Jose, ich hab mir deine Diskussionen zum Thema nicht näher angeschaut, aber mir scheint aus deinem Beitrag hervorzugehen, dass dein Problem auf einem großen, aber leider weit verbreiteten Missverständnis basiert. Wenn die Reformierten vom unfreien Willen sprechen, meinen sie nicht, dass es keinen menschlichen Willen gibt und der Mensch ein seelenloser Gegenstand ist, der einfach nur sein Programm abläuft. Es geht auch nicht darum die persönlichen Komponenten des Lebens weg zu nehmen - diese bleiben voll erhalten. Gemeint ist, dass der Wille nicht in einem Vakuum existiert, sondern immer von den Motiven und Bestrebungen des Herzens bestimmt wird. Da das menschliche Herz von Natur böse ist, ist der Wille vom Bösen bestimmt. So ist es nicht möglich, dass der Mensch das Gute will, sondern er will (und es ist wirklich sein eigener, persönlicher Wille) das Böse. Erst wenn Gott das Herz und damit das ganze Wesen eines Menschen verändert, dann will (es ist wirklich sein eigener, persönlicher Wille) der Mensch auch das Gute.
Der Wille ist keine neutrale Instanz, sondern immer vom Wesen des Wollenden abhängig. Ist der Wollende böse, ist auch der Wille böse. Ist der Wollende gut, so ist auch der Wille gut. Dass der Mensch überhaupt zu Gott kommen will ist in seinem verdorbenen Zustand deshalb nur möglich, wenn Gott in das Wesen dieses Menschen eingreift und somit den Willen zum Guten lenkt.
Ja, jeder einzelne Mensch muss sich entscheiden, jeder einzelne Mensch muss ganz persönlich für sich entscheiden, wem er dienen will.
Das Werk Jesu genügt auch für jeden einzelnen Menschen, Jesus hätte nicht mehr machen müssen um einen Menschen mehr zu retten. Wir können und sollen alle Menschen zum Heil einladen. Wir müssen aber im Hinterkopf behalten, dass diese Einladung angesichts der Bosheit des Menschen absolut wertlos wäre, wenn Gott nicht versichert hätte, dass er aus dieser Masse von verdorbenen Sündern Menschen erwählt hat, denen er dieses Heil zukommen lassen möchte, deren Herzen er öffnen möchte und deren Verhärtung er wegnehmen will. So können wir auf der einen Seite hoffnungsvoll und zuversichtlich sein, wenn wir uns für die Verbreitung des Evangeliums einsetzen und andererseits hoffen wir nicht auf irgendwelche menschliche Kraft, Methoden und Mittel, sondern allein darauf, dass Gott seine Verheißung, die Erwählten durch die Verkündigung des Evangeliums zu sich zu ziehen, wahr machen wird.
Wenn wir in dieser Diskussion voran kommen wollen (und dein Streben danach finde ich sehr gut und wichtig), dann musst du als erstes verstehen, dass es hier niemandem darum geht, dem Menschen die Verantwortung abzusprechen oder die persönliche Willensentscheidung eines Menschen zu leugnen. Die Fragen, die wir uns stellen müssen sind:
"Was sagt die Bibel über das menschliche Herz nach dem Sündenfall?" "Lehrt die Bibel, dass der Mensch ohne Gottes übernatürliches Eingreifen im Herzen, zu Gott kommen kann?"
