigt haben, daß er, widerfahre ihm Ehre oder Schmach, immer der gleiche bleibt, weil er weiß, daß die ihm erwiesene Ehre nicht ihm, sondern Christus erwiesen wird, dessen Gerechtigkeit und dessen Gaben in ihm leuchten, und daß die ihm zugefügte Schmach sowohl ihm als auch Christus zugefügt wird.

Aber vieler Prüfungen bedarf es (besondere Gnade ausgenommen) zu dieser Vollkommenheit. Denn mag auch einer auf Grund natürlicher oder geistlicher Gaben vor den Menschen weise, gerecht und gut sein, so gilt er deswegen doch vor Gott nicht so, besonders wenn er selbst sich dafür hält. Darum muß er sich in allen diesen Dingen in der Demut halten, so als ob er bis dahin nichts habe, und muß die nackte Barmherzigkeit Gottes erwarten, der ihn für gerecht und weise erklärt. Das tut Gott dann, wenn man selbst demütig gewesen und nicht etwa Gott zuvorgekommen ist, indem man sich selbst rechtfertigt und meint, man sei etwas, wie es 1. Kor. 4, 3-5 heißt: »Auch richte ich mich selbst nicht. Der mich aber richtet, ist der Herr, darum richtet nicht vor der Zeit« usw. Freilich finden sich viele, die die Güter zur Linken, d.h. die zeitlichen, um Gottes willen nichts achten und gern verlieren, wie die Juden und die Ketzer. Aber es sind nur wenige, welche die Güter zur Rechten und gerechten Taten für nichts achten, um Christi Gerechtigkeit zu erlangen. Das nämlich können Juden und Ketzer nicht. Und dennoch wird niemand erlöst werden, wenn es nicht geschieht. Denn immer wollen und hoffen sie, daß ihre eigenen Leistungen vor Gott anerkannt und belohnt werden. Aber der Satz steht fest: »So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen« (Röm. 9, 16) ...

Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 450-454
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 1, 1)

»Berufen zum Apostel« d.h. (um es deutlicher zu sagen) zum Apostel oder zum Apostolat berufen. Mit diesem Wort drückt er seine Knechtschaft oder seinen Dienst genauer aus. Denn viele sind Knechte und Diener Jesu Christi, aber nicht alle sind Apostel. Alle Apostel aber sind Knechte, d.h. Diener, solche, die des Herrn Werk über und an anderen an Stelle und in Vertretung des Herrn verrichten. Und er trifft mit diesem ersten Wort drei Arten von Menschen, die nicht zu Ehrenämtern berufen sind. Die ersten sind die falschen Apostel, die damals überall in Menge auftraten, die der Teufel wie Unkraut dazwischengesät (Matth. 13, 25) und wie den siedenden Kessel des Jeremia von Norden her hat losbrechen lassen (vgl. Jer. 1, 13). Andere gibt es, die aus Ehrgeiz (in das Amt) eindringen. Denn wenn diese auch nicht falsche Apostel oder falsche Knechte sind, wenn sie auch Richtiges und Wahres lehren und rechtgläubig anderen vorstehen, so werden sie dennoch, da sie nicht dazu berufen sind, durch dieses Wort »berufen« angeklagt. Und wenn sie auch keine »Diebe und Räuber« (Joh. 10, 1) sind wie die zuerst Genannten, so sind sie dennoch Mietlinge, die das Ihre suchen und nicht, was Jesu Christi ist, und an ihren Schafen liegt ihnen nichts, es sei denn, so lange sie den Lohn der Ehre, des Goldes oder der Wollust winken sehen. Nur solche haben heute in der Kirche Rang. Zwar ist es richtig, daß sie in der Schrift nicht als so verderblich bezeichnet und nicht in dem Maße verdammt werden wie die falschen Propheten und die falschen Apostel, d.h. die Ketzer und die Schismatiker und die Ungläubigen, von denen geschrieben steht, daß sie laufen, ohne gesandt zu sein, und weissagen, ohne daß zu ihnen geredet wurde (vgl. Jer. 23, 21) und nur Lug und Trug suchen. Dennoch können sie vor Gott nicht bestehen, da sie nicht aus freier Liebe, sondern aus Gier nach Lohn für sich die Ehre (des Amtes) in Anspruch nehmen und suchen. Ihnen ähnlich sind die dritten, die sich mit Gewalt hineindrängen oder durch andere hineingedrängt werden, auch ohne Zustimmung der Untergebenen, und diese sind schlimmer als die zweiten, wenn auch nicht so schlimm wie die ersten. Da aber die heiligen Ämter so erhaben sind, muß man davor mehr als vor allen Gefahren in dieser und der künftigen Welt zurückschrecken, und besonders das ist die größte Gefahr von allen, sie ohne Berufung durch Gott zu beanspruchen. Doch ach, welch törichte Verhärtung herrscht heute bei vielen, die diesem allen nicht einmal ein oberflächliches Nachdenken widmen! Nicht einmal die sind sicher, die von Gott berufen werden, und jene, wo werden sie bleiben? Es stürzte Judas, der Apostel, es fiel Saul, es fiel David, der Erwählte, und diese waren doch auf erhabene Weise berufen und gesalbt. Wehe jenen Elenden!

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 454-456
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 1, 16)

Zu Vers 16: »Denn es ist eine Kraft Gottes.« Zu beachten ist, daß »Kraft« an dieser Stelle dasselbe bedeutet wie Fähigkeit oder Macht, »Möglichkeit«, d.h. Vermögen, und »Kraft Gottes« meint nicht, die durch welche er selbst seiner Beschaffenheit nach in sich kräftig ist, sondern durch die er selbst Kräftige und Mächtige schafft. So wie man »Gabe Gottes«, »Geschöpf Gottes«, »Sache Gottes« sagt, so auch »Kraft Gottes« (d.h. die von Gott kommende Kraftentfaltung). Vergleiche Apg. 4, 33: »Mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung Jesu Christi«, und Apg. 1, 8: »Ihr werdet aber die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird« und Luk. 24, 49: »Bis daß ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe« und Luk. 1, 35: »Und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.«

