Regelmäßige Lesung aus der Schatzkammer Davids von Spurgeon

Lehrfragen in Theorie und Praxis - also alles von Bibelverständnis über Heilslehre und Gemeindelehre bis Zukunftslehre

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Jörg
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Psalm 115

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3.
Aber unser Gott ist im Himmel;
er kann schaffen, was er will.
4.
Jener Götzen aber sind Silber und Gold,
von Menschenhänden gemacht.
5.
Sie haben Mäuler und reden nicht;
sie haben Augen und sehen nicht.
6.
sie haben Ohren und hören nicht;
sie haben Nasen und riechen nicht;
7.
sie haben Hände und greifen nicht;
Füße haben sie und gehen nicht und reden nicht durch ihren Hals.
8.
Die solche machen, sind ihnen gleich,
und alle, die auf sie hoffen.



3. Aber unser Gott ist im Himmel - also am rechten Ort, wohin die Sterblichen mit ihren höhnischen Mienen und Reden nicht dringen können, von wo er wohl all das unnütze Geschwätz und Gequengel der Menschen hört, aber mit stiller Verachtung auf die Babelbauer herniederblickt. Erhaben über alle widersetzlichen Mächte herrscht der HERR auf seinem hohen Thron. Als seinem Wesen nach unbegreifbar übersteigt er die höchsten Gedanken der Weisen; unumschränkt in seinem Willen und von unbegrenzter Macht ist er erhaben über alle die Beschränkungen, die dem Irdischen und Zeitlichen anhaften. Dieser Gott ist unser Gott, und wir scheuen uns nicht, uns zu ihm als unserm Gott zu bekennen, auch wenn er nicht geruht, auf den Wink und Befehl jedes großsprecherischen Prahlhansen, dem es beliebt, ihn herauszufordern, Wunder zu tun. Einst forderten sie von seinem Sohne, er solle vom Kreuz herabsteigen, so wollten sie an ihn glauben, und jetzt befehlen sie, Gott solle die gewöhnlichen Schranken seines weltregierenden Waltens überschreiten und vom Himmel herabkommen, um sie zu überzeugen; aber seinen erhabenen Geist beschäftigen wahrlich noch andere Dinge außer der Überführung derer, die ihre Augen mutwillig verschließen gegen die überschwänglichen Selbsterweise seiner ewigen Kraft und Gottheit, die überall um sie her am Tage liegen. Kann man unseren Gott weder sehen noch hören und ist er unter keinerlei äußerem Bilde zu verehren, so ist er darum doch nicht weniger wirklich und wahrhaftig, denn er ist da, wo seine Widersacher niemals sein können - im Himmel, von wo er sein Zepter ausstreckt und mit unbegrenzter Macht regiert.

Er kann schaffen, was er will, oder (wie z. B. Kautzsch übersetzt): alles, was ihm beliebte, hat er getan. Bis zu diesem Augenblick sind seine Willensverfügungen erfüllt, seine ewigen Absichten vollführt worden. Er ist nicht am Schlafen gewesen, noch hat er die Angelegenheiten der Menschen vergessen; er hat geschafft, und das mit Erfolg, niemand hat noch seine Pläne durchkreuzen oder auch nur aufhalten können. "Alles, was ihm beliebte" - so unliebsam das seinen Feinden sein mochte, der HERR hat dennoch ohne Schwierigkeit vollbracht, was er wollte; selbst wenn seine Widersacher gegen ihn tobten und wüteten, sind sie gezwungen gewesen, gegen ihren Willen seine Pläne auszuführen. Auch als der stolze Pharao dem HERRN hohnsprach und ihm den äußersten Trotz entgegensetzte, war er nur wie Ton auf des Töpfers Scheibe, und Gottes Ziel und Zweck wurde an ihm völlig erreicht. Wir mögen die spöttische Frage: "Wo ist nun ihr Gott?" wohl ertragen, wenn wir von der Gewissheit durchdrungen sind, dass Gottes Vorsehung ungestört, sein Thron unerschüttert, seine Pläne unverändert sind. Und wie er bisher alles, was ihm beliebte, getan hat, so kann und wird er auch fernerhin schaffen, was er will (Luther), sein Anschlag wird bestehen, und er wird tun alles, was ihm gefällt (Jes. 46,10), und am Schluss des großen Dramas der Welt- und Menschengeschichte werden die Allmacht Gottes und seine Unveränderlichkeit und Treue überschwänglich gerechtfertigt dastehen, zur ewigen Beschämung seiner Widersacher.

4. Jener Götzen aber sind Silber und Gold, nichts als toter, träger Stoff; im besten Falle von kostbarem Edelmetall, das dennoch ebenso ohnmächtig ist wie das gemeinste Holz oder wie Ton. Die Kostbarkeit eines Götzenbildes beweist wohl die Torheit dessen, der an das Verfertigen desselben sein Vermögen verschwendet hat, vermehrt aber wahrlich nicht die Macht des Bildes, weil auch in Gold und Silber nicht mehr Leben ist als in Erz oder Eisen. Von Menschenhänden gemacht. Da unbestritten der, welcher etwas macht, größer ist als was er gemacht hat, kommt diesen Götzenbildern weniger Ehre zu als den Künstlern, die sie gebildet haben. Welche Unvernunft, dass Menschen solches anbeten, was geringer ist als sie selber! Wie seltsam, dass einem Menschen der Gedanke kommt, er könne einen Gott machen! Gibt es denn größeren Wahnsinn? Unser Gott ist Geist, und seine Hand hat Himmel und Erde gemacht; ihn mögen wir anbeten und brauchen uns darin nicht stören zu lassen durch höhnische Fragen von Leuten, die so verrückt sind, dass sie sich weigern, den lebendigen Gott anzubeten, und doch ihre Knie beugen vor Bildern, die sie selber geschnitzt haben. Von alledem können wir eine Anwendung machen auf die Zeiten, in denen wir leben. Der Gott des modernen Denkens ist eine Schöpfung des Denkers selbst, entwickelt aus dessen eigenem Bewusstsein oder gebildet nach seiner Meinung darüber, wie ein Gott beschaffen sein müsse. Nun ist es sonnenklar, dass solch ein Wesen kein Gott ist. Es ist unmöglich, dass es überhaupt einen Gott gebe außer dem Gott der Offenbarung. Ein Gott, den wir mit unseren Gedanken bilden können, ist so wenig ein Gott wie das Bild, von Menschenhänden gemacht. Der wahre Gott muss unbedingt sein eigener Offenbarer sein. Es ist augenscheinlich unmöglich, dass ein Wesen, das von der menschlichen Vernunft ersonnen und umfasst werden kann, der unendliche und unbegreifliche Gott sei. Jener Götzen sind verblendete Vernunft und angekränkelter Verstand, das Erzeugnis des benebelten Menschenhirns; darum müssen sie zunichte werden.

5. Sie haben Mäuler und reden nicht. Die Götzen vermögen auch nicht den leisesten Laut von sich zu geben; sie können sich mit ihren Verehrern nicht in Verbindung setzen, können weder verheißen noch drohen, weder befehlen noch trösten, weder die Vergangenheit erklären noch die Zukunft weissagen. Hätten sie keine Mäuler, so würde niemand von ihnen erwarten, dass sie reden; da sie aber einen Mund besitzen und doch nicht sprechen, sind sie stumme Götzen, nicht wert, mit Gott, dem HERRN, verglichen zu werden, der am Sinai im Donner redete, in der Vergangenheit durch seine Knechte, die Propheten, seinen Willen kundtat, und dessen Stimme noch jetzt die Zedern im Libanon zerbricht. Sie haben Augen und sehen nicht. Sie können nicht sagen, wer ihre Anbeter seien und was sie opfern. Gewisse Götzenbilder haben als Augen Edelsteine gehabt, die von höherem Wert waren, als dass ein König sie hätte auslösen können; aber sie waren deshalb doch gerade so blind wie die übrigen von der Verwandtschaft. Ein Gott, der Augen hat und doch nicht sieht, ist eine blinde Gottheit; und Blindheit ist bekanntlich ein Unglück und nicht ein Zeichen von Göttlichkeit. Der Mensch muss sehr blind sein, der einen blinden Gott verehrt. Wir bemitleiden einen blinden Mitmenschen; ein blindes Götzenbild anzubeten, ist eine seltsame Sache.

6. Sie haben Ohren und hören nicht. Der Psalmdichter hätte auch wohl auf die ungeheuerlichen Ohren hinweisen können, mit denen manche heidnische Gottheiten verunstaltet sind. Ja, die haben Ohren; aber kein Gebet ihrer Verehrer, ob es auch von Millionen Stimmen gekreischt würde, kann je von ihnen gehört werden. Wie mag Gold und Silber hören? Und wie bringt ein vernunftbegabtes Wesen es über sich, Bitten an jemand zu richten, der seine Worte nicht einmal zu vernehmen imstande ist? Sie haben Nasen und riechen nicht. Der Dichter häuft diese Aussagen offenbar mit einem Anflug von dem beißenden Spott, mit dem ein Elia sprach: Ruft laut! denn er ist ein Gott; er dichtet oder hat zu schaffen oder ist über Feld oder schläft vielleicht, dass er aufwache! (1. Könige 18,27) Mit heiligem Hohn macht er sich lustig über die Menschen, welche wohlriechende Spezerei verbrennen und ihre Tempel mit Weihrauchwolken erfüllen, und das alles als Opfergabe für einen Abgott, dessen Nase den Wohlgeruch gar nicht wahrzunehmen vermag. Der Psalmist weist gleichsam mit dem Finger auf jeden einzelnen Teil des Götzenantlitzes und überhäuft damit den edelsten Teil des Idols mit Verachtung, wenn bei einem solchen Ding überhaupt von edlen Teilen die Rede sein kann.

7. Indem der Psalmist sich das Götzenbild nunmehr weiter unten besieht, fährt er fort: Sie haben Hände und greifen nicht. Sie können nicht nehmen, was man ihnen hinhält, können weder das Zepter der Macht noch das Schwert der Rache ergreifen, vermögen weder Wohltaten zu spenden noch Strafen zu erteilen; ja, auch nur die unbedeutendste Tat auszuführen sind sie völlig ohnmächtig. Eines kleinen Kindes Hand übertrifft sie an Macht. Füße haben sie und gehen nicht. Man muss sie auf ihren Platz heben, sonst würden sie nie auf ihren Altarthron kommen; sie müssen noch dazu auf ihrem Thron befestigt werden, sonst würden sie fallen; sie müssen getragen werden, sonst könnten sie sich niemals von ihrer Stätte bewegen; sie vermögen weder ihren Freunden zu Hilfe zu kommen noch der bilderstürmerischen Wut ihrer Gegner zu entfliehen. Das niedrigste Insekt hat mehr Bewegungsfreiheit als der höchste heidnische Gott! Und reden nicht durch ihren Hals. Sie bringen es nicht einmal zu solchen Kehllauten, wie die untersten Tiergattungen sie äußern; da ist kein Grunzen, Brüllen, Bellen, Kläffen, nicht einmal ein leises Brummen lassen sie hören. Ihre Priester versicherten zwar, dass die Statuen der Götter bei besonderen Gelegenheiten hohle Töne von sich gäben; aber das war lügnerisches Vorgeben oder bauchrednerischer Betrug. Bilder von Gold und Silber sind nicht fähig, lebendige Laute auszustoßen. - So hat denn der Psalmist den Abgott vom Kopf bis zu den Füßen in Augenschein genommen, hat ihm ins Angesicht geblickt und in den Hals geguckt, und das Ergebnis ist die äußerste Verachtung.