Ich kann dir nur empfehlen die Institutio zu lesen, Calvin geht da sehr detailliert auf diese Thematik ein, vor allem im zweiten Buch. Hier im Bifo wird ja jeden Tag ein neuer Teil reingestellt. Übrigens habe ich schon an die Erwählung und den unfreien Willen geglaubt, bevor ich überhaupt irgendetwas von Calvin gelesen habe. Jetzt, wo ich ihn im Nachhinein lese, bin ich beeindruckt von der Klarheit seiner Argumentation und den Zitaten die er von anderen Theologen einbringt und kann nur empfehlen, sich da hineinzulesen, z.B.:
II,2,8
So zeigt er [Augustin] auch an anderer Stelle, der freie Wille komme durch die Gnade zustande, und fährt dann scharf gegen diejenigen los, die sich ihn anmaßen wollten ohne die Gnade. Er sagt da: "Wie wagen es doch jämmerliche Menschen, hochmütig vom freien Willen zu reden, ehe sie überhaupt frei gemacht sind, oder von ihren Kräften, ehe sie zur Freiheit gelangt sind? Sie beachten gar nicht, daß schon in dem Wort ‚freier Wille’ die ‚Freiheit’ besonders hervorklingt. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit! (2. Kor. 3,17). Wenn sie also Knechte der Sünde sind, was rühmen sie sich des freien Willens? Denn man ist doch dem, der einen gefangenhält, als Knecht unterworfen! Sind sie aber befreit — was rühmen sie sich dann, als hätten sie selbst etwas dabei getan? Oder sind sie so frei, daß sie nicht auch Knechte dessen sein wollten, der da sagt: Ohne mich könnet ihr nichts tun (Joh. 15,5)?..."
Ich bin aber der Meinung, daß man den Begriff nicht ohne unermeßliche Gefahr bei behalten kann, und daß seine Abschaffung der Kirche großen Segen bringen würde; deshalb möchte ich ihn selbst nicht verwenden und auch anderen, wenn sie meinen Rat hören wollen, von seinem Gebrauch abraten.
An anderer Stelle erklärt Calvin den Unterschied zwischen Notwendigkeit und Zwang. Der natürliche Mensch sündigt notwendig, aber nicht aus Zwang. Gott zwingt keinen Menschen zur Sünde, aber seine (des Menschen) böse Natur bringt notwendiger Weise einen bösen Willen hervor. Bekehrt sich ein Mensch, so wird er nicht zur Bekehrung gezwungen, aber er bekehrt sich auf Grund der Herzensveränderung durch Gott notwendiger Weise.
II,3,5
Der wesentliche Punkt bei jener Unterscheidung (zwischen Notwendigkeit und Zwang) liegt in folgendem: Der Mensch ist seit dem Fall verdorben, aber er sündigt mit Willen, nicht etwa gezwungen gegen seinen Willen, oder aus tiefster Neigung des Herzens und nicht aus gewaltsamem Zwang, aus dem Trieb eigener Lust und nicht auf äußeren Druck hin; aber wegen der Verdorbenheit der Natur kann er sich doch nur zum Bösen bewegen und nach ihm richten. Stimmt dieser Satz, so ist damit klar ausgedrückt, daß der Mensch der Notwendigkeit zu sündigen unterworfen ist.
II,3,14
Aber Augustin sagt doch an anderer Stelle, die Gnade hebe den Willen nicht auf, sondern wandle ihn vom Bösen zum Guten und stehe ihm bei, wenn er gut geworden sei! Das bedeutet aber nur: der Mensch wird nicht so (vom Geiste Gottes) geführt, daß er ohne Regung des Herzens wie von einem äußeren Druck sich treiben ließe, sondern er wird eben innerlich so erfaßt, daß er von Herzen gehorcht. Solche Gnade wird nach Augustin in besonderer Weise den Erwählten zuteil und aus freier Gnade gewährt. So schreibt er an Bonifacius: "Wir wissen, daß Gottes Gnade nicht allen Menschen gegeben wird; und wer sie empfängt, dem wird sie nicht nach dem Verdienst der Werke gegeben, auch nicht nach dem Verdienst des Willens, sondern aus lauter Gnade (gratuita gratia); wem sie nicht gegeben wird, dem bleibt sie, wie wir wissen, nach Gottes gerechtem Urteil verwehrt" (Brief 217).
Man könnte noch vieles mehr sagen...
Ich hab im Allgemeinen recht viel um die Ohren, deshalb werd ich hier kein zuverlässiger Schreiberling sein, aber ich hoffe hiermit etwas mehr Klarheit in die Diskussion gebracht zu haben.