Zweitens ist zu beachten, daß es »eine Kraft Gottes« heißt zum Unterschied von der Kraft der Menschen, d.h. der Fähigkeit, durch welche der Mensch nach dem Fleische kräftig ist und gerettet wird und durch die er imstande ist, das zu tun, was des Fleisches ist. Aber diese Kraft hat Gott durch Christi Kreuz ganz und gar entleert, um uns seine Kraft zu schenken, durch die der Geist kräftig und gerettet wird und durch die man imstande ist, das zu tun, was des Geistes ist: Ps. 60, 13f.: »Denn Menschenhilfe ist nichts nütze. Mit Gott wollen wir Taten tun« und Ps. 33, 16f.: »Einem König hilft nicht seine große Macht; ein Held kann sich nicht retten durch seine große Kraft. Rosse helfen auch nicht; da wäre man betrogen; und ihre große Stärke rettet nicht.« Es ist also das gleiche, wenn man sagt: das Evangelium ist die Kraft Gottes, d.h. das Evangelium ist die Kraft des Geistes oder Reichtum, Waffen, Schmuck und alles Gute eben dieses Geistes, von dem er all sein Vermögen hat, und das von Gott ...

Daraus ergibt sich als endgültiger Schluß: Wer an das Evangelium glaubt, der muß schwach und töricht vor den Menschen werden, damit er in der Kraft und Weisheit Gottes mächtig und weise sei. Daher heißt es 1. Kor. 1, 27. 25: »Was schwach und töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er, was stark und weise ist, zuschanden mache. Denn die göttliche Schwachheit und Torheit ist stärker und weiser als die Menschen sind.« Wenn du also hörst, daß die Kraft Gottes vorschnell verworfen wird, so verstehe, daß es sich nur um die Kraft der Menschen oder der Welt und des Fleisches handelt. Alle Tugend, Weisheit, Gerechtigkeit muß also verborgen, begraben werden, sie darf nicht hervortreten, ganz nach dem Bild und Beispiel Christi, der sich selbst wahrlich so entäußerte, daß er Macht, Weisheit und Güte vollkommen verbarg, und vielmehr Schwäche, Torheit und Mühsal zeigte. So muß auch der, der mächtig, weise, sanft ist, diese Eigenschaften so haben, als habe er sie nicht. Höchst anfällig ist daher das Leben der Fürsten der Welt und derer in öffentlichen Ämtern, wie auch derer, die sich durch Macht und Klugheit durchsetzen müssen.

»Zum Heil«: Das heißt: (Das Evangelium) ist eine Kraft, alle Gläubigen zu erretten, oder: es ist das Wort, das mächtig ist, alle zu erretten, die daran glauben, und das durch Gott und aus Gott. Es ist so, als wenn man sagen würde: Diese Gemme hat von Gott die Kraft, daß wer sie trägt, nicht verwundet werden kann, ebenso hat das Evangelium von Gott Kraft, daß wer daran glaubt, errettet wird. So ist also der, der es hat, mächtig und weise vor Gott und aus Gott, mag er auch deswegen vor den Menschen als töricht und ohnmächtig gelten.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 456-459
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 1, 17)

Zu Vers 17: »Die Gerechtigkeit«, durch die einer solchen Heils würdig ist, d.h. die Gerechtigkeit »Gottes«, durch die allein die Gerechten vor Gott gerecht sind, »wird darin offenbart«, weil sie vorher verborgen war, da man glaubte, daß sie aus eigenen Werken erwüchse. Aber jetzt wird sie offenbart, weil keiner gerecht ist, der nicht glaubt, wie es Mark. 16, 16 heißt: »Wer da glaubt« »aus Glauben in Glauben: wie geschrieben steht«: Hab. 2, 4 »Der Gerechte«:, d.h. vor Gott, aber »aus dem Glauben«, einzig nur aus seiner Glaubensbereitschaft an Gott, »lebt«, d.h. wird selig.

»Die Gerechtigkeit Gottes wird offenbart.« In Menschenlehren wird die Gerechtigkeit der Menschen offenbart und gelehrt, d.h. wer und wie einer gerecht sei und werde, vor sich und vor den Menschen. Allein im Evangelium aber wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart (d.h. wer und wie einer gerecht sei und werde vor Gott), nämlich allein durch den Glauben, durch den einer dem Worte Gottes glaubt. Wie es Mark. 16, 16 heißt: »Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.« Denn die Gerechtigkeit Gottes ist der Grund des Heils. Und hier darf wieder unter »Gerechtigkeit Gottes« nicht die verstanden werden, durch die einer in sich selbst gerecht ist, sondern durch die wir von ihm selbst gerecht gemacht werden, was durch den Glauben an das Evangelium geschieht. Daher sagt der hl. Augustinus im 11. Kapitel von »Über Geist und Buchstaben«: »Deshalb heißt sie Gerechtigkeit Gottes, weil er dadurch, daß er sie gewährt, Gerechte schafft. So ist auch das das Heil des Herrn, wodurch er (die Menschen) heil, d.h. selig macht.« Und dasselbe sagt er im Kap. 9 desselben Werks. Und sie heißt so zum Unterschied von der Gerechtigkeit der Menschen, die aus den Werken entsteht. So definiert es Aristoteles im 3. Buch der Ethik ganz deutlich, nach ihm folgt und entsteht die Gerechtigkeit aus den Taten. Aber nach Gottes Lehre geht sie den Werken voraus und die Werke entstehen aus ihr. Ganz ähnlich kann die Werke eines Bischofs oder Priesters niemand ausführen, wenn er nicht vorher geweiht und dazu geheiligt ist. Gerechte Werke von Menschen, die noch nicht gerecht sind, sind (deshalb) wie die Werke eines, der zwar die Handlungen eines Priesters und Bischofs vollzieht, selbst aber noch nicht Priester ist, d.h. sie sind töricht und Possenwerk und Gauklerkünsten vergleichbar.