8. Die solche machen, sind ihnen gleich. Menschen, die derartige Gegenstände verfertigen, damit man sie anbete, sind so dumm, so gefühllos und vernunftlos wie die Bilder, die sie machen. Soweit es sich um geistliches Leben, um Nachdenken und Urteil handelt, sind sie toten Bildern ähnlicher als wirklichen lebendigen, vernunftbegabten Menschen. Das Urteil ist nicht zu streng; ja der Ausdruck des Grundtextes ist noch stärker: sie werden ihnen gleich. Das ist, wie Tholuk sagt, der Fluch alles falschen Gottesglaubens, dass der Mensch wird wie sein Gott, und also die Anbeter eines seelenlosen Gottes seelenlos werden wie er. Und alle, die auf sie hoffen. Wer so tief gesunken, dass er fähig ist, auf Götzenbilder sein Vertrauen zu setzen, der hat die höchste Stufe der Torheit und des Irrwahns erreicht und ist ebenso großer Verachtung wert wie sein abscheulicher Götze. Manches harte Wort Luthers ist vom römischen Aberglauben reichlich verdient. Aber der Gott des modernen Denkens ähnelt ebenfalls außerordentlich den in diesem Psalm beschriebenen Gottheiten. Der Pantheismus, der die Natur zu seinem Gott macht, ist dem Polytheismus (der heidnischen Vielgötterei) verwandt und unterscheidet sich trotzdem nur wenig von dem Atheismus (der Gottesleugnung). Der Gott, den unsere großen Denker für uns verfertigt haben, ist ein leerer, toter Begriff; er hat keine ewigen Zwecke, er tritt nicht ein für seine Verehrer, er macht sich nicht viel daraus, wieviel der Mensch sündigt, denn er hat die in seine Mysterien Eingeweihten mit einer "erweiterten Hoffnung"2 beschenkt, nach der auch die Allerunverbesserlichsten wieder zurecht gebracht werden sollen. Dieser Gott ist das, wozu ihn zu machen der jeweiligen letzten Reihe von Gelehrten gefällt, er hat gesagt, was sie zu sagen belieben, und muss tun, was ihnen vorzuschreiben geruht. Überlassen wir dieses Glaubensbekenntnis und seine Anhänger ruhig sich selber, sie werden ihre eigene Widerlegung ohne unsre Hilfe vollenden. Denn wie jetzt ihr Gott nach ihnen gemodelt ist, so werden sie sich nach und nach ihrem Gott ähnlich gestalten; und wenn die Grundsätze von Gerechtigkeit, Gesetz und Ordnung alle erfolgreich untergraben sind, werden wir vielleicht in irgendeiner Form des Sozialismus ähnlich derjenigen, die sich heutigentags in so bedauerlicher Weise ausbreitet, eine Wiederholung der bösen Zustände erleben, die in früheren Zeiten über Völker gekommen sind, die den lebendigen Gott verworfen und Götter eigener Mache aufgestellt haben.


Fußnote
2. The larger hope, Schlagwort jener weit verbreiteten Richtung (der modernisierten Gestalt der alten Wiederbringungslehre), von der man wird sagen müssen, dass sie nicht etwa nur die puritanische Enge in der Gnadenlehre zu der biblischen Fülle zu erweitern bestrebt ist, sondern dass sie über das Geschick des Sünders nicht den Aussagen der Schrift, sondern der menschlichen Spekulation das entscheidende Wort lässt. - James Millard
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Psalm 115

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9.
Aber Israel hoffe auf den Herrn;
der ist ihre Hilfe und Schild.
10.
Das Haus Aaron hoffe auf den HERRN;
der ist ihre Hilfe und Schild.
11.
Die den HERRN fürchten, hoffen auf den HERRN;
der ist ihre Hilfe und Schild.
12.
Der HERR denkt an uns und segnet uns;
er segnet das Haus Israel,er segnet das Haus Aaron;
13.
er segnet, die den HERRN fürchten,
beide, Kleine und Große.
14.
Der HERR segne euch je mehr und mehr,
euch und eure Kinder.
15.
Ihr seid die Gesegneten des HERRN,
der Himmel und Erde gemacht hat.



9. Aber Israel hoffe auf den HERRN. Was immer andre tun, mögen die Auserkorenen des Himmels fest an dem Gott halten, der sie erwählt hat. Jehovah ist Jakobs Gott, mögen Jakobs Nachkommen sich ihrem Gott treu erweisen durch die Zuversicht, die sie auf ihn setzen. Wie kummervoll unsere Lage sein mag und wie ungestüm die lästerliche Sprache unserer Feinde, wollen wir uns doch nicht fürchten noch wanken, sondern vertrauensvoll auf ihn zählen, der mächtig ist, seine Ehre zu behaupten und seine Knechte zu schützen. Der ist ihre Hilfe und Schild. Er ist der Freund der Seinen im Tun und Leiden, gewährt ihnen Beistand in der Arbeit und Schutz in Gefahr. - Im Grundtext steht die Ermahnung, auf den HERRN zu hoffen, in diesem und den folgenden Versen viel wirkungsvoller in der Form der direkten Anrede: O Israel, traue auf den HERRN! Ihr vom Hause Aaron, vertrauet auf den HERRN! Die ihr den HERRN fürchtet, vertrauet auf den HERRN! Dann aber lässt der Psalmist in jedem der Vers diese Anrede fallen und fährt in der dritten Person fort, als hielte er eine Art Selbstgespräch und flüsterte bei sich: "Sie mögen es auch wahrlich wohl tun, denn er ist zu allen Zeiten die Stärke und die Sicherheit seiner Diener". Übrigens passt dieser Wechsel der Person auch gut zu dem antiphonischen (von zwei Chören im Wechsel ausgeführten) Vortrag des Psalms.

10. Das Haus Aaron hoffe auf den HERRN. Ihr, die ihr ihm am nächsten steht, vertraut ihm auch am festesten! Euer ganzer Beruf steht ja in engster Beziehung zu seiner Treue und hat den Zweck, seine Herrlichkeit kundzutun; darum lasst nie einen Zweifel an ihm in euren Herzen aufkommen, sondern seid den andern ein Beispiel heiligen Gottvertrauens. Die Priester waren dem Volk zu Leitern, Lehrern und Vorbildern gesetzt und waren darum verpflichtet, vor allen andern rückhaltlos sich auf Israels Gott zu verlassen. Der Psalmdichter freut sich, hinzufügen zu dürfen, dass dies von ihnen geschieht, denn er fährt fort: Der ist ihre Hilfe und Schild. Es ist leicht und doch passend, die zum Glauben zu ermuntern, die schon Glauben haben. "Solches hab ich euch geschrieben, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes..., auf dass ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes." (1. Joh. 5,13.) Priesterlich geheiligte Gemüter können wir durch Erinnerung anspornen und dürfen Menschen zum Vertrauen auf den HERRN ermahnen, eben weil wir wissen, dass sie bereits auf ihn trauen.

11. Der nächste Vers fährt im gleichen Tone fort: Die den HERRN fürchten, (mögen) hoffen auf den HERRN. Ob ihr vom Hause Aarons seid oder nicht, ja ob ihr zu Israel gehört oder nicht, allen, die Jehovah verehren, ist es gestattet und befohlen, sich gläubig in dem HERRN zu bergen. (Der Ausdruck "die den HERRN fürchten" ist bekanntlich im Alten und Neuen Testament stehende Bezeichnung der Proselyten, 1. Könige 8,41.43; Apg. 13,16.) Der ist ihre Hilfe und Schild. Er stützt und schirmt alle, die ihn in kindlicher Ehrfurcht anbeten, welchem Volke sie auch angehören mögen. Ohne Zweifel waren diese wiederholten Ermunterungen zum Gottvertrauen nötig wegen der traurigen Lage, in der sich die Kinder Israel damals befanden. Die höhnischen Reden des Widersachers verwundeten alle; am schmerzlichsten mussten sie von den Priestern und anderen Dienern des HERRN empfunden werden, aber auch diejenigen, die vielleicht nur heimlich im Herzen Proselyten waren, seufzten im Geheimen sicherlich unter der Schmach, die ihrer Religion und ihrem Gott angetan ward. Der Gang der Ereignisse konnte sie stutzig machen und ihren Glauben ernstlich gefährden; eben darum werden sie einmal und abermals und noch einmal aufgefordert, auf Jehovah zu trauen.
Welch lieblicher Gesang muss dieser Psalm doch für israelitische Familien gewesen sein, die in Babel oder fern in Persien wohnten, wenn sie des Nachts sich versammelten, um das Passahmahl zu essen in einem Lande, das sie nicht kannte, und wo sie weinten, wenn sie an Zion gedachten. Es ist uns, als hörten wir sie die dreifache Ermunterung wiederholen: "O vertrauet auf Jehovah", als hörten wir sie alle, Männer, Frauen und Kinder, das Spottlied (V. 4-8) auf den heidnischen Götzendienst singen und ihr treues Anhangen an dem einen Gott Israels verkündigen. Gleicherweise ziemt es in diesen Tagen, wo Gott so gelästert und getadelt wird, uns allen, die Wahrheit und Treue Gottes fort und fort und immer wieder zu bezeugen. Die Zweifelgeister verkündigen ihren Unglauben laut genug; lasst uns unseren Glauben ebenso freimütig bekennen.

