Der Einsatz für die Armen
Bis Seite 181 hatte Schirrmacher den Eindruck, dass gute Werke im sozialen Bereich unter „Dominionismus“ fallen.
Je länger ich diese Kritik für mich in der Überprüfung habe, desto mehr habe ich den Eindruck, dass ich als Leser des Buches hier „zum Besten gehalten“ werde.
Erdmann hatte doch „Dominionismus“ definiert – gleich zu Anfang. Nun ist es doch kein Geheimnis, dass nicht nur „Dominionisten“ sozial engagiert sind.
An der Stelle sei daran erinnert, dass schon zu Beginn des Buches darauf hingewiesen wird: hier handelt es sich nicht um eine umfassende theologische Auseinandersetzung. Dennoch findet man kurze theologische Ausführungen, wie die, die Schirrmacher selbst zitiert:
.Evangelikale haben traditionell das Gebot der Schrift ernstgenommen, als ‚Salz‘ und ‚Licht‘ (Matth. 5,12–13) in der Welt zu wirken. Diese Worte besaßen ursprünglich keine dominionistische Färbung. Sie bedeuteten einfach, dass Christen durch individuelle oder gemeinschaftliche Wohltaten das Leben von Menschen positiv beeinflussen können. Dank eines heiligen und gerechten Lebensstils, der übereinstimmt mit einem biblischen Glaubensbekenntnis, können Christen auch in ihrer kulturellen Umgebung Gutes leisten. „Salz und Licht“ zu sein, bringt nach Römer 16, 19 auch die Verpflichtung mit sich, angesichts von Bosheit Gutes zu tun. (S. 181)
Schirrmacher meint: „Diese Worte könnten doch von der Micha-Initiative und praktisch allen von Erdmann angegriffenen Personen und Organisationen stammen.“
Ist das so nach Erdmanns Analyse?
Kann „von der Micha-Initiative und praktisch allen von Erdmann angegriffenen Personen und Organisationen“ Folgendes gesagt werden?:
Dazu muss freilich noch bemerkt werden:dass Christen durch individuelle oder gemeinschaftliche Wohltaten das Leben von Menschen positiv beeinflussen können. Dank eines heiligen und gerechten Lebensstils, der übereinstimmt mit einem biblischen Glaubensbekenntnis, können Christen auch in ihrer kulturellen Umgebung Gutes leisten.
Es gibt Lehren von Personen (Organisationen…), die Erdmann ausführlich betrachtet. Es gibt aber auch Personen (Organisationen …), die lediglich im größeren Zusammenhang gelistet sind (mit Fußnoten).
Die Micha-Initiative als Einzelbeispiel gehört nicht zu diesen ausführlichst analysierten Initiativen. Sie steht aber nicht vollkommen isoliert und ohne Zusammenhang, sondern im Rahmen der Verwirklichung einer utopischen Weltgemeinschaft (S. 182 ff.). Erdmanns ausführliche Analyse gilt bspw. dem PEACE-Plan von Rick Warren.
Ich begreife nicht, wieso „nicht konkret behandelte Initiativen“ hier so ausführlich in der Kritik auftauchen, während „ausführlich behandelte“ vollkommen unter den Tisch fallen. „Nichtausführungen“ im Paket mit eigenen Interpretationen bilden die Grundlage der Kritik – vorliegende „Ausführungen“ werden nicht einbezogen? Das ist für mich durchgängig nicht nachvollziehbar.
Für Schirrmacher sieht die Begründung für ein Abweichen nach Erdmann so aus: „Sie setzen sich neuerdings weltweit gegen Armut ein (S. 181–186). Also: wer sich gegen weltweite Armut einsetzt, verrät das Gebot Jesu in Matthäus 5,12–13, ja überhaupt das Evangelium und Jesus Christus?“
Die Begründung Erdmanns ist keine „räumliche“, so nach dem Motto: Traditionell muss es örtlich sein, alles was überörtlich geschieht, ist Verrat. Aber das muss Schirrmacher eigentlich auch beim Lesen aufgefallen sein. Erdmann gibt sich eben nicht mit oberflächlich „tugendhaften“ Erscheinungen zufrieden (damit steht er übrigens in der Analyse keineswegs einsam da). Die Darstellungen Erdmanns gehen tief in die Grundannahmen von Aktionen hinein. Das kann zugegeben eine sehr unangenehme Sache sein und ist sicher alles Andere als bequem. Jemand, der damit nichts zu tun hat – wird es leichter haben, als jemand, der hier involviert ist. …
Wie sehen denn die Grundannahmen aus? Als Leser habe ich volle 180 Seiten vor Seite 181 und noch viele danach. Es sind Seiten mit Themen wie: „Herrschafts-Theologie“, „Militante Kirche“, „Ganzheitliche Mission“, „Globale Transformation“, „Rick Warren“ …
Schirrmacher kommt auf das Problem der Verteilung zu sprechen. Sollte der, der viel hat, nicht jenseits aller theologischen Diskussionen dem geben, der braucht? Hat denn Erdmann so eine Haltung jemals „angegriffen“? Schirrmacher konstruiert Vorwürfe, die am Thema des Buches total vorbeilaufen. Die folgenden Anmerkungen sind durch und durch Beleg für eine völlige Fehldarstellung. Die Begründung, um Initiativen kritisch zu hinterfragen und solche „deftigen“ Vorwürfe zu formulieren, ist keinesfalls einfach die Zustimmung eines Warrens. Aber das ist es ja, was in dieser Kritik hier erstaunlicherweise permanent fehlt: eine Auseinandersetzung mit dem, was ausführlich analysiert wird. Warum bitte, wird denn nicht widerlegt, was analysiert wurde?