Zweitens ist anzumerken, die Worte: »aus Glauben in Glauben« werden verschieden erklärt. Lyra versteht sie so: »aus dem ungeformten Glauben zum geformten Glauben«. Das ist aber ganz wertlos, weil kein Gerechter aus dem ungeformten Glauben lebt und auch die Gerechtigkeit Gottes nicht daraus kommt. Beides aber sagt doch (Paulus) hier. Es sei denn, Lyra wolle unter dem »ungeformten Glauben« den der Anfänger verstehen und unter geformtem den der Vollkommenen; denn der ungeformte Glaube ist kein Glaube, sondern vielmehr Gegenstand des Glaubens. Denn ich glaube nicht, daß jemand mit ungeformtem Glauben glauben kann, aber das kann er damit gut, nämlich erwägen, was zu glauben ist, und so in der Schwebe bleiben. – Andere erklären so: »Aus Glauben, nämlich der Väter des alten Gesetzes, in den Glauben des neuen Gesetzes.« Und diese Erklärung läßt sich aufrechterhalten, wenn es auch scheint, als ob sie kritisiert und widerlegt werden könnte, nämlich damit, daß der Gerechte nicht aus dem Glauben Früherer lebt, während Paulus ja doch sagt: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« Die Väter haben dasselbe geglaubt wie wir, es ist ein und derselbe Glaube, wenn auch dunkler, so wie die Gelehrten jetzt dasselbe glauben wie die Ungebildeten, aber doch klarer. So scheint der Sinn (der genannten Worte) zu sein, daß die Gerechtigkeit Gottes gänzlich aus dem Glauben kommt, so aber, daß sie nicht in Erscheinung tritt, wenn sie fortschreitet und wächst, sondern zu immer klarerem Glauben führt, nach jenem Wort. 2. Kor. 3, 18: »wir werden verklärt (in sein Bild) von einer Herrlichkeit zur anderen.«

Ebenso Ps. 84, 8: »sie gehen von einer Kraft zur anderen.« So bedeutet auch »von Glauben in Glauben«: dadurch daß man immer fester und fester glaubt, so daß »wer gerecht ist, noch weiter gerechtfertigt wird«, damit nicht einer ohne weiteres meine, er habe es ergriffen und so aufhört, zuzunehmen, d.h. daß er beginnt, abzunehmen. Der hl. Augustinus sagt in Kap. 11 von »Über Geist und Buchstaben«: »Vom Glauben derer, die viel reden, zum Glauben derer, die gehorchen«. Und Paul von Burgos: »Vom Glauben der Synagoge (gleichsam als vom Ausgangspunkt) zum Glauben der Kirche (gleichsam als zum Endpunkt).« Aber der Apostel sagt, daß die Gerechtigkeit aus dem Glauben kommt, die Heiden aber haben keinen Glauben gehabt, von dem sie zu einem anderen hätten geführt und so gerechtfertigt werden können.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 459-462
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 1, 21)

Zu Vers 21: Erkenne also die Ordnung und die einzelnen Stufen des Verderbens. Die erste ist die Undankbarkeit oder das Unterlassen der Dankbarkeit. So war etwa Luzifer undankbar gegenüber seinem Schöpfer, bevor er fiel. So etwas erwächst aus eitler Selbstgefälligkeit, in der man sich an Empfangenem freut als sei es nicht empfangen und den vergißt, der es schenkte. Die zweite Stufe ist die Eitelkeit, denn da freut man sich an sich selbst und an der Schöpfung und genießt, was nützlich ist und wird so notwendig eitel »in seinen Gedanken«, d.h. in allen Absichten, Mühen und Bestrebungen. Denn was man auch immer damit und dadurch bezweckt, es ist doch alles eitel, weil man nur sich selbst sucht, d.h. seinen Ruhm, seine Freude und seinen Nutzen. Die dritte Stufe ist die Verblendung, denn einer, der der Wahrheit bar und mit allen Sinnen und mit allen Gedanken der Eitelkeit verfallen ist, wird notwendigerweise blind, weil er vollständig (von Gott) abgewandt ist. Und wenn man so schon im Finstern wandelt, was kann man dann anderes tun als das, nach dem ein Irrender und Törichter herstolpert. Denn der Blinde geht sehr leicht irre, ja er tut es immer.

Die vierte Stufe ist deshalb Irrtum in bezug auf Gott, und das ist die schlimmste, denn sie schafft Götzendiener. Hierhin gekommen zu sein bedeutet in den tiefsten Abgrund gestürzt zu sein. Denn wenn man Gott verloren hat, dann bleibt nichts übrig, als daß man nach dem Willen des Teufels aller Schändlichkeit ausgeliefert ist. Dann folgen jene Flut von Übeltaten und jene Ströme von Blut, von denen der Apostel des weiteren schreibt. Auf denselben Stufen gelangt man auch heute noch zu jenem geistigen und ausgeklügelten Götzendienst, der jetzt weit um sich greift: da wird Gott nicht wie er ist verehrt, sondern wie ihn jene Leute sich vorstellen und zurechtmachen. Die Undankbarkeit nämlich und der Hang zur Eitelkeit (d.h. zur Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit oder der Wunsch nach der, wie man so sagt, doch »guten Absicht«) verblenden die Menschen so völlig, daß sie unverbesserlich sind und nicht anders glauben können als handelten sie ganz vorzüglich und lebten Gott zum Wohlgefallen. Und damit machen sie sich einen ihnen geneigten Gott zurecht, der er doch gar nicht ist. Und so verehren sie vielmehr ihr Phantasiegebilde als den wahren Gott, der nach ihrer Meinung jenem Trugbild gleicht. Und daher »verwandeln sie ihn in ein Bild ihrer eigenen Vorstellung«, vgl. 1, 23, die weise nach dem Fleisch ist und vergänglich nach ihrer Beschaffenheit. Siehe ein wie großes Übel die Undankbarkeit ist, die die Neigung zur Eitelkeit bald nach sich zieht, und diese dann die Verblendung, die aber den Götzendienst, und der schließlich den reißenden Strom aller Laster. Die Dankbarkeit hingegen bewahrt die Liebe zu Gott und so bleibt das Herz auf ihn gerichtet. Daher wird es von hier auch erhellt, das Erhellte aber verehrt nur den wahrhaftigen Gott, und zu dieser Verehrung gesellt sich alsbald der ganze Chor der Tugenden.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 462-464
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 1, 32 + Kapitel 2, 1)

Zu Vers 32: »Obwohl sie die Gerechtigkeit Gottes erkannt hatten«, durch die er selbst gerecht ist und richtet – wie oben gesagt – »haben sie nicht begriffen, daß die, die solches tun, des Todes würdig sind«; nicht nur des leiblichen Todes, sondern auch der Hölle, und zwar »nicht nur, die solches tun, sondern auch die Gefallen haben an denen, die es tun«.