12. Der HERR denkt an uns, oder wörtl.: hat an uns gedacht. Seine Gnadentaten der Vergangenheit beweisen, dass wir ihm am Herzen liegen, und ob er uns auch gegenwärtig betrübt, vergisst er unser doch nicht. Wir müssen uns ihm nicht in Erinnerung rufen, als ob er es schwer fände, seiner Kinder eingedenk zu sein, sondern er hat unser gedacht und wird darum auch in Zukunft in Güte und Treue an uns handeln. Und segnet uns. Das "uns" ist überflüssige Einfügung des Übersetzers, und während die vorhergehenden Worte im Grundtext im Perfekt (der Gewissheit) stehen, lauten die folgenden: Er wird segnen - segnen das Haus Israel, segnen das Haus Aaron. Die Wiederholung des Wortes segnen macht die Stelle sehr wirkungsvoll. Der HERR hat viele Segnungen, deren jede des Gedenkens wert ist; er segnet wieder und wieder. Wo er einmal seine Huld geschenkt hat, lässt er sie dauernd walten; es ist seinem Segen eine Lust, dasselbe Haus oft zu besuchen und da zu weilen, wo er einmal eingekehrt ist. Das Segnen macht unseren Gott nicht arm. Er hat in der Vergangenheit seine Wohltaten reichlich ausgestreut, und er wird sie doppelt und dreifach so mächtig in Zukunft niederströmen lassen. Er hat und wird geben einen allgemeinen Segen für alle, die ihn fürchten, einen besonderen Segen für das ganze Haus Israel, und einen zwiefachen Segen für die Söhne Aarons. Es ist seine Art, zu segnen, es ist sein Kronrecht, zu segnen, es ist seine Ehre, zu segnen, es ist seine Wonne, zu segnen; er hat verheißen zu segnen, darum seien wir dessen gewiss, dass er segnen, segnen, ja segnen wird ohne Aufhören.

13. Er segnet, Grundtext: wird segnen, die den HERRN fürchten, beide, Kleine und Große.Solange jemand den HERRN fürchtet, liegt nichts daran, ob er Burggraf oder Bauer, Standesherr oder Steinklopfer ist, Gott wird ihn ganz sicherlich segnen. Er sorgt für die Bedürfnisse alles Lebendigen, vom Leviathan im Weltmeer bis zum Käferlein auf dem Grashalm, und er wird keinen der Gottesfürchtigen vergessen werden lassen, so gering ihre Fähigkeiten, so niedrig ihr irdischer Stand sein mögen. Das ist eine köstliche Herzstärkung für solche, deren Glaube noch klein ist und die sich noch ganz als kleine Kinder in der Familie derer "von Gnaden" fühlen. Der gleiche Segen ist vorhanden für den kleinsten wie für den größten Heiligen; ja, wenn ein Unterschied gemacht wird, dann der, dass die "Kleinen" zuerst kommen. Denn da das Bedürfnis da noch dringender ist, wird auch die Hilfe noch schneller gesandt.

14. Der HERR mehre euch (Grundtext), euch und eure Kinder. Gerade wie er in Ägypten das Volk sich über die Maßen viel mehren ließ, so wird er die Zahl seiner Heiligen wachsen lassen auf Erden. Nicht nur sollen die dem HERRN Treuen durch Bekehrungen gesegnet werden und also einen geistlichen Samen haben, sondern ihre geistlichen Kinder sollen auch selber wieder fruchtbar sein, und also wird die Zahl seiner Auserwählten voll werden. Gott wird des Volks viel machen und damit auch seine Freude groß machen. (Jes. 9,2) Bis zum Ende der Zeiten wird das Geschlecht der wahren Gläubigen bestehen und immer mehr an Zahl und Einfluss zunehmen. Der erste der Menschheit gegebene Segen lautete: "Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde", und eben diesen Segen spricht Gott nun über die, so ihn fürchten. Trotz allen Idolen (Abgöttern) der törichten Weltweisheit und des abergläubischen Sakramentalismus (der Verirrung, die die Sakramente an die Stelle Christi als Heilsgrund setzt) wird die Wahrheit sich Jünger werben und das Land mit den Heerscharen ihrer Verteidiger füllen.

15. Ihr seid die Gesegneten des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Dies ist eine andere Form des Segens Melchisedeks: "Gesegnet seist du, Abram, von dem höchsten Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde", und durch unseren himmlischen Melchisedek ruht eben dieser Segen auf uns, den Kindern des gläubigen Abraham. Das ist ein allmächtiger Segen, der uns alles gewährt, was der allvermögende Gott nur tun kann, sei es im Himmel oder auf Erden. Diese Fülle ist unendlich, und der Trost, den sie uns bringt, unfehlbar für alle Lagen passend. Er, der Himmel und Erde gemacht hat, kann uns alles geben, was immer wir hienieden brauchen, und uns sicher zu seinem herrlichen Schloss droben bringen. Wohl dem Volke, auf dem ein solcher Segen ruht; sie haben ein unendlich besseres Teil als diejenigen, deren Hoffnung auf einem Stück vergoldetem Holz oder einem aus Stein gemeißelten Bilde beruht.

16.
Der Himmel allenthalben ist des HERRN;
aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben.



16. Der Himmel allenthalben ist des HERRN, wörtl.: der Himmel ist Himmel (Wohn- und Offenbarungsstätte) für Jehovah, da regiert er vornehmlich und enthüllt seine Größe und Herrlichkeit; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. Während der gegenwärtigen Haushaltung hat er die Erdenwelt in großem Maße der Macht und dem Willen der Menschen überlassen, so dass die Dinge hienieden nicht in der gleichen vollkommenen Ordnung sind, wie es mit den Dingen droben der Fall ist. Es ist wahr, der HERR waltet über allem mit seiner Vorsehung; doch lässt er es für die jetzige Zeit zu, dass die Menschen seine Gesetze brechen, sein Volk verfolgen und im Gegensatz zu ihm ihre stummen Götzen aufstellen. Die Freiheit des Wollens und Wirkens, mit der er seine Geschöpfe begabt hat, machte es notwendig, dass er seiner Macht in gewissem Maße selber Schranken anlegte und es litt, dass die Menschenkinder ihren eigenen Anschlägen folgten; doch ist er nichtsdestoweniger, da er seinen Thron im Himmel nicht aufgegeben hat, noch Herr der Erde und kann die Zügel zu jeder Zeit alle in seiner Hand zusammenfassen. Vielleicht ist jedoch bei der Stelle ein anderer Sinn beabsichtigt, nämlich der, dass Gott sein Volk mehren wird, weil er ihnen die Erde gegeben hat und will, dass sie sie füllen sollen. Der Mensch war ursprünglich zu Gottes Statthalter auf Erden bestellt, und wiewohl wir jetzt noch nicht alles dem Menschen untertan sehen, sehen wir doch Jesus hoch erhöht, und in ihm werden auch die Menschenkinder eine erhabenere Herrschaft selbst auf Erden erlangen, als sie bisher gekannt haben. "Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen und ihre Lust haben an großem Frieden" (Ps. 37,11), und unser Herr Jesus Christus wird glorreich herrschen unter seinen Ältesten (vergl. Jes. 24,23). Dies alles wird die überschwängliche Herrlichkeit dessen erstrahlen lassen, der sein Wesen offenbart im Himmel droben und in dem mystischen Leibe Christi hienieden. Die Erde gehört den Söhnen Gottes, und wir sind verpflichtet, sie für unseren hochgelobten König Jesus zu unterwerfen, denn er muss herrschen. Jehovah hat ihm die Heiden zum Erbe gegeben und der Welt Enden zum Eigentum (Ps. 2,8).
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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17.
Die Toten werden dich, HERR, nicht loben,
noch die hinunterfahren in die Stille!
18.
Sondern wir loben den HERRN
von nun an bis in Ewigkeit.Hallelujah!



17. Die Toten werden dich, HERR, nicht loben - sofern diese Welt in Betracht kommt. Sie können nicht in die Psalmen und Lobgesänge und geistlichen Lieder einstimmen, mit denen die Gemeinde ihrem Herrn voller Wonne Anbetung darbringt. Der Prediger kann von seinem Sarge aus den HERRN nicht rühmen, und ebenso wenig der Stadtmissionar oder die Diakonisse, wenn sie im Grabe liegen, in eifrigem Wirken dienender Liebe die Macht der Gnade erweisen. Noch die hinunterfahren in die Stille. Aus dem Grabe erschallt kein Laut; von den modernden Gebeinen und den den Leib verzehrenden Würmern her erklingt keine Stimme, die das süße Evangelium verkündigt oder in lieblichen Liedern Gottes Gnade rühmt. Von den Sängern des gottgeweihten Chors der Heiligen geht leise einer nach dem andern von uns, und wir vermissen ihre liebe Stimme. Gott sei Dank, sie sind nach droben gegangen, um die himmlischen Harmonien zu verstärken; was jedoch uns betrifft, so gilt es, dass wir umso eifriger singen, weil so viele Sänger unsere Reihen verlassen haben.

18. Sondern wir loben den HERRN von nun an bis in Ewigkeit. Wir, die wir noch leben, wollen Sorge tragen, dass Gottes Preis unter den Menschenkindern nicht aufhört. Unsere Trübsal und Niedergeschlagenheit des Gemütes soll uns nicht veranlassen, unsere Lobgesänge auszusetzen; noch sollen Alter und zunehmende Schwäche und Gebrechlichkeit das himmlische Feuer in uns dämpfen, nein, sogar der Tod soll uns nicht dazu bringen, von dem köstlichen Werk abzulassen. Die geistlich Toten können Gott nicht loben; das Leben aber, das in uns ist, dringt uns dazu. Mögen jene, die ohne Gott dahinleben, in stummem Schweigen verharren, wir aber wollen unsere Stimme zu Jehovahs Ruhm erheben. Selbst wenn er für eine Weile kein Wunder tut und wir kein besonderes Eingreifen seiner Allmacht wahrnehmen, wollen wir doch kraft dessen, was er in vergangenen Zeiten getan hat, seinen Namen loben, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht, wenn er abermals hell erstrahlen wird wie die Sonne, um das Angesicht seiner Kinder zu erfreuen. Die gegenwärtige Zeit ist gerade dazu günstig, ein Leben des Lobpreises zu beginnen, da er uns heute auffordert, auf die Stimme seiner Gnade zu hören. Von nun an, das ist der Rat der Weisheit, denn diese Pflicht sollte nicht aufgeschoben werden, und es ist ein Gebot der Dankbarkeit, denn es sind dringende Gründe zu pünktlichem Danke vorhanden. Fangen wir einmal damit an, Gott zu preisen, so haben wir einen endlosen seligen Dienst begonnen. Selbst die Ewigkeit kann die Gründe nicht ausschöpfen, um deren willen Gott verherrlicht werden soll. Hallelujah, preiset den HERRN. Wiewohl die Toten Gott nicht preisen können, die Gottlosen es nicht wollen und die Gleichgültigen es nicht tun, wollen wir doch das Hallelujah jubelnd singen in Ewigkeit. Amen.

Erläuterungen und Kernworte

V. 1. Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre. Alle Welt, und die ihres Sinnes sind, rufen zusammen: Uns die Ehre, uns gebühret zu reden. Der Glaube, der auch hierin der Sieg ist, der die Welt überwindet, gibt Gott lauterlich die Ehre und lehnt es nicht nur in Bescheidenheit von sich ab, sondern er wehret sich recht: Nicht uns, nicht uns; denn Ehre und Lobeserhebungen soll man wie feurige Kohlen von sich abschütteln. Man erwäge das bedenkliche Exempel Apg. 12,23 und Apg. 14,14.15. Karl H. Rieger † 1791.