Ja, Erdmann hinterfragt und stellt unbequeme Fragen, wie bspw. hier:
In Rick Warrens Vorstellungswelt spielt die Kirche in dieser Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Dabei folgt er der kommunitaristischen Philosophie Peter Druckers auf der ganzen Linie. Er hebt besonders ihre einzigartige Funktion als „Verteilungsnetz“ hervor. Man fragt sich nun, wozu dient es? Was genau soll die Kirche im Verbund mit den NGOs, den Konzernen und Regierungen verteilen? Wird es die Verkündigung des rettenden Evangeliums von Jesus Christus sein? Das Akronym C.H.U.R.C.H. enthält kein „E“ für Evangelium. (S. 201, im selben Kapitel wie das Zitat auf Seite 181).
Dann setzt Schirrmacher noch eine Spitze über alle seine „Kritik“, indem er von Erdmanns Position behauptet, sie sei „ein arger Affront gegenüber den Millionen in der Basis-Arbeit der …“. Erdmann mache aus der Opferbereitschaft, dem Anliegen der „kaum vollzeitlichen Mitarbeiter und diese leben vorbildlich in gewählter Selbstbeschränkung.“ – Ambitionen nach Reichtum, nach Selbstdarstellung. Das stimmt doch so nicht. Erdmann hat doch den „kleinen Mann, der glaubt hier für Christi Sache zu stehen und alles dafür hingibt“ nicht im Fokus der Analyse. Erdmanns Analyse gilt den „Meinungsmachern“, den „theologischen Umbildnern“, … - eben genau der Gruppe, die den „kleinen Mann mit guten Vorsätzen“ für ihre Ziele gekonnt einspannt. Dabei geht es auch nicht um irgendwelche „kleinen Männer“, sondern um Schafe der Herde Christi.
Erdmann erklärt mir in seinem Buch
die Ziele hinter den oberflächlich propagierten Zielen (Wozu das Ganze?),
die „Ethik“ hinter der oberflächlich biblischen Ethik (Wie das Ganze umsetzen?),
die von Menschen zusätzlich bestimmten Sollforderungen an Christen (Was zählt zu den von Christen einzufordernden Taten?).
Was erklärt mir eigentlich Schirrmacher? Worauf will er mich denn hinweisen?
Schirrmacher erklärt mir einen „Erdmann“, weist mich auf einen „Erdmann“ hin – den ich als Leser des Buches so nicht finden kann. Zum Vergleich möchte ich hier auf die Rezension hinweisen, die der Betanienverlag verlinkt
http://www.cbuch.de/Erdmann-Der-Griff-zur-Macht-p3502/
(ja, es ist eine Pro-rezension – aber darum geht es mir jetzt gar nicht!). In dieser Rezension gibt es als Leser Widererkennung der Position des Autors. Die Kritik Schirrmachers, wie sie bisher entfaltet wurde, kann unmöglich für Leser des Buches geschrieben worden sein.
Zum Schluss dieses Abschnittes kommt doch tatsächlich wieder dieselbe unrevidierte „Kritik“, die eigentlich aufgrund des Anfangszitats so hier nicht mehr stehen dürfte. Erdmann liefert anfangs einen biblischen Beleg für „Salz“ und „Licht“. Es geht nicht darum aufopferungsvolles soziales Engagement in Passivität und Ignoranz umzumünzen. Es geht wenigstens um das Hinterfragen bestimmter Aktionen und das wird doch wohl noch erlaubt sein. Ein Christ darf doch genau wissen, wofür er sich engagiert, wofür es sich „lohnt“. Die Führung einer ganzen Gemeinschaft (Pastoren, Älteste, Leitungskreis …) sollte es denn doch noch genauer wissen, denn die Verantwortung ist hier viel größer, weil sie im Namen ihrer Mitglieder verbindlich verpflichtet und Mitglieder vertrauen in der Regel ihrer Führung.
Lutz