Zu Vers 1: Diesen Fehler haben alle, die nicht in Christus sind. Wie nämlich »der Gerechte seinem Wesen nach ein Ankläger seiner selbst« ist, sowohl im Herzen als auch in Wort und Tat, so ist der Ungerechte seinem Wesen nach ein Ankläger seines Nächsten und sein Richter, wenigstens im Herzen. Das kommt darin zum Ausdruck, daß der Gerechte immer seine eigenen Fehler zu erkennen, über die anderer aber hinwegzusehen sucht und ebenso die Vorzüge anderer anerkennt, seine eigenen aber nicht beachtet; der Ungerechte dagegen trachtet nur, das Gute an sich selbst zu sehen, an seinen Nächsten aber das Böse. Nachdem der Apostel die, die solches getan haben, getadelt hat, vergleicht er sehr richtig nun auch die Juden mit ihnen, die sich nämlich besser als jene dünken, als berühre sie das gar nicht, was er oben gesagt hat. Und daraus schließt er, daß auch sie Christus und seine Gerechtigkeit nötig haben, da alle, die nicht in Christus sind, mit Notwendigkeit Dinge tun, die den genannten (Röm. 1, 26-32) ganz ähnlich sind, so sehr sie auch heucheln und sich verstellen mögen. Ihre Anmaßung aber kommt daher, daß der Apostel hier viele Laster aufzählt, die manche von ihnen nicht haben, und sie daher an anderen verurteilen, ohne zu merken, daß sie doch andere Fehler haben, die hier auch aufgezählt werden, und die jene vielleicht nicht haben. So klagt der geizige Wucherer, ohne an sein eigenes Laster zu denken, den Ehebrecher an und macht ihn so schlecht er kann, der Ehebrecher wieder den Geizhals usw., der Hochmütige endlich sie alle; so ist es also unmöglich, sich dieses lasterhaften Urteilens (über andere) zu enthalten, außer für den, der in Christus gerecht ist. An dieser Krankheit aber litten vor allen andern Völkern besonders heftig die Juden; daher bringt der Apostel gewissermaßen als Vorspiel gleich zu Beginn dieses Kapitels einen Angriff gegen die Juden. In deren Fußstapfen treten dann unmittelbar alle Irrgläubigen und Heuchler, und was es heute alles an Juristen und Pfaffen gibt. Sie haben auch Händel untereinander, verurteilen sich gegenseitig, sind sich selbst gegenüber aber duldsam. Ihre eigene Gerechtigkeit rühmen sie selbstgefällig und verwünschen sogar die Rettung durch Gott.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 464-467
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 2, 7)


Zu Vers 7: »Die in aller Geduld mit guten Werken ...« So notwendig ist die Geduld, daß kein Werk gut sein kann, wenn die Geduld fehlt. Denn so verkehrt ist die Welt und so neidisch der Teufel, daß er kein gutes Werk geschehen und wirken lassen kann, ohne es zu verfolgen. Doch gerade dadurch nimmt Gott in wunderbarer Zustimmung das Werk als gut und ihm wohlgefällig an. Also wollen wir als Regel und Norm das folgende festhalten. Die Regel: Solange wir Gutes tun und deswegen nicht Widerspruch, Haß und Leiden oder Schaden erdulden, so lange müssen wir befürchten, daß unser Werk Gott noch nicht gefallen hat. Denn noch ist es nicht geprüft, noch hat sich unsere Geduld nicht daran erwiesen, und auch Gott hat es noch nicht gebilligt, weil er es noch nicht geprüft hat. Denn er billigt nur, was er vorher geprüft hat. Wenn aber unser Werk sogleich Nachstellungen bedrohen, dann wollen wir uns freuen und darauf vertrauen, daß es Gott wohlgefällig ist, ja wir wollen glauben, daß es aus Gott ist. Denn (alles) was aus Gott ist, muß in der Welt gekreuzigt werden, und solange es nicht zum Kreuz (das heißt zu schmählichem Dulden) hingeführt wird, erkennt man nicht, daß es aus Gott ist. Denn auch sein eingeborener Sohn wurde deshalb nicht unterstützt, sondern als Beispiel für diese (Regel) aufgestellt. Daher: »Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden«, »Seid fröhlich und getrost, denn es wird euch im Himmel wohl belohnt werden« (Matth. 5, 10. 12).

Zusatz

Die nun jammern und ungeduldig sind, wenn sie Gutes tun und doch leiden, zeigen damit gerade, daß dieses ihr gutes Handeln nicht aus Gott ist, sondern sie es sich aus menschlicher Gerechtigkeit anmaßen, in der der Mensch um seiner selbst willen Gutes tut, weil er nämlich dadurch Ruhm und Ehre sucht und weil er es (andererseits) meidet und verabscheut, um seinet(d.h. des Guten)willen angegriffen, verschrien und gehaßt zu werden. Und so zeigt sich ganz deutlich, daß er nicht aus Liebe und Demut, nur Gott zuliebe, Gutes getan hat, sondern um seiner selbst und seines Rufes willen aus verborgener Hoffart und Eigenliebe. Wer nämlich aus Liebe und Demut Gott zuliebe etwas tut, der sagt, wenn er deswegen gelobt wird: Deinetwegen, Lob, habe ich nicht begonnen, so werde ich es deinetwegen auch nicht vollenden. Wenn er getadelt wird, sagt er: Deinetwegen, Tadler, habe ich nicht begonnen, deinetwegen werde ich auch nicht aufhören. Und so fährt er mit dem aus Liebe zu Gott begonnenen Werk fort, in sicherer Hut vor rechts und links. Daher heißt es Jak. 1, 4: »Die Geduld wirkt ein vollkommenes Werk.« Das heißt: zwar wirkt auch eine andere Tugend ein gutes Werk, aber allein die Geduld ein vollkommen gutes, nämlich eines, das mit keinem Fehler behaftet, nicht aus Ruhmgier oder Eigenliebe begonnen oder aus Furcht vor Tadel aufgegeben, sondern aus Liebe zu Gott bis zum Ende geführt ist. »Geduld aber ist euch not, auf daß ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfanget«, Hebr. 10, 36.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 467-470
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 2, 11+13)