Wenn es der Engel Art ist, alle ungeziemende, Gottes Thron gestohlene Ehre von sich abzuweisen (Off. 22,8 f.), so ist es teuflische Weise, solche anzunehmen und zu hegen. Die eigne Ehre zu suchen ist nicht eine Ehre, sondern verächtlich, eine Unehre für das Geschöpf, das nach dem Gesetz seiner Erschaffung auf ein ganz anderes Ziel hingewiesen ist. Allen Weihrauch, den wir unserem Ansehen, der Geschicklichkeit unserer Hände oder dem Scharfsinn unseres Verstandes darbringen, entziehen wir Gott, dem alle Ehre allein gebührt. Stephen Charnock † 1680.

Dieser Vers ist nicht eine Lobpreisung, als welche er häufig angesehen und angewendet wird, sondern ein Gebet. Nicht sowohl um unserer Sicherheit oder unseres Wohlergehens willen, als vielmehr um deiner Ehre willen wollest du uns befreien. Nicht zur Befriedigung unserer Rachlust an unseren Widersachern und nicht zur Förderung unserer Interessen, sondern zur Verherrlichung deiner Gnade und Wahrheit begehren wir deine Hilfe, damit die Menschen erkennen, dass du ein Gott bist, der seinen Bund hält; denn Gnade und Wahrheit sind die beiden Säulen dieses Bundes. Es ist eine Entehrung Gottes, wenn wir irgendetwas von ihm begehren mehr als ihn selbst oder nicht für ihn selbst. Augustin sagt, es sei auch beim Beten nur ein fleischlicher Trieb, wenn der Mensch sich selber mehr als Gott suche. Unser Selbst und Gott sind die zwei, die in Wettbewerb kommen. Nun ist zwar bei dem Ich verschiedenerlei Art zu unterscheiden; es gibt ein fleischliches Ich, ein natürliches Ich, ein geistliches Ich und ein verherrlichtes Ich; vor diesen allen jedoch muss Gott den Vorrang haben. Thomas Manton † 1677.

Es gibt viele köstliche Schriftworte, die uns so lieb geworden und mit denen wir so verwachsen sind, dass wir es uns gar nicht anders denken können, als dass wir sie in den Himmel mitnehmen werden und sie nicht nur den Text unserer Lobgesänge, sondern auch ein Stück unserer Seligkeit und Freude in der Herrlichkeit bilden werden. Wenn es aber ein Wort gibt, das von den Lippen jedes Erlösten kommen muss, wenn er in den Himmel eingeht, und das das unerschöpfliche, nimmer ermüdende Thema der Lieder der Ewigkeit bilden wird, dann ist es gewiss der erste Vers dieses Psalms. Barton Bouchier 1856.

V. 3. In heiliger Kühnheit wirft die Gemeinde solchem frevelhaften Gedanken (dass der Gott Israels ein Phantom der Ohnmacht sei, V. 2) den Schild des Glaubens entgegen, da ja ihr Gott so unumschränkt ist als der Himmel und tun kann, was er will. So zeigt die Verbindung der beiden Sätze in V. 3, dass, wenn der Gott der Schrift Gott im Himmel genannt wird, in dieser Benennung keine Beschränkung liegt, dass sie vielmehr sagen will, er sei so erhaben über alle irdischen Schranken wie der Himmel, der hoch und unermesslich über der Erde ist. Prof. A. Tholuck 1843.

Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will. Es wäre wahnsinnig, das Gleiche von den Götzen zu behaupten. Wenn daher die Heiden fragen: "Wo ist nun ihr Gott?" so ist die Antwort: "Er ist im Himmel; aber wo sind eure Götter? Auf Erden, nicht Schöpfer der Erde, sondern gemacht von Erden." Martin Geier † 1681

V. 4. Man kann die Stelle auch gegensätzlich übersetzen: Wiewohl sie von Gold und Silber, vom kostbarsten Material sind, sind sie doch nicht Götter, weil sie das Werk von Menschenhänden sind. Jean Calvin † 1564.

Silber und Gold, geeignete Stoffe, um Geld daraus zu prägen, aber nicht, um Götter davon zu machen! Matthew Henry † 1714.

Der ganze Götzendienst war so offenbar nichtig, dass ernstere Heiden selber darüber gelächelt haben und er die Zielscheibe für die Witze der heidnischen Freidenker und Possenreißer wurde. Wie beißend sind z. B. folgende Worte von Juvenal (Satyren XIII, 113): "Hörst du denn, Jupiter, diese Dinge? Bewegst deine Lippen nicht, wo du doch sprechen solltest, seist du von Marmor oder von Erz? Oder warum tun wir denn den heiligen Weihrauch auf deinen Altar und die herausgenommene Leber eines Kalbes und die weiße Netzhaut eines Ebers? Soviel ich erkennen kann, ist kein Unterschied zwischen deinem Standbild und dem des Bathyllus." Dieser aber war ein Geiger und Spieler, dessen Bild auf Befehl des Polykrates in dem Tempel der Juno zu Samos aufgerichtet worden war! Adam Clarke † 1832.

Von Menschenhänden gemacht. Die folgende Anzeige ist einer chinesischen Zeitung entnommen: "Archen Ti Chinchin, Bildhauer, erlaubt sich, Schiffsherren, die von Kanton nach Indien Handel treiben, ergebenst davon zu benachrichtigen, dass sie sich bei ihm mit Figurenköpfen, ganz nach Bestellung gemacht, zu einem Viertel des in Europa geforderten Preises versehen können. Er empfiehlt auch zu persönlichen Versuchen die folgenden Götzen, in Erz, Gold und Silber: den Habicht des Wischnu, mit Reliefs der Inkarnationen (Verkörperungen) des Gottes in Fisch, Eber, Löwe und Schildkröte. Ein ägyptischer Apis, ein goldenes Kalb und ein Stier, wie ihn die frommen Anhänger Zoroasters anbeten. Zwei silberne Mammositen mit goldenen Ohrringen; Götzen für persischen Gottesdienst; einen Widder, ein Krokodil, eine Krabbe, eine Lachhyäne, auch eine Auswahl von Hausgöttern in kleinem Maßstab, auf Anbetung in den Familien berechnet. Ich gewähre achtzehn Monate Kredit oder bei Barzahlung einen Abzug von fünfzehn Prozent auf die jedem Artikel angehefteten Preise. Man adressiere Chinastraße, Kanton, zu dem marmornen Rhinozeros und der vergoldeten Hydra." K. Arvine 1859.

Von Menschenhänden gemacht. Was müssen das für reizende Götter sein, besonders wenn sie das Werk von Stümpern sind, wie das Heiligenbild von Cockram, von dem der Bürgermeister von Doncaster den Klägern launig sagte, dass es, wenn es für einen Gott nicht gut genug sei, ja einen vorzüglichen Teufel abgeben würde. John Trapp † 1669.

V. 4-7. Schön ist, wie der Gegensatz zwischen dem Gott Israels und den heidnischen Götzen hier ins Licht gestellt wird. Er hat alles gemacht, sie sind selber von Menschen gemacht; er ist im Himmel, sie auf Erden; er kann schaffen, was er will, sie vermögen nichts; er sieht die Leiden, hört und erhört die Gebete, nimmt die Opfer an, kommt seinen Dienern zu Hilfe und bewirkt ihr Heil; sie sind blind, taub und stumm, ohne Verstand, unbeweglich und ohnmächtig. Gleich übelhörig, gleich ohnmächtig zu helfen, auch in den größten Nöten, wird sich jeder Abgott erweisen, an den Menschen sich hängen und zu dem sie durch die Tat sagen: Du bist mein Gott. Bischof G. Horne † 1792.

In Alexandria befand sich das berühmte Serapion, ein Tempel des Serapis, der höchsten Gottheit der Ägypter, die über die Überschwemmungen des Nils und die Fruchtbarkeit Ägyptens Herr war. Es war ein umfangreiches, stark befestigtes und sehr schönes Bauwerk, das einen Hügel im Mittelpunkte der Stadt krönte, und zu dem hundert Stufen hinaufführten. Das Bild der Gottheit war eine Kolossalstatue, die mit den ausgestreckten Händen die beiden Seiten des Gebäudes berührte, während das Haupt an das hohe Dach reichte. Sie war reich mit edlen Metallen und Edelsteinen verziert. Als der Kaiser Theodosius die Zerstörung des heidnischen Tempels befohlen hatte, machte sich der Bischof Theophilus, von Soldaten begleitet, eilends daran, die Stufen zu erklimmen und in das Heiligtum einzudringen. Der Anblick des Götzenbildes war so gewaltig, dass selbst die christlichen Bilderstürmer einen Augenblick stutzten. Der Bischof gab aber einem der Soldaten Befehl, ohne Zögern dreinzuhauen. Mit einem Beil traf er die Statue am Knie. Alle warteten in gewisser Erregung, aber da war kein Laut, noch irgendein Zeichen des Zorns des Gottes. Dann klommen die Soldaten zu dem Haupte hinauf und schlugen es ab, dass es zu Boden rollte. Eine zahlreiche, in ihrem stillen Heim im Inneren des heiligen Bildes gestörte Rattenfamilie stürzte aus der unter den Streichen erzitternden Statue und rannte über den Fußboden des Tempels. Jetzt finden die Leute an zu lachen und setzten das Zerstörungswerk mit verstärktem Eifer fort. Sie schleiften die Trümmer des Standbildes durch die Straßen. Selbst die Heiden wurden solcher Götter überdrüssig, die sich selbst nicht verteidigten. Das große Gebäude ward zerstört und hernach eine christliche Kirche an seiner Stelle erbaut. Wohl war bei den Leuten noch einige Besorgnis, der Nil möchte sein Missfallen durch Verweigerung der Überschwemmung kundtun. Da der Fluss darauf jedoch sogar zu außergewöhnlicher Höhe stieg und aufs freigebigste das Land befruchtete, war bald alle Angst verschwunden. Andr. Reed 1877.

Theodoret († 475) erzählt uns von der h. Publia, der betagten Äbtissin einer Gesellschaft von Nonnen in Antiochien, sie habe, wenn Julian der Abtrünnige mit einer götzendienerischen Prozession vorbeigezogen sei, diesen Psalm angestimmt: "Ihre Götzen sind Silber und Gold, ein Werk von Menschenhänden. Die solche machen sind ihnen gleich, alle, die auf sie hoffen." Der Kaiser habe, von Zorn erfüllt, seine Soldaten veranlasst, sie blutig zu schlagen, weil er den Stachel des alten hebräischen Liedes nicht ertragen konnte. J. M. Neale 1871.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

Jörg
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Psalm 115

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Erläuterungen und Kernworte


V. 5. Der Mund hat zwar in sich den Gaumen, das Organ des Geschmacks, ist also auch ein Sinnesorgan wie Auge, Ohr usw., aber die Ehre des Mundes ist die Sprache. James G. Murphy 1875.

V. 7. Sie haben Hände und greifen nicht. Selbst der Künstler, der sie verfertigt hat, übertrifft sie demnach, da er die Fähigkeit hatte, sie durch die Bewegung und die Tätigkeit seiner Glieder zu gestalten, wiewohl du dich schämen würdest, diesen Verfertiger anzubeten. Ja sogar du selbst übertriffst sie, wiewohl du diese Dinge nicht gemacht hast, da du tust, was sie nimmer tun können. Aurelius Augustinus † 430.

Und reden nicht durch ihren Hals oder ihre Kehle. Das hebräische Zeitwort wird auch vom Ausstoßen dumpfer Töne, wie vom Knurren des Löwen, vom Girren der Taube oder vom Stöhnen und Ächzen eines Klagenden gebraucht. Fassen wir es auch hier als Ausstoßen unartikulierter Laute auf, so liegt keine Wiederholung, sondern eine Steigerung gegen Vers 5 vor. Nach W. Kay 1871.

V. 8. Die solche Bilder machen, zeigen damit ihre Erfindungs- und Bildnerkunst und sind ja ohne Zweifel vernünftige Menschen; sofern sie sie aber als Götter machen, zeigen sie ihre Dummheit und beweisen sie sich als ebenso vernunftlose, sinnlose Wesen wie die Abgötter selbst. Vergl. auch Mk. 4,12. Matthew Henry † 1714.

Werden ihnen gleich: nämlich Nichtigkeit, Jes. 44,9.10. W. Kay 1871.

Wenn es auch zuzeiten auf der Oberfläche anders sich darstellt (vergl. V. 2), so bleibt es doch ewig wahr und wird stets von neuem durch den Erfolg bestätigt: jeder ist das, was sein Gott ist. Wer dem Allmächtigen dient, ist mit ihm allmächtig; wer die Ohnmacht in törichter Verblendung zu seinem Gotte erhebt, mit ihr ohnmächtig. Das in ein treffliches Schutzmittel gegen die Furcht für die, welche gewiss sind, den rechten Gott zu haben. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

V. 12. (Grundtext) Gott hat sich so und so erzeigt, darum wird er dies und das tun, das ist ein sehr häufiger Schriftbeweis. John Trapp † 1669.

V. 16. Den Himmel hat der HERR sich vorbehalten, die Erde aber den Menschen gegeben. Diese Scheidung von Himmel und Erde ist ein Grundcharakterzug der alttestamentlichen Denkweise. Der Thronsitz Gottes ist im Himmel, und die Verheißung lautet auf Besitznahme der Erde (Ps. 37,22), wogegen im Neuen Testament das Erbe Himmel und Erde umfasst. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

V. 17. Nicht die Toten rühmen Jehovah. Der Psalmist zieht hier nicht in Betrachtung, was die Menschen in der zukünftigen Welt tun oder nicht tun, sondern, dass er und seine Mitbrüder ihre Pflicht, in dieser Welt Gottes Wahrheit zu verbreiten, nicht würden erfüllen können, wenn Gott sie durch den Tod von hinnen nähme. Es gibt einen zwiefachen Grund dafür, dass der Psalmdichter und andere heilige Männer im Alten Testament um Abwendung des Todes gebeten haben. Der eine hat Bezug auf sie selbst und liegt in der Dunkelheit der Verheißungen. Mose hatte ihnen alle zukünftigen Segnungen Gottes, alle Freude und Herrlichkeit des Himmels nur in schattenhaften Vorbildern, in irdischen Dingen vorgeführt und von dem Zustand der Seele nach diesem Leben wenig gesagt. Daher waren die Verheißungen für das zukünftige Leben nicht so klar, dass die Gottesfürchtigen sich kraft derselben vertrauensvoll dem Rachen des Todes hätten übergeben können. Wer an der zukünftigen Welt noch nicht seine volle Genüge finden kann, hilft sich notdürftig mit der gegenwärtigen. Der andere Grund hat Bezug auf Gott und seine Kirche weil Gott eine große Ernte vor der Hand hatte und wenig Arbeiter, ließen diese sich nur ungern aus der Arbeit wegnehmen. Was willst du für deinen großen Namen tun, sprechen die Gläubigen des Alten Bundes, wenn du die Menschen aus der Welt nimmst, die du erwählt, befähigt und begabt hast, deine Gemeinde auf Erden zu erbauen, zu erhalten und auszubreiten? Abraham Wright 1661.

Das Volk Gottes kann nicht sterben, weil mit ihm das Lob Gottes sterben würde, was unmöglich. Prof. E. W. Hengstenberg 1845.

Allerdings kommen in manchen Psalmen Worte vor, die dem Anschein nach die Hoffnung des ewigen Lebens ausschließen, z. B. Psalm 6,6; 30,10; 88,11; 89,48; 115,17. Aber es ist eine sehr bedeutsame Tatsache, dass in all den hierbei in Betracht kommenden Psalmen eine eifrige Sorge um Gottes Ehre und Verherrlichung zum Ausdruck kommt. Wird um Abwendung des Todes gebeten, so geschieht es, damit der HERR nicht um die Ehre, die Gemeinde nicht um den Dienst komme, die ein verlängertes Leben gewähren würde. Zu beachten ist ferner, dass die düstern Anschauungen vom Tode sich durchweg in Psalmen finden, die Zerknirschung und tiefen Kummer bekunden. Der 115. ist zwar ein Lobpsalm, doch zeigen die ersten Verse, dass Israel auch damals unter schwerem Druck war. Bei diesem Lied des zweiten Tempels fällt auch ins Gewicht, dass nicht sowohl ein einzelner, als die Gemeinde darin redet. Es geht die Ehre Gottes nahe an, dass auf Erden eine Gemeinde fortbestehe, in der sein Name von Geschlecht zu Geschlecht gerühmt werde. Ebenso liegt in allen ähnlichen Stellen die Förderung der Sache Gottes auf Erden den Betern am Herzen, wenn sie darum bitten, nicht vorzeitig hinweggenommen zu werden. Und ich zögere nicht, zu behaupten, dass es auch heute noch für Männer, die an Posten von hervorragender Nützlichkeit gestellt sind, zur Pflicht werden kann, diese Bitte zu der ihren zu machen. William Binnie 1870.

Die alttestamentliche Schranke spricht sich weiter V. 17 aus, wo dumah wie Ps. 94,17 das stille Land des Hades bedeutet, wie ägyptisch ta merseker das Land, welches das Schweigen liebt. Von einer Gott ohne Unterlass preisenden himmlischen Ekklesia (Gemeinde) nicht bloß der Engel, sondern auch der Geister aller im Glauben verstorbenen Menschen weiß das Alte Testament noch nichts. Prof. Franz Delitzsch † 1890.