Zu Vers 11: »Denn es gibt bei Gott kein Ansehen der Personen.« Wenn wir dem Nächsten das tun, was wir wünschen, daß es uns geschehe, und wenn wir für uns nur Gutes, Ruhmreiches und Großes wollen, so laßt uns zuerst all das Gott anbefehlen, nämlich den eigenen Willen, Gericht, Ruhm und anderes, was Gottes ist, was wir uns aber, zusammen mit Luzifer, anmaßen; wir wollen es aber zweitens auch den Nächsten (wünschen), denen wir überlegen zu sein suchen. Auch sie sollen also über uns stehen, und dann ist die völlige Demut gegen Gott wie auch gegen die Menschen erfüllt, d.h. die völlige und vollkommene Gerechtigkeit. Denn was lehrt die ganze Heilige Schrift anderes als Demut? Demütig laßt uns nicht nur Gott, sondern aller Kreatur untertan sein. Denn auch wir wollten ja, daß uns alles unterworfen sei, freilich (gerade) mit verkehrtem Wollen. Doch wie verkehrt es auch sein mag, laßt uns das andern tun, was wir diesem Wollen entsprechend uns selber wünschen: und schon wird es ganz richtig und von höchster Vollendung sein. Was ist wohl kürzer und nützlicher als diese kleine Lehre? Jedoch wie selten wird sie in ihrem ganzen Umfang eingesehen! Aber auch der Herr hat sie ganz kurz und bündig aufgestellt, wenn er Matth. 7, 12 von den Menschen nur sagt: »Alles, was ihr wollt, daß euch die Menschen tun sollen, das tut ihnen auch.« Aber nun erhebst du dich über den Sünder, über den Ungebildeten und über den Niederen und willst, daß sie das von dir dulden: dulde also auch du dasselbe von ihnen, wenn du nicht etwa bestreiten willst, daß der Sünder, der Ungebildete und die Niedrigstehenden Menschen sind.

Zu Vers 13: »Denn nicht, die das Gesetz hören« – so wie die, welche sagen: »Herr, in deinem Namen haben wir geweissagt« (Matth. 7, 22), dazu gehören auch die, die Werke des Gesetzes zwar tun, aber ohne Bereitwilligkeit, sie also nicht tun – »sind gerecht vor Gott«: d.h. werden von Gott als gerecht erachtet, »sondern die das Gesetz tun« - das sind die allein, welche die Gnade haben, die den bösen Willen überwindet – »werden gerecht gemacht werden«, d.h. werden vor Gott als gerecht erachtet werden.

»Gerecht sein vor Gott« und »vor Gott gerechtfertigt werden« bedeutet nämlich dasselbe. Denn nicht etwa, weil er gerecht ist, wird er von Gott (dafür) erachtet, sondern weil er von Gott (dafür) erachtet wird, ist er gerecht, s. unten Kapitel 4.24 Niemand aber wird für gerecht erachtet, der nicht in seinem Tun das Gesetz erfüllt. Keiner aber erfüllt es, der nicht an Christus glaubt. Und so kommt der Apostel dazu, zu folgern, daß außerhalb Christi keiner gerecht ist, keiner das Gesetz erfüllt, wie im folgenden Kapitel (gezeigt wird).

»Sondern die das Gesetz tun, werden gerecht sein,« Dies legt der hl. Augustinus im Kap. 26 von »Über Geist und Buchstaben« auf doppelte Weise aus. Erstens so: »Die das Gesetz tun, werden gerecht gemacht werden«, d.h. durch die Rechtfertigung werden sie so werden oder geschaffen werden, daß sie Vollbringer (des Gesetzes) sind, wie sie es vor der Rechtfertigung nicht waren. Zweitens und besser: »sie werden gerecht gemacht werden«, d.h. für Gerechte gehalten und angesehen werden, wie in der Glosse gesagt ist. Und das ergibt sich auch hinreichend deutlich aus dem Vorhergehenden: »Denn vor Gott sind nicht, die das Gesetz hören, gerecht.« So daß man auf die Frage: Wer anders ist also gerecht vor Gott, wenn nicht die Hörer? antworten würde: »Eben die Vollbringer werden gerecht sein, d.h. gerecht gemacht werden, d.h. für gerecht angesehen werden.« So heißt es Ps. 143, 2: »Denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht«, d.h. keiner wird als gerecht angesehen werden. Und weiter unten in Röm. 3, 20: »Weil kein Fleisch durch des Gesetzes Werke vor ihm gerecht sein kann.« Und Luk. 10, 29: »Er aber wollte sich selbst rechtfertigen« (d.h. erklären, daß er ein Gerechter sei, und sich wegen seiner Sünde entschuldigen, als wüßte er nicht, wer sein Nächster sei, den zu lieben er gelehrt wurde), und an vielen anderen Stellen steht es ähnlich.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 470-473
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 3, 4)

Zu Vers 4: Es ist etwas anderes, entweder nur zu sagen: Gott wird »gerecht erfunden« oder: Gott wird »in seinen Worten« oder Werken »gerecht erfunden«; entsprechend auch, Gott wird »gerichtet« oder er wird »in seinen Worten gerichtet«; ebenso: Gott »obsiegt« oder er »obsiegt in seinen Worten«. Denn Gott als solcher kann von niemand gerechtfertigt werden, da er ja selbst die Gerechtigkeit ist, ebenso kann er nicht gerichtet werden, da er selbst das ewige Gesetz, das Gericht und die Wahrheit ist. Sondern er besiegt durch sich selbst alles, und es ist nicht nötig, ihm das zu wünschen oder es besonders fördern zu wollen. Wie wir auch bitten, daß sein Wille geschehe, obwohl er doch nicht gehindert werden kann.