Homiletische Winke

V. 1.
Die Worte mögen dienen: 1) als mächtiger Bittgrund, 2) als Ausdruck echt frommer Gesinnung, 3) als ein sicherer Führer bei allem theologischen Forschen, 4) als Richtschnur bei der Wahl des Lebensweges, 5) als Ausdruck Gott wohlgefälliger Gesinnung, wenn wir Erfolg der Vergangenheit oder Gegenwart überblicken.
1) Nicht dem Menschen gebührt Ehre und Ruhm. Schon für unser Dasein und Wesen nicht. Erfreuen wir uns der Gesundheit? Nicht uns dafür die Ehre. Genießen wir irdische Annehmlichkeiten? Haben wir Frieden, die Gnadenmittel, heilbringenden Glauben an Jesum Christum, Gaben und Tugenden, die Hoffnung der Herrlichkeit, Nützlichkeit für andere? Für alles das nicht uns die Ehre! 2) Alle Ehre, aller Ruhm gebührt Gott. a) Weil wir alles aus Gnaden haben. b) Weil alles, was wir noch erwarten, von Gottes Treue kommt. Georg Rogers 1878.
V. 2.
Eine höhnische Frage, auf die wir viele befriedigende Antworten zu geben vermögen.
Warum sprechen sie so? Und warum erlaubt Gott ihnen, also zu sprechen? Matthew Henry † 1714.
V. 2.3.
1) Die Frage der Heiden. V. 2. a) Eine Frage der Unwissenheit: sie sehen einen Tempel, aber keinen Gott. b) Eine Frage des Vorwurfs gegen Gottes Volk, wenn sein Gott es eine Zeit lang verlassen hat. 2) Die Antwort: V. 3. Fragt ihr, wo unser Gott sei? Fragt lieber: Wo ist er nicht? Fragt ihr, was er tue? Er hat stets getan alles, was ihm beliebt, und kann auch jetzt noch schaffen, was er will. George Rogers 1878.
V. 3.
1) Dass Gott im Himmel ist, zeigt seine unumschränkte Herrschaft an. 2) Seine Taten sind Beweise derselben. 3) Dennoch lässt er sich herab, unser Gott zu sein.
V. 3b.
Die unumschränkte Majestät Gottes. Man lege die fundamentale Schriftwahrheit dar (und ziehe zugleich daraus die Anwendungen), dass der herrliche Gott ein Recht hat, über alle seine Geschöpfe die volle Herrschaft auszuüben und in allen Dingen zu tun, was ihm beliebt. Dies Recht ergibt sich naturgemäß daraus, dass er der Schöpfer und der Eigentümer von Himmel und Erde ist. Betrachte: 1) Er ist allweise; er kennt alle seine Geschöpfe, alle ihre Handlungen und Neigungen durch und durch. 2) Er ist vollkommen gerecht. 3) Er ist unendlich gütig. George Burder 1838.
V. 4-8.
1) Die Art aller Abgötter. Ob die Kreatur oder Reichtümer oder weltliche Lüste unser Gott seien, sie haben kein Auge, das erbarmend auf uns sehen, kein Ohr, das unsere Bitten hören, keinen Mund, der uns guten Rat geben, keine Hand, die uns helfen kann. 2) Die Art des wahren Gottes. Er ist ganz Auge, ganz Ohr, ganz Sprache, ganz Hand, ganz Fuß, ganz Verstand, ganz Herz. 3) Die Art der Götzenanbeter. Alle werden naturgemäß dem Gegenstand ihrer Anbetung ähnlich.
V. 8.
Die Ähnlichkeit zwischen den Götzendienern und ihren Götzen. Man führe die Ähnlichkeit an der Hand der im Psalme angeführten Einzelheiten vor.
V. 9.
Der lebendige Gott fordert Anbetung im Geiste. Die Lebenskraft solchen Gottesdienstes ist der Glaube. Der Glaube erprobt Gott als lebendige Wirklichkeit; "Er ist ihre Hilfe und Schild." Nur das auserkorene Volk des HERRN wird diesen lebendigen Gottesdienst ausüben.
V. 9-11.
1) Der leise Vorwurf: O du Israel, du Haus Aaron, ihr, die ihr den HERRN fürchtet - habt ihr es etwa an dem Hoffen auf den HERRN, euren Gott, fehlen lassen? 2) Die Ermahnung: Hoffet auf den HERRN! Habt ihr eurem Gott so vertraut, wie andere ihren falschen Göttern? 3) Die Unterweisung: Mögen Gemeinden, Hirten und alle, die den HERRN fürchten, wissen, dass er zu allen Zeiten und in allen Lagen ihre Hilfe und ihr Schild ist. G. Rogers 1878
V. 10.
1) Männer, die in der Öffentlichkeit dem HERRN zu dienen berufen sind, sollten dem HERRN auch besonders vertrauen. 2) Männer mit besonderem Beruf haben auch besondere Hilfe zu erwarten. 3) Männer, die in ihrem Dienst besondere Hilfe erfahren, dürfen auch besonderen Schutzes in Gefahren gewiss sein.
V. 11.
Kindliche Ehrfurcht vor Gott die Grundlage zu völligem Glauben.
V. 12.
1) Was wir erfahren haben: Der HERR hat an uns gedacht. 2) Was wir erwarten dürfen: Er wird segnen. Matthew Henry † 1714.
V. 12.13.
1) Was hat Gott für sein Volk getan? Er hat unser gedacht. a) Unsere Erhaltung, b) die mancherlei Gnaden, die wir besitzen, c) unsere Trübsale, d) unsere Leitung, e) unsere Tröstungen beweisen es. Alles und jedes, auch der kleinste Segen, stellt einen Gedanken Gottes in Bezug auf uns dar, und diese Gedanken reichen zurück in eine Ewigkeit, bevor wir ins Dasein kamen. Der HERR hat unser gedacht; sollten wir nicht billig seiner mehr gedenken? 2) Was wird Gott für sein Volk tun? Er wird uns segnen, und zwar a) göttlich reich. Seine Segnungen gleichen ihm. Die er segnet, die sind gesegnet. b) Unseren Bedürfnissen angemessen. Das Haus Israel, das Haus Aaron, alle, die ihn fürchten, je nach ihren verschiedenen Bedürfnissen, beide, klein und groß. c) Gewiss: Er wird, wird, wird, wird. Mit einem "Ich will" verdammt er, mit vier "Ich will" segnet er. George Rogers 1878.
V. 14.
Der HERR segne euch je mehr und mehr. 1) Gnädige Mehrung, an Erkenntnis, Liebe, Kraft, Heiligkeit, Nützlichkeit usw. 2) Wachsende Mehrung. Wir wachsen immer schneller, nehmen nicht nur zu, sondern nehmen mehr und mehr zu. 3) Wachstum in anderen und durch andere. Unsere Kinder wachsen an Gnade durch unser Vorbild usw.
Die Segnungen des HERRN sind 1) immer fließend: mehr und mehr; 2) überfließend: euch und eure Kinder. Mögen Eltern auch um ihrer Kinder willen mehr Gnade suchen, a) damit diese kräftiger durch ihr Vorbild beeinflusst werden, b) ihre Gebete für ihre Kinder wirksamer sein, c) ihre Kinder um ihretwillen reicher gesegnet werden mögen. George Rogers 1878.
V. 15.
Ein Segen, der 1) einem besonderen Volke zugehört: ihr; 2) aus einer besonderen Quelle kommt: vom HERRN; 3) ein besonderes Datum trägt: ihr seid; 4) mit besonderer Gewissheit gestempelt ist: ihr seid die Gesegneten; 5) eine besondere Pflicht in sich schließt: den HERRN zu loben von nun an bis in Ewigkeit, V. 18.
Der Segen des Schöpfers: seine Größe, Fülle, Mannigfaltigkeit usw.
V. 16.
Des Menschen Herrscherrecht über die Erde, dessen Grenze, Missbrauch, gesetzmäßige Schranken und erhabener Zweck.
V. 17.18.
1) Stimmen, die wir vermissen. "Die Toten loben dich nicht." 2) Welchen Ansporn ihr Fehlen auf uns ausübt: Aber wir usw. 3) Was sie allen zurufen: Lobet den HERRN! Lasst uns die Lücken der nun schweigenden Stimmen ausfüllen.
1) Wer Gott hier nicht lobt, wird ihn hernach nicht loben. Darum wird es auch keinen Aufschub der Strafe geben. 2) Wer Gott in diesem Leben lobt, wird ihn immerdar loben. Dafür lasst uns ein Hallelujah anstimmen! George Rogers 1878.
(Neujahrspredigt.) 1) Ein trauriges Gedenken - die Toten. 2) Ein fröhlicher Entschluss: Aber wir wollen den HERRN loben. 3) Ein angemessener Anfang: Von nun an. 4) Eine ewig dauernde Fortsetzung: Bis in Ewigkeit.
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Jörg
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Psalm 116

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PSALM 116 (Auslegung & Kommentar)

Inhalt

Da dieser Psalm eine Fortsetzung des Passah-Hallel ist, wird bei seiner Erklärung bis zu einem gewissen Maße der Auszug aus Ägypten mit im Auge zu behalten sein. Er macht ganz den Eindruck eines persönlichen Liedes, in welchem die gläubige Seele, durch das Passahfest an ihre Knechtschaft und ihre Befreiung erinnert, von diesen Erfahrungen mit Dankbarkeit spricht und demgemäß den HERRN preist. Wir können uns den Israeliten lebhaft vorstellen, wie er, den Stab in der Hand, sang: "Kehre, o Seele, zu deiner Ruhe" (V. 7 wörtl.), indem er der Rückkehr des Hauses Jakob in das Land der Väter gedachte, und wie er dann aus dem Festbecher trank mit den Worten des V. 13: "Ich will den Kelch des Heils (der Rettung) nehmen." Der gottselige Dichter gedenkt gewiss wie seiner eigenen, so auch der Befreiung seines Volkes, der er sein Dasein verdankt, wenn er im V. 16 singt: "Du hast meine Bande zerrissen"; vor allem aber beseelt ihn das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit seinem Volke, da er der Höfe am Hause des HERRN gedenkt und der herrlichen Heiligen Stadt, und gelobt, dem HERRN Dankopfer zu bringen "in dir, o Jerusalem" (V. 19). Persönliche inbrünstige Liebe zum HERRN, genährt durch persönliche Erfahrung der Erlösung, ist das Thema dieses Psalms, in dem uns herrliche Blicke in das Leben der Erlösten gewährt werden, wie sie Erhörung finden, wenn sie beten, behütet werden in Zeiten der Trübsal, wie sie ferner ruhen in ihrem Gott, frei und fröhlich vor dem HERRN wandeln, eingedenk ihrer Verpflichtungen, sich dessen wohl bewusst, dass sie nicht ihr eigen sind, sondern teuer erkauft, und mit der ganzen Schar der Erlösten sich verbindend, um Gott ein Hallelujah nach dem andern zu singen.
Da unser göttlicher Meister diesen Psalm auch gesungen (Mk. 14,26), können wir kaum fehlgehen, wenn wir in ihm Worte sehen, auf die er sein Siegel setzen konnte - Worte, die in gewissem Maße seine eigene Erfahrung schildern. Aber darüber wollen wir uns nicht verbreiten, da wir in den "Erläuterungen und Kernworten" zur Genüge dargelegt haben, wie der Psalm von denjenigen verstanden worden, die ihren Herrn gerne in jeder Zeile wiederfinden.

Einteilung


David Dickson († 1662) gibt eine eigenartige Einteilung des Psalms, die uns außerordentlich treffliche Winke zu geben dünkt. Er sagt: "Dieser Psalm enthält ein dreifaches Versprechen des Psalmisten, dem HERRN zu danken für die ihm erwiesene Gnade und in Sonderheit für eine denkwürdige, Leib und Seele umfassende Rettung aus Todesgefahr. Das erste, wozu er sich verpflichtet fühlt, ist, aus dankbarer Liebe allezeit zu Gott im Gebet seine Zuflucht zu nehmen, V. 1 und V. 2; was ihn dazu bewegt, das schreibt er V. 3-8 nieder, nämlich seine früheren Errettungen. Das zweite Gelübde ist das eines heiligen Wandels, V. 9, und die Gründe sind in den V. 10-13 angegeben. Das dritte Versprechen zielt darauf, dass er beständig Gott loben und ihm dienen will und namentlich auch öffentlich vor der Gemeinde die Gelübde bezahlen will, die er in der Zeit der Not gemacht. Dieser Teil umfasst die V. 14-19, in denen auch wiederum die Gründe enthalten sind."



Auslegung

1.
Das ist mir lieb, dass der Herr
meine Stimme und mein Flehen hört.
2.
Denn er neigte sein Ohr zu mir;
darum will ich mein Leben lang ihn anrufen.
3.
Stricke des Todes hatten mich umfangen,
und Ängste der Hölle hatten mich getroffen;
ich kam in Jammer und Not.
4.
Aber ich rief an den Namen des HERRN:
O HERR, errette meine Seele!
5.
Der HERR ist gnädig und gerecht,
und unser Gott ist barmherzig.
6.
Der HERR behütet die Einfältigen;
wenn ich unterliege, so hilft er mir.
7.
Sei nun wieder zufrieden, meine Seele;
denn der HERR tut dir Gutes.
8.
Denn du hast meine Seele aus dem Tode gerissen,
mein Auge von den Tränen,
meinen Fuß vom Gleiten.