Aber dann wird Gott in seinen Worten gerecht erfunden, wenn sein Wort von uns als gerecht und wahrhaftig angesehen und aufgenommen wird, was durch den Glauben an seine Erklärungen geschieht. Dann aber wird er in seinen Worten gerichtet, wenn sein Wort als falsch und lügnerisch angesehen wird, was durch den Unglauben und »die Hoffart in unsers Herzens Sinn« geschieht, wie die selige Jungfrau verkündet hat (Luk. 1, 51). Unsere Weisheit nämlich glaubt den Worten Gottes nicht nur nicht, noch unterwirft sie sich ihnen, sondern meint sogar, sie seien nicht Gottes Worte, ja sie glaubt selbst die Worte Gottes zu haben und nimmt sich heraus, wahrhaftig zu sein, gleichwie es der Torheit der Juden und Ketzer und aller Halsstarrigen entspricht.

Aber er siegt auch in Worten, da sein Wort mehr gilt als alle, die Entgegengesetztes versuchen, wie es mit dem Evangelium geschehen ist, welches immer triumphiert und triumphiert hat. Denn die Wahrheit siegt über alles. Gerecht erfunden wird er also bei denen, die gedemütigt seinem Urteil nachgeben und ihm glauben. Er siegt aber bei denen, die nicht glauben und ihn richten und ihm widersprechen. Jenen ist er das Zeichen, »das gesetzt ist zur Auferstehung, diesen zum Fall« (Luk. 2, 34) und »ein Zeichen, dem widersprochen wird«, d.h. sie richten (ihn), aber vergebens. In derselben Weise bitten wir auch, daß Gottes Wille geschehe, d.h. daß sein Wort und jedes seiner Werke, es sei uns günstig oder ungünstig, von uns mit Wohlgefallen und gern angenommen wird.

Zusatz

Also ist die Erfüllung seines Willens vielmehr die erflehte Erfüllung unseres Willens, nämlich daß wir wollen, was Gott will. Denn Schwieriges und was für uns beschwerlich ist und über unsere Willenskraft ganz und gar hinausgeht, gerade das will Gott. Somit ist auch die Rechtfertigung Gottes aus seinen Worten vielmehr unsere eigene Rechtfertigung, und seine Verurteilung bzw. seine Verwerfung ist vielmehr die unsere gemäß jenem Wort Mark. 16, 16: »Wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.«

Der Sinn ist also der: Spricht Gott etwa deshalb die Unwahrheit, weil sie (ihm) nicht glauben, d.h. weil sie seine Reden und seine Worte verurteilen und darauf bedacht sind, ihn zum Lügner zu machen, sich selbst aber als wahrhaftig hinzustellen? Das sei ferne. Im Gegenteil: desto mehr spricht er die Wahrheit und sind jene Lügner; denn die Wahrheit gewinnt gerade dann stärker die Oberhand, wenn sie bekämpft wird, steigt gerade dann noch höher, wenn sie niedergedrückt wird. In ihrer Natur liegt es, Fortschritte zu machen, solange ihr Widerstand geleistet wird, wie es versinnbildlicht ist im Auszug Israels und in dem Versinken des Pharao im Meer (2. Mose 12ff.). Daher sagt Paulus: Gott ist ganz gewiß wahrhaftig und der Mensch ein Lügner, weil ja geschrieben steht, daß es so sein werde: »Damit du gerechtfertigt werdest«, d.h.: du wirst für wahrhaftig gelten und alle als Lügner erweisen, sei es, daß du gerecht machst, sei es, daß du obsiegst, gerecht aber machst du die Frommen und Gläubigen, die Richtenden und Ungläubigen besiegst du.

»Auf daß du gerechtfertigt werdest.« Diese Belegstelle darf hier nicht in dem Sinn und Zusammenhang aufgefaßt werden, den sie an ihrer ursprünglichen Stelle hat, nämlich Ps. 51, 6, sondern nur als zum Beweis dieses Wortes herangezogen, daß Gott wahrhaftig ist in seinen Reden. Dort (in Psalm 51) nämlich steht sie in einer anderen Beziehung. Dennoch läßt der Apostel dies nicht unbeachtet, sondern erörtert das nebenher und beiläufig in dem Sinn, wie er im Psalm niedergelegt ist, indem er sagt: »Wenn aber unsere Ungerechtigkeit« usw. Dort nämlich wird festgelegt, daß Gott durch das Bekenntnis unserer Sünde gerechtfertigt wird. Denn mag er auch an sich gerecht und wahrhaftig sein, so doch nicht in uns, bis wir bekennend sagen: »An dir allein habe ich gesündigt« usw. (Ps. 51, 6); dann nämlich wird er als der allein Gerechte anerkannt. Und so wird er auch in uns gerecht.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 477-480
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 3, 5)

Zu Vers 5: »Ist's aber so, daß unsere Ungerechtigkeit (Gottes Gerechtigkeit ins Licht stellt).« Manche sagen, die Gerechtigkeit Gottes werde dadurch hervorgehoben, daß er unsere Ungerechtigkeit bestraft. Denn dann wird er als Gerechter offenbar, wenn er nicht zuläßt, daß die Ungerechten unbestraft bleiben. Und diese Auffassung ist richtig, aber sie besagt nichts für das Thema des Apostels an dieser Stelle. Denn er spricht nicht von der Gerechtigkeit Gottes, durch die er selbst gerecht ist, er verneint vielmehr, daß Gottes Gerechtigkeit durch unsere Ungerechtigkeit hervorgehoben werde, oder wenn er das bejaht, so tut er es im Sinne des Psalms, wo es (51, 6) heißt: »An dir allein habe ich gesündigt« usw. Der Psalm aber will nicht sagen, daß unsere Sünde gerecht macht, sondern das Bekenntnis und die Erkenntnis der Sünde, die den hochmütigen Gerechten demütigen, der darauf vertraut, selbst gerecht zu sein und hierdurch Gott die Gerechtigkeit aberkennt, bei dem doch allein Gerechtigkeit ist und Kraft und Weisheit und alles Gute. Wer daher demütig für sich selbst die Gerechtigkeit ablehnt und sich vor Gott als Sünder bekennt, verherrlicht (damit) durchaus Gott, daß er allein gerecht ist.