1. Ich liebe den HERRN.1 Ein seliges Bekenntnis! Jeder Gläubige sollte ohne Zaudern erklären können: Ich liebe den HERRN. Diese Liebe wurde schon unter dem Gesetz gefordert, aber niemals ist sie in dem Herzen eines Menschen hervorgebracht worden, es sei denn durch die Gnade Gottes und kraft evangelischer Grundsätze. Es ist etwas Großes, sagen zu können: "Ich liebe den HERRN", denn die köstlichste aller Gnadengaben und das sicherste Kennzeichen des Heilsbesitzes ist die Liebe. Welch erstaunliche Güte ist es von Seiten Gottes, dass er sich herablässt, sich von solch armseligen Geschöpfen, wie wir es sind, lieben zu lassen, und es ist ein klarer Erweis davon, dass er in unserem Herzen am Wirken gewesen, wenn wir mit Petrus sprechen können: "HERR, Du weißt alle Dinge, Du weißt, dass ich dich lieb habe." Denn (Grundtext) der HERR hört meine Stimme und mein Flehen. Der Psalmdichter weiß nicht nur, dass er den HERRN liebt, sondern auch, warum er es tut. Wenn die Liebe sich mit einem guten Grunde rechtfertigen kann, dann ist sie tief, stark und dauernd. Man sagt, die Liebe sei blind; wenn wir aber Gott lieben, dann sieht unser Herz mit hellen Augen und braucht die schärfste Logik nicht zu fürchten. Wir haben Grund, ja überschwänglich reichen Grund, den HERRN zu lieben. Und weil sich in diesem Falle Grundsatz und Neigung, Vernunft und Gemüt so harmonisch verbinden, ergibt sich daraus ein so vortrefflicher Herzenszustand. Des Psalmisten Grund, warum er den HERRN liebte, war die Liebe, die Gott ihm durch Erhörung seiner Gebete erzeigt hatte. Der Dichter hatte beim Beten seine Stimme gebraucht, und die Gewohnheit, das zu tun, ist uns zur Andacht höchst förderlich. Wenn wir laut beten können, ohne dass andre uns hören, tun wir wohl daran. Manchmal jedoch, wenn der Psalmist seine Stimme zu Gott erhoben, hatte er nur mühsam in abgebrochenen Sätzen etwas herausgebracht, so dass er es kaum ein Gebet zu nennen wagte; die Worte versagten ihm, er vermochte nur stöhnende Seufzer hervorzustoßen. Der HERR aber hörte dennoch seine Stimme,2 ob er auch nur winseln konnte. Zu anderen Zeiten waren seine Gebete mehr regelhaft und von besserer Form; diese nennt er sein Flehen. Er hatte je und je seinen Gott anbetend gepriesen, so gut er es vermochte; wenn ihm aber diese Weise der Anbetung nicht vonstatten ging, versuchte er eine andere. Wieder und wieder war er mit Flehen vor den HERRN getreten; aber sooft er auch gekommen, stets war er willkommen gewesen. Jehovah hatte sowohl seine abgebrochenen Seufzer und Hilferufe als auch seine gesetzteren, mehr förmlichen Bittgebete gehört, d. h. erhört, sie gnädig angenommen und beantwortet; deshalb liebte er Gott von ganzem Herzen. Erhörte Gebete sind seidene Bande, die unsere Herzen mit Gott verknüpfen. Wenn jemandes Gebete gnädig beantwortet werden, ist Liebe die naturgemäße Folge. Die beiden Aussagen dieses Verses sind in unserer Sprache richtig in der Zeitform der Gegenwart wiedergegeben. Aus den Formen des Grundtextes entnehmen wir aber, dass es nicht eine Stimmung des Augenblicks, sondern der längst eingetretene und ungeschwächt fortdauernde Zustand seines Herzens war, dass er Jehovah liebte, und zwar, weil der HERR sein Flehen zu erhören pflegte, dies also eine Erfahrung war, die sich bei ihm immer wieder aufs Neue wiederholte. Das Gleiche darf und soll bei jedem mit Gott ringenden Gläubigen der Fall sein. Beständige Liebe fließt aus täglich erfahrener Gebetserhörung.

2. Denn er neigte sein Ohr zu mir, beugte sich nieder von seiner Erhabenheit, um auf meine Bitten zu lauschen. Das Bild ist wohl das eines sorgsamen Arztes oder eines liebevollen Freundes, der sich über einen Kranken, dessen Stimme schwach und kaum hörbar ist, neigt, um jeden Ton aufzufangen, auch das leiseste Flüstern zu vernehmen. Wenn unser Beten sehr schwach ist, so dass wir es selber kaum hören und zweifeln, ob das überhaupt gebetet heiße, leiht er uns dennoch ein hörendes Ohr und beachtet unsere demütig flehenden Bitten. Darum will ich mein Leben lang ihn anrufen. All die Tage meines Lebens hindurch will ich mein Bitten an Gott allein richten, und zu ihm will ich ohne Unterlass beten. Es ist immer am klügsten, dahin zu gehen, wo wir willkommen sind und man uns freundlich entgegenkommt. Das Wort anrufen kann Lobpreis so gut einschließen wie Bittgebet; den Namen des HERRN anrufen ist in der Schrift vielfach (siehe auch V. 4.13.17) der feierliche, vielsagende Ausdruck für Anbetung aller Art. Wenn unser Gebet bei all seiner Schwäche gehört und nach der Kraft und Erhabenheit Gottes beantwortet wird, dann werden wir in der Gewohnheit des Betens bestärkt und in dem Entschluss, ohne Unterlass Gott anzuliegen, befestigt. Wir zwar würden einem Bettler nicht danken, der uns mitteilte, dass er, weil wir sein Ansuchen gewährt, nun nie aufhören werde, bei uns zu betteln; und doch ist es ohne Zweifel Gott angenehm, wenn seine Bittsteller den Entschluss fassen, mit Bitten allezeit fortzufahren, denn dadurch erweist sich die Größe seiner Güte und der Reichtum seiner Geduld. An jedem Tage, wie beschaffen er auch sei, lasst uns den Alten der Tage mit Flehen und Lobpreis anrufen. Er hat verheißen, unsre Kraft solle sein wie unsre Tage (siehe Bd. I, S. 415 Anm.); lasst uns darum beschließen, dass unseren Tagen auch unsre Anbetung entsprechen solle.

3. Der Sänger geht nun dazu über, die Lage zu beschreiben, in der er gewesen, da er zu Gott betete. Stricke des Todes hatten mich umfangen. Gleichwie Jäger einen Hirsch mit Hunden und Treibern umstellen, dass kein Weg zum Entrinnen bleibt, so war der Psalmist von einem Ring tödlicher Kümmernisse umschlossen. Die Stricke des Grams, der Schwachheit und Furcht, mit denen der Tod die Menschen zu binden pflegt, ehe er sie zu der langen Gefangenschaft wegschleppt, waren alle um ihn. Und zwar umringten ihn diese Nöte nicht in einem weiten Kreis, sondern sie waren ihm ganz auf den Leib gerückt und hielten ihn fest umfangen. Und Ängste der Hölle hatten mich getroffen. Schrecken gleich denen, die die Verdammten quälen, trafen mich, ergriffen mich, sie machten mich ausfindig, durchwühlten mich durch und durch und machten mich zu ihrem Gefangenen. Mit den Ängsten der Hölle meint er die Herzbeklemmungen, die Bangigkeiten, die dem Sterben eigentümlich sind, die Schrecken, die sich uns mit dem Grabe verbinden. Diese waren so nahe auf ihm, dass sie die Zähne in ihn gruben, wie die Hunde tun, wenn sie ihre Beute erhaschen. Ich kam in Jammer und Not - um mich her hatte ich Drangsal und in mir Harm. Seine Kümmernisse waren zwiefach, und indem er sie zu ergründen suchte, wuchsen sie. Wörtlich heißt es, er habe sie angetroffen, gefunden. Ein Mensch freut sich, wenn er einen Schatz findet; was aber muss es um die Qual eines Mannes sein, der, wo er es am wenigsten erwartete, auf eine Ader von Jammer und Not, von Bedrängnis und Kummer trifft? Der Psalmist war von der Trübsal gesucht worden, und nicht vergeblich, sie hatte ihn aufgespürt; als er selber aber ihr nachspürte, fand er keine Erleichterung, sondern doppelten Schmerz.



Fußnoten
1. Im Hebr. Steht: Ich liebe, wozu als logisches oder auch grammatisches (dann ausgefallenes oder in den folgenden Satzteil versetztes) Objekt Jehovah (oder dich) zu ergänzen sein wird. Dafür spricht, dass V. 3 und V. 4 aus Ps. 18 geflossen sind, der ja ebenfalls mit einem Bekenntnis der Liebe zu Jehovah beginnt, und dass das ykIi in
V. 1 wie in V. 2 kausal (denn) zu verstehen sein wird. Luthers (Raschi folgende) Fassung ist sprachlich nur mühsam zu halten.


2. Das Wort Stimme wird im Hebr. allerdings auch jeweils von unartikulierten Lauten sowohl der Tiere als auch weinender, jammernder Menschen gebraucht; ein Grund, diese Bedeutung hier anzunehmen, liegt jedoch umso weniger vor, als das y i in yliOq hier einfach das Chirek compaginis sein dürfte, Stimme also (gegen die Akzente) mit mein Flehen zu verbinden sein wird: die Stimme meines Flehens, bei welchem häufigen Ausdruck Stimme zur Umschreibung von laut dient: mein lautes Flehen.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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Psalm 116

Beitrag von Jörg »

4. Aber ich rief an den Namen des HERRN. Beten geschieht nie zur Unzeit; der Psalmist betete, als alles am schlimmsten stand. Als er nicht zu Gott eilen konnte, rief er ihn an. In seiner äußersten Not wurde sein Glaube tätig. Es war unnütz, Menschen anzurufen, und es mag fast ebenso vergeblich geschienen haben, sich an den HERRN zu wenden; dennoch rief er mit ganzer Seele den Namen des HERRN an, alle die Vollkommenheiten, die in dem heiligen Namen Jehovah ihre Zusammenfassung finden, und erwies damit die Aufrichtigkeit seines Vertrauens. Unser manche können sich gewisser ganz besonderer Zeiten der Not erinnern, von denen wir jetzt sagen können: Da rief ich an den Namen des HERRN. Der Psalmist wandte sich an Gottes Barmherzigkeit, Wahrheit, Macht und Treue, und betete also: O HERR, errette meine Seele! Diese Bitte ist kurz und doch umfassend, sie trifft ins Schwarze, ist demütig und ernstlich. Es wäre gut, wenn viele unsrer Gebete nach diesem Muster geformt wären. Vielleicht wäre es mehr der Fall, wenn wir uns in ähnlichen Umständen befänden wie der Psalmdichter, denn echte Not gebiert echtes Beten. In diesem Gebet finden wir keine Häufung von Worten und keine fein gedrechselten Sätze; alles ist einfach und natürlich, kein überflüssiges Wort und doch auch keines zu wenig.

5. Der HERR ist gnädig und gerecht. Darin, dass Jehovah Gebet erhört, treten sowohl seine Gnade als auch seine Gerechtigkeit ins helle Licht. Es ist große Huld von ihm, dass er auf das Gebet eines Sünders hört; und doch, da der HERR es verheißen hat, dürfen wir sprechen: Er ist nicht ungerecht, dass er seine Zusage vergesse und das Rufen seiner Kinder unbeachtet lasse. Die Verbindung von Gnade und Gerechtigkeit in dem Verhalten des HERRN gegen die, welche ihm dienen, können wir uns nur erklären, wenn wir des Sühnopfers unseres Herrn Jesus Christus gedenken. Am Kreuze sehen wir, wie gnädig der HERR ist und wie gerecht. Und unser Gott ist barmherzig, von zärtlich mitempfindender, teilnehmender Liebe. Wir, die wir uns ihn als unseren Gott im Glauben zugeeignet haben, hegen keinen Zweifel an seiner Barmherzigkeit, denn er wäre nie unser Gott geworden, wenn er nicht der Erbarmer wäre. Sieh, wie die Gerechtigkeit Gottes gleichsam zwischen zwei Schutzwachen der Liebe steht: gnädig, gerecht, barmherzig. Das Schwert der Gerechtigkeit ruht in einer von Edelsteinen strahlenden Scheide der Gnade.

6. Der HERR behütet die Einfältigen. Leute, die sehr viel Verstand haben, mögen für sich selber sorgen. Solche aber, denen es an irdischer Geschicklichkeit, weltlicher Schlauheit und List gebricht, die aber einfältig auf den HERRN trauen und tun, was recht ist, mögen sich darauf verlassen, dass Gottes Hut über ihnen walten wird. Die Weisen dieser Welt werden bei all ihrer Klugheit in ihren eigenen Listen gefangen; die aber mit ganzer Wahrhaftigkeit in Frömmigkeit vor Gott wandeln, werden gegen die Ränke ihrer Widersacher geschützt werden und ihre Feinde überleben. Die Gläubigen sind wie Schafe mitten unter Wölfen; aber wiewohl die Schafe gegenüber den Wölfen wehrlos sind, gibt es in der Welt doch mehr Schafe als Wölfe, und es ist höchst wahrscheinlich, dass die Schafe noch in Sicherheit weiden werden, wenn kein einziger Wolf mehr auf Erden übrig ist. So werden auch die Sanftmütigen das Erdreich besitzen, wenn die Gottlosen nicht mehr sein werden. Wenn ich unterliege (wörtl.: schwach bin), so hilft er mir. Auch an mir Einfältigem ging der HERR nicht vorüber. Wiewohl ich von Trübsalen zu Boden gedrückt, von Verleumdung gebeugt, im Gemüte niedergeschlagen, am Leibe infolge von Krankheit und Kummer schwach war, half mir der Herr, und er tut es immer wieder. Es gibt mancherlei Weise, wie ein Kind Gottes zu einem tiefen Bewusstsein seiner Schwäche geführt werden kann; aber die Hilfe Gottes ist ebenso mannigfaltig wie die Bedürftigkeit seines Volkes. Ihrer Tausende in der Gemeinde des HERRN könnten auch in unseren Tagen bezeugen: Ich war schwach, ja ich war am Unterliegen, aber Er half mir! Mit diesem Bekenntnis sollten wir aber auch nicht zurückhalten, zur Ehre des HERRN wie auch zum Trost für andere, die durch gleiche Feuerproben hindurch müssen. Beachten wir, wie der Psalmist, nachdem er den allgemeinen Satz aufgestellt hat, dass der HERR die Einfältigen behütet, ihn an seiner eigenen Erfahrung erhärtet und beleuchtet. Die Gewohnheit, eine allgemeine Wahrheit auf uns selber anzuwenden und ihre Kraft in dem eigenen Falle zu erproben, ist eine überaus gesegnete und glückbringende; denn auf diese Weise wird das Zeugnis von Christo an uns bekräftigt
(1. Kor. 1,6) und werden wir selber Zeugen des HERRN.

7. Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, wörtl.: kehre zurück zu deiner Ruhe. Er nennt die Ruhe noch sein eigen und fühlt sich innerlich frei, zu ihr zurückzukehren. Welche Wohltat ist es, dass wir, selbst wenn unsre Seele ihre Ruhe eine Weile verlassen hat, ihr sagen dürfen: Die Ruhe ist doch noch für dich da! Der Psalmist war offenbar in seinem Gemüt beunruhigt: und gestört gewesen, die Leiden hatten ihn außer Fassung gebracht; jetzt aber, da er unter dem Eindruck der Erlebnisse von dem Bewusstsein, dass sein Gebet Erhörung gefunden, durchdrungen ist, kann er seine Seele stillen. Er hatte zuvor sich des Herzensfriedens erfreut, denn er kannte die selige Ruhestätte des Glaubens; darum kehrt er wieder zu dem Gott, der in früheren Tagen die Zuflucht seiner Seele gewesen war. Wie das Vöglein zu seinem Neste fliegt, so eilt seine Seele zu seinem Gott. Wenn je ein Kind Gottes auch nur für einen Augenblick seine Gemütsruhe verliert, sollte es darauf aus sein sie wiederzufinden, nicht indem es sie in der Welt oder in seiner eigenen Erfahrung sucht, sondern bei dem HERRN allein. Wenn der Gläubige betet und der HERR ihm sein Ohr zuneigt, dann liegt die Straße zu der alten Ruhestätte geradeaus vor ihm; säume er nicht, sie einzuschlagen. Denn der HERR tut dir Gutes oder hat dir Gutes getan. Du dienst einem guten Gott und hast auf einen sicheren Grund gebaut; streife nicht umher, um irgendeine andere Ruhestätte zu finden, sondern komm zurück zu ihm, der ehedem sich herabgelassen hat, dich durch seine Liebe so reich zu machen. Was für ein herrlicher Text ist doch unser Vers, und welch schöne Auslegung desselben bietet der Lebenslauf eines jeden Gläubigen, es sei Mann oder Frau. Ja wahrlich, der HERR hat uns Gutes getan auf die freigebigste Weise, denn er hat uns seinen Sohn gegeben und in ihm alles, er hat uns seinen Geist gesandt und teilt uns durch ihn alle geistlichen Segnungen mit. Gott handelt an uns, wie es Gottes würdig ist; er öffnet uns seine Fülle, und aus dieser Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Wir sitzen nicht an dem Tische eines Geizhalses, nicht von karger Hand sind wir gekleidet, nicht von einem missgünstigen Verwalter ausgerüstet worden. Drum lasst uns wieder zu ihm gehen, der uns mit solch ausnehmender Güte behandelt hat. - Es folgen noch der Gründe mehr.

8. Denn du hast meine Seele aus dem Tode gerissen, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten. Der dreieinige Gott hat uns eine dreieinige Erlösung geschenkt: unser Leben ist vor dem Grabe verschont, unser Herz aus seinem Kummer aufgerichtet und unser Lebensgang vor Schande bewahrt worden. Wir sollten uns nicht zufrieden geben, bis wir uns dieser dreifachen Errettung bewusst sind. Ist unsere Seele vom ewigen Tode errettet, warum weinen wir denn? Was für Ursache, uns zu härmen und zu sorgen, bleibt da noch? Woher diese Tränen? Und sind uns die Tränen vom Angesicht gewischt worden, können wir es dann noch leiden, wieder in Sünde zu fallen? Lasst uns nicht ruhen, bis wir festen Fußes den Pfad der Redlichen wandeln, jeder Schlinge entgehend und jeden Stein des Anstoßens meidend. Heil, Freude und Heiligkeit müssen Hand in Hand gehen und sind miteinander für uns in dem Gnadenbunde bereit. Der Tod ist ein überwundener Feind, die Tränen werden getrocknet und alle Furcht verbannt, wenn der HERR uns nahe ist.
So hat der Psalmdichter die Gründe seines Entschlusses, den HERRN sein Leben lang anzurufen, dargelegt, und niemand kann bezweifeln, dass er zu einem Beschlusse gekommen war, den er auch rechtfertigen konnte. War er aus solchen Tiefen errettet worden durch ein so besonderes Eingreifen Gottes, so war er ohne Zweifel verbunden, für immer ein treuer Verehrer Jehovahs zu sein, dem er so viel verdankte. Fühlen wir nicht alle die Kraft dieser Beweisführung, und wollen wir die Schlussfolgerung nicht verwirklichen? Möge Gott der Heilige Geist uns helfen, also ohne Unterlass zu beten und dankbar zu sein in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes in Christo Jesu an uns.



9.
Ich werde wandeln vor dem HERRN
im Lande der Lebendigen.
10.
Ich glaube, darum rede ich.
Ich werde aber sehr geplagt.
11.
Ich sprach in meinem Zagen:
Alle Menschen sind Lügner.
12.
Wie soll ich dem HERRN vergelten
alle seine Wohltat, die er an mir tut?
13.
Ich will den Kelch des Heils nehmen
und des HERRN Namen predigen.



9. Ich werde wandeln vor dem HERRN im Lande der Lebendigen. Als wunderbar Geretteter darf er sich im weiten Lande der Lebendigen wieder frei und ungehemmt ergehen. Sein Entschluss aber - der zweite, den er in diesem Psalm ausspricht, siehe V. 2 - ist, als vor Gottes Augen unter den Menschenkindern zu leben. Unter dem Wandel mag auch hier, wie so oft, die Lebensweise zu verstehen sein. Manche Menschen leben nur als im Angesicht ihrer Mitmenschen, sie schauen nur auf das Urteil und die Ansichten der Leute. Der wahrhaft Fromme aber bedenkt allezeit, dass Gott gegenwärtig ist, und handelt unter dem Einfluss seines allsehenden Auges. "Du, Gott, siehst mich" ist ein viel stärkerer Antrieb als "mein Meister sieht mich". Ein Leben des Glaubens, der Hoffnung, heiliger Furcht und wahrer Heiligkeit wird bewirkt durch das Bewusstsein, vor Gott zu leben und zu wandeln, und wer durch erhörte Gebete mannigfaltige göttliche Rettung empfangen hat, findet in seiner eigenen Erfahrung den besten Grund zu einem heiligen Leben und die kräftigste Unterstützung seiner Bestrebungen. Wir wissen, dass Gott den Seinen in besonderer Weise nahe ist; wie sollten wir denn geschickt sein mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen!

10. Ich glaube, darum rede ich.3 Ich könnte so nicht sprechen, wäre überhaupt verstummt, wenn der Glaube nicht in mir sich als Kraft erwiese. Ich würde niemals zu Gott im Gebet geredet haben noch auch jetzt fähig sein, vor meinen Mitmenschen Zeugnis abzulegen, wenn der Glaube mich nicht lebendig erhalten und mir eine Errettung gebracht hätte, die zu rühmen ich allen Grund habe. Von göttlichen Dingen sollte kein Mensch reden, es sei denn, dass er glaube (vergl. 2. Kor. 4,13). Die Rede eines schwankenden, zweifelnden Menschen richtet Unheil an, aber die Zunge des Gläubigen ist nütze. Die mächtigste Sprache, die je von eines Menschen Lippen geflossen, entstammt einem Herzen, das von der Wahrhaftigkeit Gottes völlig überzeugt ist. Nicht nur der Sänger unseres Psalms, auch solche Männer wie Luther und Calvin und andere große Glaubenszeugen haben aus vollstem Herzen sprechen können: "Ich glaube, darum rede ich." Ich werde (wohl besser: war) aber sehr geplagt. Daran ist kein Zweifel: die Not war so schlimm und schrecklich, wie sie nur sein konnte, und da ich von ihr befreit bin, bin ich sicher, dass die Errettung nicht eine schwärmerische Selbsttäuschung, sondern eine Tatsache ist; deshalb bin ich umso mehr entschlossen, zu Gottes Ehre zu reden. Wiewohl der Psalmist schwer bedrückt war, hatte er doch nicht aufgehört zu glauben; sein Vertrauen ward auf eine harte Probe gestellt, aber nicht zerstört.


Fußnote
3. Wörtl. wohl: denn ich rede. Sein Reden ist ein Beweis seines Glaubens; aber eben weil es ein Ausfluss seines Glaubens ist. Daher ist Luthers den LXX folgende Übersetzung zwar sprachlich nicht richtig, sachlich aber zutreffend.
Wer sich nur nach dem, was er fühlt, richtet, der verliert Christus. (Martin Luther)

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