Also ist es nicht unsere Ungerechtigkeit, die Gott immer als einen Feind ihres Ruhmes haßt, sondern es ist die Erkenntnis und das Bekenntnis unserer Ungerechtigkeit, die das rühmt und hervorhebt, weil es (die Gerechtigkeit Gottes) als notwendig und heilsam erweist. Andere aber (erklären es) so, daß (unsere Ungerechtigkeit) nebenher (Gottes Gerechtigkeit) hervorhebt, »sowie nebeneinander gestellte Gegensätze einander deutlicher machen«, wie zum Beispiel auf einem Gemälde der Schatten die Farben hervorhebt. Aber der Apostel bestreitet überhaupt, daß unsere Ungerechtigkeit in irgendeiner Weise die Gerechtigkeit Gottes hervorhebt, nur jenen fleischlich Gesinnten scheint das so, als ginge es aus den Worten des Psalms hervor. Das geht aus dem Apostelwort hervor, denn als er sich auf das Psalmwort »auf daß du gerechtfertigt werdest« beruft, folgert er daraus nicht die Gerechtigkeit, sondern die Wahrhaftigkeit Gottes.

So spricht er hier nicht von der Gerechtigkeit, durch die er (Gott) selbst gerecht ist, sondern von der, durch die er gerecht ist und uns gerecht macht und selbst in bezug auf uns allein gerecht ist; jene (Gerechtigkeit) nämlich hebt unsere Ungerechtigkeit, wenn sie geschehen und zur unsrigen geworden (d.h. erkannt und bekannt) ist, hervor; denn sie demütigt uns, wirft uns vor Gott zu Boden und erfleht seine Gerechtigkeit, und wenn wir diese empfangen haben, so rühmen, loben und lieben wir Gott als den Spender. Hingegen tadelt unsere Gerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes, ja sie hebt sie sogar auf und leugnet sie und führt statt dessen eine lügnerische und falsche Gerechtigkeit ins Feld, solange wir nämlich Gottes Worten widerstreben, seine Gerechtigkeit nicht für notwendig halten und glauben, daß die unsrige genüge. Man muß also (mit Ps. 51, 6) sagen: »An dir allein habe ich gesündigt, auf daß du gerechtfertigt werdest« (d.h. damit du mit Lob und Ruhm als allein gerecht und unser Rechtfertiger gepredigt werdest), »in deinen Worten«, d.h. wie du versprochen und bezeugt hast.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 480-483
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Vorlesung über den Römerbrief (Kapitel 3, 4)


Zu Vers 4: »Das sei ferne!« Den Glauben an Gott aber nennt er eben die dann durch Christus dargebotene Verheißung nach jenem Psalmwort (Ps. 85, 12): »Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgegangen« (d.h. der verheißene Christus ist aus der Jungfrau geboren worden). Also ist der Sinn: Gott hat seine Verheißungen erfüllt und ist als wahrhaft erwiesen worden, und jene glauben und begreifen das nicht. Wird es nun etwa falsch sein, daß Gott (Verheißungen) erfüllt habe und wird so diese jetzt dargebotene Wahrheit aufgehoben und gesagt werden, sie sei nicht die Erfüllung des Versprochenen, nur deshalb, weil jene nicht glauben? Das sei ferne! Weil dann die Apostel, ja sogar Gott selbst in ihnen lügen würde, da er bezeugt, daß er die Verheißungen in Christus erfüllt habe.

Ich bin aber der Meinung, daß »fides« hier nicht die Treue Gottes, sondern das Glauben an Gott bedeutet, welches eben die Erfüllung der Verheißung ist, wie aus vielen Stellen hervorgeht. Denn die Gerechtigkeit aus dem Glauben wird Röm. 1, 17 verheißen: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« Wahrlich liegt in dieser Verschiedenheit kein Widerspruch. Denn alles, was von der objektiven Wahrheit des Glaubens buchstäblich gesagt wird, das ist auch moralisch von dem Glauben an diese Wahrheit zu verstehen. Und so ist der Sinn ganz offenbar, nämlich: Was soll man dazu sagen, daß jene nicht Gläubige geworden sind? Werden wir etwa den Glauben an Gott aufgeben, jenen folgen und lieber leugnen, daß die Verheißung erfüllt sei als vielmehr Gott glauben, der bestätigt, daß er sie erfüllt habe? Darauf folgt ganz treffend: »Das sei ferne!« Wir werden nicht jenen folgen, sondern den Glauben an Gott festhalten. »Denn Gott ist wahrhaftig«, also müssen wir ihm glauben. »Alle Menschen aber sind Lügner«; also darf man ihnen nicht glauben und nicht folgen. Oder wie es auf Griechisch heißt: Du sollst aber ein wahrhaftiger Gott sein (d.h. man soll lieber Gott glauben und nicht dem Menschen, weil der ein Lügner ist). Und so hat er jenen Einwurf aufgefangen, wo gesagt wurde: Das fleischliche Israel hat die Verheißungen nicht bemerkt und doch sind sie ihm gemacht worden; also ist die Erfüllung noch nicht geschehen. Sagen also jene etwas Wahres und Gott Falsches? Das sei ferne! Jene sagen: nein, Gott sagt: ja. Antwort: Man muß Gott mehr glauben, weil er wahrhaftig ist. »Wie geschrieben steht«, nämlich, daß man ihm glauben muß, nach dem griechischen Text, weil »gerecht gemacht werden« »glauben« bedeutet, wie nachher noch gesagt werden soll. »Daß du in deinen Worten gerecht erfunden werdest und Sieger bleibest, wenn du gerichtet wirst.« Diese Belegstelle (Ps. 51, 6) führt der Apostel dem Sinn gemäß an, nicht der Ursache des Sinnes gemäß, d.h. damit sie nicht als Begründung, sondern als Aussage verstanden werde, gleich als wenn man sagte: Du wirst in deinen Worten gerechtfertigt werden und siegen, wenn du gerichtet wirst, mag er (der Apostel) auch unten in einer Abschweifung den kausalen Sinn behandeln. Also wird Gott in seinen Worten gerechtfertigt, d.h. wenn man ihm im Evangelium von der Erfüllung der Verheißung glaubt, so daß er für wahrhaftig und gerecht gehalten wird. Diese Worte nämlich sind die Aussage des Evangeliums, in ihnen wird er gerechtfertigt, wenn man ihm glaubt, daß er in ihnen die Wahrheit spricht, daß Zukünftiges so in diesem Wort prophezeit wird. Und er wird nicht nur von denjenigen gerechtfertigt, welche glauben, sondern er bleibt auch Sieger, wenn er gerichtet wird, d.h. wenn er von den anderen verworfen wird, die da leugnen, daß Christus gesandt sei und die Verheißungen erfüllt seien. Diese nämlich richten und verdammen diese Worte und rechtfertigen sie keineswegs (d.h. glauben nicht, daß sie gerecht und wahr sind), sie richten und verdammen vielmehr Gott in ihnen, den andere rechtfertigen. Aber sie kommen nicht durch. Er nämlich siegt und behauptet sich, denn so sehr sie auch Widerstand leisten, es bleibt doch dieser Glaube an Gott, diese »Rechtfertigung Gottes in seinen Worten« (d.h. der Glaube an sein Wort). Die Rechtfertigung Gottes und der Glaube an Gott ist dasselbe. Er hat nämlich die Oberhand und bleibt Sieger, ja er schreitet immer vorwärts und nimmt zu, wo diejenigen, die nicht glauben, abnehmen und umkommen.

»Daß Gott in seinen Worten gerecht erfunden werde« das bedeutet, daß er selbst gerecht und wahr in seinen Worten werde oder daß seine Worte gerecht und wahr werden. Das aber geschieht, indem wir glauben und sie hinnehmen und für wahr und gerecht halten. Dieser Rechtfertigung aber widersetzt sich allein der Hochmut des menschlichen Herzens durch den Unglauben. Dieser nämlich rechtfertigt nicht, sondern verdammt und richtet. Deshalb glaubt er nicht, weil er sie (die Worte) nicht für wahr hält. Er hält sie aber deshalb nicht für wahr, weil er seinen eigenen Sinn, dem jene widersprechen, für wahr hält. Daher bedeutet, daß Gott in seinen Worten gerichtet wird, dasselbe wie daß seine Worte verdammt und als lügnerisch und ungerecht hingestellt werden. Das geschieht durch hochmütigen Unglauben und Empörung. Daraus geht hervor, daß jene Rechtfertigung und Beurteilung Gottes außerhalb Gottes und seines Wortes liegt, nämlich bei den Menschen. Denn in ihrem inneren Wesen sind Gott wie auch seine Worte gerecht und wahr. Aber sie sind das noch nicht in uns geworden, bis unsere Weisheit ihnen weicht und ihnen im Glauben den Platz räumt und sie annimmt. Daher heißt es Ps. 51, 6: »An dir habe ich gesündigt«, d.h. ich gebe meine Gerechtigkeit und meine Auffassung auf, die deinen Worten widerstrebt und sie verdammt, und bekenne, daß ich ein Sünder, Ungerechter und Lügner bin, damit deine Worte in mir Platz finden und gerechtfertigt werden und wahr sind und werden, damit sie das in uns werden, was sie an sich sind; denn sie sind gerechtfertigt in ihren eigenen Aussagen.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 483-487
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Vorlesung über den Römerbrief (Zusatz)

Durch dieses aber »daß Gott gerechtfertigt werde« werden wir gerecht gemacht. Und jene passive Rechtfertigung Gottes, durch die er von uns gerechtfertigt wird, ist zugleich in aktivem Sinn die Rechtfertigung unser selbst durch Gott. Denn jenen Glauben, der seine Worte rechtfertigt, sieht er als Gerechtigkeit an, wie er im Kap. 4 (V. 5) und auch Kap. 1 (V. 17) sagt: »Der Gerechte lebt aus Glauben.« Und umgekehrt: Die passive Verurteilung Gottes, durch die er von den Ungläubigen gerichtet wird, ist zugleich die Verdammung ihrer selbst. Denn jenen Unglauben mit dem sie seine Worte beurteilen und verdammen, sieht er als Ungerechtigkeit und Verdammung an. So stimmt er überein mit dem Hebräischen, wo es folgendermaßen heißt: »An dir habe ich gesündigt, deshalb wirst du gerecht machen«, d.h. die Rechtfertigung vollziehen »in deinem Wort, und (dich) reinigen, indem du dich richtest.« Er rechtfertigt und siegt nämlich in seinem Wort, indem er uns zu solchen macht, wie es sein Wort ist, das ist gerecht, wahr, weise usw. Und so verwandelt er uns in sein Wort, nicht aber sein Wort in uns. Er macht (uns) aber dann zu solchen, wenn wir glauben, daß sein Wort derart ist, nämlich gerecht und wahr. Dann nämlich ist auch die ähnliche Gestalt im Wort und im Glaubenden, nämlich Wahrheit und Gerechtigkeit. Indem er also gerechtfertigt wird, macht er gerecht und indem er gerecht macht, wird er gerechtfertigt. Deshalb wird im Hebräischen durch das aktive Verb dasselbe ausgedrückt wie in unserer Übersetzung durch das passive. Es siegt aber Gott, d.h. er hat die Oberhand und zeigt schließlich, daß alle lügnerisch und falsch sind, die nicht glauben, d.h. die ihn durch ihr Verurteilen mißachtet haben, wie es offenbar ist bei den Juden und noch mehr im Gericht offenbar sein wird. Daher der hebräische Text: »Und du wirst reinigen«, d.h. die Reinigung vornehmen, »indem du dich richtest«, d.h. dein Wort und die daran glauben, und wirst zugleich dich selbst an ihnen rein machen und von der Lüge scheiden, die jene Ungläubigen aufbringen, und diese wirst du vielmehr zerstören, d.h. sie als verderblich und lügnerisch erweisen. Das bedeutet, daß ihr Unglaube den Glauben an Gott nicht vernichtet.

[Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 487-489
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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